Die Mitgliedstaaten der EU sind durch die UVP-Richtlinie (aktuell derzeit noch: 2011/92/EU) verpflichtet, Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit, etwa Nichtregierungsorganisationen, bei Projekten (Vorhaben), die einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zu unterziehen sind, den Zugang zu Gerichten zu gewähren. Nach dem österreichischen UVP-Gesetz (UVP-G) haben unter anderem anerkannte Umweltorganisationen in UVP-Verfahren Parteistellung. Sie können insbesondere die Genehmigung von Vorhaben, die dem UVP-G unterliegen (zB große Deponien, Neuerrichtung von Schnellstraßen), beim Verwaltungsgericht und beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) anfechten.
Anerkannte Umweltorganisationen und Nachbarn hatten jedoch bis vor einigen Jahren in einem UVP-Feststellungsverfahren keine Parteistellung. In diesem Verfahren entscheidet die Behörde in Fällen, in denen strittig ist, ob für ein Vorhaben überhaupt eine UVP erforderlich ist. Verneint sie dies (negativer UVP-Feststellungsbescheid), dann wird das Vorhaben ausschließlich im Verfahren nach den anwendbaren Materiengesetzen (Materienverfahren) genehmigt (zB in Verfahren zur Bewilligung einer Betriebsanlage nach der Gewerbeordnung). Die Materienverfahren sehen jedoch im Regelfall keine Beteiligung von anerkannten Umweltorganisationen vor. Genau diese Rechtsschutzlücke führte zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich und mündete 2012 in eine UVP-Novelle, die den anerkannten Umweltorganisationen Parteistellung auch im UVP-Feststellungsverfahren einräumt. Diese Novelle trat am 3.8.2012 in Kraft.
Der VwGH hat nach Befassung des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 16.3.2015, C-570/13) im Erkenntnis vom 22.6.2015, 2015/04/0002, die Bindungswirkung eines negativen UVP-Feststellungsbescheides für Nachbarn, die auch noch nach der UVP-G-Novelle aus 2012 keine Parteistellung im UVP-Feststellungsverfahren hatten, verneint. Der VwGH sprach aus, dass zur korrekten Umsetzung der UVP-Richtlinie die Behörde in den Verfahren nach den Materiengesetzen die Frage nach der UVP-Pflicht erneut prüft, wenn dies von einem Nachbarn behauptet wird. Die Behörde darf die Genehmigung nicht erteilen, wenn sie die UVP-Pflicht bejaht und für das UVP-Verfahren nicht zuständig ist. In der jüngsten Novelle zum UVP-G (BGBl I 4/2016) wurde deshalb auch den Nachbarn Parteistellung in künftigen UVP-Feststellungverfahren eingeräumt, damit ein negativer UVP-Feststellungsbescheid auch ihnen gegenüber bindend ist.
In einer aktuellen Entscheidung vom 27.07.2016, Ro 2014/06/0008, setzte der VwGH seine Rechtsprechung zur Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden fort. Er wies die Beschwerde einer anerkannten Umweltorganisation ab, die im Jahr 2013 Rechtsmittel gegen einen negativen UVP-Feststellungsbescheid aus dem Jahr 2010 erhoben hatte, in welchem die UVP-Pflicht einer Umfahrung verneint wurde.
Der VwGH führte aus, dass einer anerkannten Umweltorganisation erst seit Inkrafttreten der UVP-G-Novelle aus 2012 im UVP-Feststellungsverfahren Parteistellung zukommt und ihr gegenüber deshalb der negative UVP-Feststellungsbescheid aus 2010 keine Bindungswirkung entfaltet. Er wies aber darauf hin, dass nach der UVP-Richtlinie auch einer anerkannten Umweltorganisation wie einem Nachbarn ein effektiver Rechtsbehelf zur Verfügung stehen muss, um die Rechtmäßigkeit der Feststellungsentscheidung anzufechten. Dies werde dadurch gewährleistet, dass eine anerkannte Umweltorganisation in den Materienverfahren vorbringen darf, dass das Projekt einer UVP zu unterziehen ist. Das gelte, so der VwGH, nicht nur für Projekte, in denen ein negativer UVP-Feststellungsentscheidung vor der UVP-G-Novelle 2012 ergangen ist, sondern auch für solche, in denen überhaupt kein UVP-Feststellungsverfahren durchgeführt wurde.
Diese Entscheidung birgt einiges an Brisanz für die Rechtssicherheit bei Vorhaben. Im Unterschied zu anerkannten Umweltorganisationen räumen die meisten Materienverfahren den Nachbarn ausdrücklich die Parteistellung ein. Sie werden daher von den zuständigen Behörden den Genehmigungsverfahren beigezogen und müssen Bedenken zur UVP-Pflicht, die sie nach der VwGH-Entscheidung aus 2015 geltend machen dürfen, in diesen Verfahren artikulieren. Die Genehmigungsbescheide werden ihnen zugestellt und erlangen ihnen gegenüber nach Ablauf der Rechtsmittelfristen Rechtskraft.
Da anerkannte Umweltorganisationen keine ausdrückliche gesetzliche Parteistellung in den Materienverfahren haben, werden sie – bisher – den Genehmigungsverfahren nicht beigezogen und Bescheide werden an sie nicht zugestellt. Soweit Rechtsmittelfristen auf die Zustellung des Bescheides abstellen, werden sie nicht in Gang gesetzt. Es kommt auf die verfahrensrechtlichen Bestimmungen in den jeweiligen Materienverfahren an, ob und gegebenenfalls wann eine anerkannte Umweltorganisation ihre Parteistellung zur Geltendmachung einer UVP-Pflicht verliert.
Für einen Projektwerber kann sich daher die Frage der UVP-Pflicht zu einem Zeitpunkt stellen, in dem er längst nicht mehr mit einer Anfechtung seiner Projektgenehmigungen rechnet. Die UVP-G-Novelle aus 2016 gestattet zwar unter gewissen Voraussetzungen das Recht zur Errichtung und zum Betrieb des Vorhabens bis zu drei Jahren, wenn eine Genehmigung aufgehoben wird. Im worst case werden aber Investitionen, die im Vertrauen auf vermeintlich rechtskräftige behördliche Entscheidungen getätigt wurden, endgültig wertlos.
Fazit: Anerkannte Umweltorganisationen sind an UVP-Feststellungsbescheide vor 2012 nicht gebunden und können nachträglich prüfen lassen, ob ein Vorhaben UVP-pflichtig ist.
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