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Virtuelle General- und Haupt­ver­samm­lun­gen, virtuelle Auf­sichts­rats­sit­zun­gen

Sind Gewinnausschüttungen in unsicheren Zeiten noch zulässig?

24/04/2020

Die COVID-19 Pandemie bringt viele Unternehmen in wirtschaftliche Turbulenzen. Haben GmbHGesellschafter und Aktionäre noch Anspruch auf Ausschüttung des Bilanzgewinns, wenn im neuen Geschäftsjahr das Geschäft einbricht, Verluste zu erwarten sind und die Zukunft des Unternehmens ungewiss ist?

A.GmbH

Bei der GmbH können im neuen Geschäftsjahr pandemiebedingt eintretende Verluste zwingend1eine (ggf partielle)
Ausschüttungssperre begründen: Aus Gläubigerschutzgründen2 schließt nämlich der Gesetzgeber Gewinnauszahlungen aus, wenn und soweit zwischen Bilanzstichtag und Feststellung3 des Jahresabschlusses Verluste und Wertminderungen eintreten, die voraussichtlich nicht bloß vorübergehend, sondern auf längere Zeit bestehen bleiben (s § 82 Abs 5 GmbHG).4
In vielen Branchen sind diese Voraussetzungen derzeit klar erfüllt.

Unter diesen Voraussetzungen haben die Geschäftsführer nach der Rechtsprechung trotz eines gegenteiligen
Gesellschafterbeschlusses die Auszahlung zu verweigern5 und es liegt in ihrer Verantwortung, bei der Beschlussfassung über den Jahresabschluss auf zwischenzeitig eingetretene Verluste aufmerksam zu machen. Ggf haben die Geschäftsführer den eingetretenen Verlust im Wege einer Zwischenbilanz zu ermitteln und vom ausschüttungsfähigen Bilanzgewinn in Abzug zu bringen.6

(Drohende) Verluste nach Feststellung des Jahresabschlusses reduzieren nicht den ausschüttbaren Bilanzgewinn. Der
Gewinnentnahmeanspruch wird zum Gläubigeranspruch, kann aber aus Treuepflichtgesichtspunkten eingeschränkt
sein, wenn die Ausschüttung des Bilanzgewinns für die GmbH existenzgefährdend sein kann.Abhängig von der
Liquidität der Gesellschaft sind Fälle denkbar, wonach die Verluste zwar nachhaltig, aber nicht existenzgefährdend
sind.

B. Aktiengesellschaften

Bei der AG liegt die Bildung (Dotierung) von Gewinnrücklagen im pflichtgemäßen Ermessen des Vorstandes.8
Billigt der Aufsichtsrat den vom Vorstand aufgestellten und testierten Jahresabschluss, der solche bilanzgewinnmindernden
Rücklagen enthält, so ist die Hauptversammlung (HV) daran gebunden (§ 104 Abs 4 AktG). Ob darüber hinaus die
GmbH-rechtlichen Grundsätze des Gewinnausschüttungsverbots im Umfang nachfolgender Verluste für die AG
gelten, ist in der Lehre auf Grund des Fehlens einer entsprechenden expliziten Anordnung im AktG strittigund vom OGH noch nicht geklärt. Im Ergebnis ist die analoge Anwendung von § 82 Abs 5 GmbHG in Ermangelung einer planwidrigen Lücke, der „lex posterior“-Regel und des anderen gesetzgeberischen Regelungskonzepts – Vorstand und Aufsichtsrat entscheiden idR gemeinsam und pflichtgebundenen über die Bildung von Gewinnrücklagen und somit primär über den Gewinneinbehalt – zu verneinen.

Der OGH hat im Zusammenhang mit einer AG & Co KG ausgesprochen, dass es „in der Verantwortung eines jeden
sorgfältigen organschaftlichen Vertreters einer Gesellschaft liegt, […] nur so weit Veräußerungserlöse [aus der
Übertragung des Unternehmens, Anm] als Gewinn zu verteilen, als dadurch die Befriedigung der Gläubigeransprüche
nicht vereitelt wird“.10

Damit postuliert der OGH eindeutig eine (rechtsformübergreifende) Sorgfaltspflicht für Geschäftsführungsorgane, eine
Gewinnverteilung nur insoweit zuzulassen, als dadurch die Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft nicht vereitelt
wird. Der Vorstand hat somit bei seiner Bilanzierung und seinem Gewinnverwendungsvorschlag die Geschäftsplanung
und die Sicherung der Liquidität des Unternehmens zu berücksichtigen und darüber zu berichten.

Die finale Entscheidung über die Verteilung eines ggf überhaupt noch ausgewiesenen Bilanzgewinns, der infolge der
Bildung von Rücklagen durch den Vorstand geringer sein kann als der Jahresüberschuss, bzw über den Einbehalt
des Bilanzgewinns, soweit die Satzung der AG die HV dazu ermächtigt (§ 104 Abs 4 Satz 2 AktG), liegt allerdings im
Aktienrecht zwingend bei der HV. Die HV könnte somit vom Gewinnverwendungsvorschlag im Sinne einer Vollausschüttung abweichen, soweit sie dazu in der Satzung ermächtigt ist. Aus Treuepflichtgesichtspunkten könnten Aktionäre verpflichtet sein, gegen eine (vollständige) Gewinnausschüttung zu stimmen. Dies ist u. E. allerdings nicht bereits bei Vorliegen der Kriterien des § 82 Abs 5 GmbHG der Fall, sondern erst bei drohender Existenzgefährdung.

C. Ausschüttungssperre bei Inanspruchnahme finanzieller Unterstützung

Der Finanzminister hat im Form einer Verordnung „Richtlinien über die Ergreifung von finanziellen Maßnahmen,
die zur Erhaltung der Zahlungsfähigkeit und zur Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten von Unternehmen im
Zusammenhang mit der Ausbreitung des Erregers SARS-CoV-2 und den dadurch verursachten wirtschaftlichen
Auswirkungen geboten sind“, erlassen.11 Die Richtlinien sehen vor, unter welchen Bedingungen Direktzuschüsse,
Garantien oder Direktkredite an begünstigte Unternehmen gewährt werden können.

Gemäß Punkt 12.1.6 der Richtlinien hat sich der Antragsteller zu verpflichten, sich einem Dividenden- und
Gewinnauszahlungsverbot vom 16.3.2020 bis zum 16.3.2021 zu unterwerfen und während der restlichen Laufzeit
eine „maßvolle Dividenden- und Gewinnausschüttungspolitik“ zu verfolgen. Eine Verletzung dieser Verpflichtung
hätte nicht die Nichtigkeit der Gewinnausschüttung zur Folge, allerdings die Rückzahlungspflicht der finanziellen
Maßnahme. 

Der Artikel ist auch als Download erhältlich.


1 RIS-Justiz RS0128608.
2 RIS-Justiz RS0128608.
3 Nicht erfasst werden nach hL (z.B. Bauer/Zehetner in Straube ea, WK GmbHG [2017] § 82 Rz 42) Entwicklungen vor dem Gewinnverwendungsbeschluss, aber
 nach der JA-Feststellung.
4 Bauer/Zehetner in Straube ea, WK GmbHG (2017) § 82 Rz 43; Köppl in U. Torggler, GmbHG § 82 Rz 5. S auch zur Frage, ob auch Verluste bei stillen Reserven
 betroffen sind, vgl Rüffler, RWZ 2009, 101.
5 OGH 6 Ob 100/12t ecolex 2013,710 (J. Reich-Rohrwig)
6 Bauer/Zehetner in Straube ea, WK GmbHG (2017) § 82 Rz 41.
7 OGH 6 Ob 100/12t ecolex 2013, 710 (J. Reich-Rohrwig).
8 Mellerowicz in Großkomm AktG2, § 132 Anm 56; ders in Großkomm AktG3 § 150 Anm 67; Schlegelberger/Quassowski, AktG3 (1939), § 125 Rz 4; Ch.
 Nowotny in Straube, HGB2, Bd 2, § 222 Rz 3; Bergmann in U. Torggler, UGB3, § 229 Rz 24; Hirschler/Geutebrueck in Gratzl/Hausmaninger/Justich, HdB zur
 AG I2, 10. Kap Rz 26 („bilanzpolitische Verantwortung“); Kalss/Burger/Eckert, Die Entwicklung des österr. Aktienrechts, 335, 345; Kastner/Doralt/Nowotny,
 Gesellschaftsrecht5, 301; G. Sopp/Grünberger in Zib/Dellinger, UGB § 224 Rz 194.
9 Vgl für eine Analogie von § 82 Abs 5 GmbHG: Eckert/Tipold, GES 2013, 59 (65); Eckert in Althuber/Schopper, Handbuch Unternehmenskauf2 Rz 43; Arlt,
 GesRZ 2014, 351 (355); Artmann in Artmann/Karollus, AktG6 § 53 Rz 8. Dagegen Karollus in Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung2 26.
10 OGH 6 Ob198/15h ecolex 2017, 225 unter Berufung auf Dellinger, Rechtsfähige Personengesellschaften in der Liquidation (2001) 68 ff.
11 BGBl II 143/2020


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