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Das neue Lieferkettengesetz aus arbeitsrechtlicher Perspektive

Update Arbeitsrecht 12/2022

Dezember 2022

I. Einführung

Ab dem kommenden Jahr verpflichtet der Gesetzgeber viele Unternehmen in Deutschland zur Übernahme von mehr Verantwortung für die Menschenrechte und die Umwelt entlang ihrer Lieferketten. Der Entwurf für das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“ (kurz: LkSG) wurde im Juni 2021 vom Bundestag beschlossen und passierte kurze Zeit später auch den Bundesrat. Ab dem 1. Januar 2023 wird es auf alle Unternehmen in Deutschland mit mindestens 3.000 Beschäftigten Anwendung finden. Mit Beginn des Jahres 2024 wird die Schwelle auf 1.000 Beschäftigte absinken. 

Die sich aus dem Gesetz ergebenden Verpflichtungen sind anhand der jeweiligen Einflussmöglichkeit abgestuft. Je mehr Einfluss ein Unternehmen ausüben kann, desto stärker sind die Verpflichtungen, die es zu erfüllen hat. Unterschieden wird zwischen dem eigenen Geschäftsbereich (§ 2 Abs. 6 LkSG), dem Handeln der Vertragspartner (§ 2 Abs. 7 LkSG) und dem Handeln weiterer, mittelbarer Zulieferer (§ 2 Abs. 8 LkSG).

Welche arbeitsrechtlichen Implikationen das neue Lieferkettengesetz hat, fassen wir in unserem Schwerpunktbeitrag für Sie zusammen.

II. Ziel und Umfang der Sorgfaltspflichten

Das Ziel der Sorgfaltspflichten findet sich in § 3 Abs. 1 S. 1 LkSG wieder. Deren Einhaltung soll dazu dienen, den menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken vorzubeugen oder sie zu minimieren oder die Verletzung menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten zu beenden. Jedoch begründen die Sorgfaltspflichten keine Erfolgspflicht, sondern nur eine Bemühenspflicht (BT-Drucksache 19/28649, S. 2). Die Unternehmen müssen also nicht für jede Menschenrechtsverletzung in ihren Lieferketten einstehen. Vielmehr verstoßen sie nur dann gegen das LkSG, wenn sie die Menschenrechtsverletzung mit der vom Gesetz verlangten Sorgfalt hätten erkennen und verhindern können.

Wie weit diese Pflicht reicht, richtet sich nach § 3 Abs. 2 LkSG. Die dort aufgelisteten Kriterien für die Angemessenheit, nämlich

  • Art und Umfang der Geschäftstätigkeit des Unternehmens (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 LkSG),
  • das Einflussvermögen des Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG), 
  • die typischerweise zu erwartende Schwere der Verletzungen (§ 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG) und 
  • der Verursachungsbeitrag des Unternehmens (§ 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG), 

bestimmen, welche Anforderungen an das Unternehmen bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichten gestellt werden. Dabei gilt: Je größer das Einflussvermögen des Unternehmens, je schwerer und wahrscheinlicher die zu erwartenden Verletzungen und je größer der Verursachungsbeitrag des Unternehmens, desto größere Anstrengungen muss das Unternehmen tätigen, um den Anforderungen der Sorgfaltspflichten zu genügen.

Entscheidend ist, dass das Unternehmen die Kriterien des § 3 Abs. 2 LkSG beachtet sowie sorgfältig und plausibel gegeneinander abwägt, ehe es die Sorgfaltspflichten umsetzt. Sollte es anschließend zu Menschenrechtsverletzungen kommen, so hat das Unternehmen dennoch alles Erforderliche getan.

Im Einzelnen müssen Unternehmen folgenden Sorgfaltspflichten nachkommen:

  • Einrichtung eines Risikomanagements, einschließlich der Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit zur Überwachung des Risikomanagements (§ 4 LkSG)
  • Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen (§ 5 LkSG)
  • Abgabe einer Grundsatzerklärung sowie Ergreifung und Verankerung weiterer Präventionsmaßnahmen (§ 6 LkSG)
  • Ergreifung von Abhilfemaßnahmen (§ 7 LkSG)
  • Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens (§ 8 LkSG)
  • Dokumentation und Berichterstattung (§ 10 LkSG)

III. Arbeitsrechtliche Implikationen des LkSG

Für Arbeitsrechtler und Personalverantwortliche stellt sich die Frage, ob das LkSG arbeitsrechtliche Auswirkungen hat und – wenn ja – welche. Nachfolgend daher ein Überblick über die wichtigsten arbeitsrechtlichen Implikationen des LkSG.

1.    Individualarbeitsrechtliche Auswirkungen

Die individualarbeitsrechtlichen Auswirkungen des LkSG sind überschaubar. 

Da die Unternehmen nach § 6 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 LkSG eine Grundsatzerklärung über ihre menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen an die Beschäftigten formulieren müssen, wird es regelmäßig sinnvoll sein, die Mitarbeiter individualrechtlich zur Beachtung der Vorgaben des LkSG zu verpflichten. Damit einher geht häufig die Überarbeitung von unternehmensinternen Richtlinien, Handbüchern oder Guidelines. Um die Vorgaben des LkSG auf individualarbeitsrechtlicher Ebene zu implementieren, könnte etwa auf das Weisungsrecht des Arbeitgebers, eine Klausel im Arbeitsvertrag (bzw. eine entsprechende Zusatzvereinbarung) oder auch eine Betriebsvereinbarung zurückgegriffen werden.

2.    Kollektivarbeitsrechtliche Auswirkungen

a)    Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses

Mit Einführung des LkSG kommt es auch zu einer Änderung des § 106 Abs. 3 BetrVG. Der dortige Katalog wird um eine Nr. 5 lit. b) erweitert. Zukünftig wird der Wirtschaftsausschuss insbesondere auch über Fragen der unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten rechtzeitig und umfassend zu unterrichten sein. Die Unterrichtung muss – wie gewohnt – unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen erfolgen (§ 106 Abs. 2 S. 2 BetrVG).

Der tatsächliche Umfang und die Reichweite der kommenden Unterrichtungspflicht ist noch unklar. Der weit gefasste Wortlaut der Norm spricht zunächst dafür, dass alle Fragen bezüglich der Umsetzung der Sorgfaltspflichten (§§ 3 – 10 LkSG) erfasst sein würden. Für eine Beschränkung des Anwendungsbereichs sprechen aber Sinn und Zweck der Norm. Sinnvollerweise ist der Anwendungsbereich der Norm daher auf solche wirtschaftlichen Angelegenheiten beschränkt, die mit den genannten Regelbeispielen in § 106 Abs. 3 BetrVG vergleichbar sind. Ferner besteht die Informationspflicht nur dann, wenn die Interessen der Arbeitnehmer des betreffenden Unternehmens – und nicht nur die Interessen von Lieferanten – wesentlich berührt werden können (vgl. den Wortlaut des Auffangtatbestands in § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG).

Daher ist der Wirtschaftsausschuss insbesondere über Investitionsvorhaben zu unterrichten. Dazu gehören z. B. eingeplante Aufwendungen für erforderliche Mitarbeiterschulungen zum LkSG oder die Einrichtung eines unternehmensinternen Beschwerdeverfahrens unter Nutzung spezieller IT-Lösungen. In Betracht kommen ferner vor allem Informationen zur konkreten Umsetzung und zu anlassbezogenen Aktualisierungen der sich aus dem LkSG ergebenden Pflichten bezüglich der Errichtung eines Risikomanagements (§ 4 LkSG), der Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen (§ 5 LkSG), der Verankerung von Präventionsmaßnahmen (§ 6 LkSG) und der Ergreifung von Abhilfemaßnahmen (§ 7 LkSG). 

b)    Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats

Wichtig zu wissen: Das LkSG regelt keine neuen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats, insbesondere kann der Betriebsrat nicht per se auf die Einhaltung der Umsetzung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten drängen. Allerdings können bei der Umsetzung der Vorgaben aus dem LkSG allgemeine Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats einschlägig sein.

In Betracht kommen folgende Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats:

  • Betreffen Vorgaben bei der Errichtung eines Risikomanagements (§ 4 LkSG) das Verhalten der Mitarbeiter im Betrieb, kommt ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in Betracht. Entscheidend ist, dass die Verhaltensregeln über die bloße Konkretisierung der Arbeitsleistung hinausgehen müssen. Wird bei der Umsetzung des Risikomanagements auf digitale Systeme zurückgegriffen, kann darüber hinaus das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG betroffen sein, sofern zumindest auch eine Leistungs- und Verhaltenskontrolle der Arbeitnehmer ermöglicht wird. 
  • Verwendet das Unternehmen bei der Durchführung der Risikoanalyse (§ 5 LkSG) standardisierte Fragebögen, um seine Mitarbeiter zu befragen, ist unter Umständen wegen § 94 Abs. 1 BetrVG die Zustimmung des Betriebsrats bezüglich der Einführung und der inhaltlichen Ausgestaltung des Fragebogens erforderlich. Das Mitbestimmungsrecht entfällt jedoch, sofern die erhobenen Daten keinem einzelnen Mitarbeiter zugeordnet werden können. Bei der Verwendung digitaler Systeme ist wiederum ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG denkbar.
  • Bei der Ergreifung von Präventionsmaßnahmen (§ 6 LkSG) müssen Unternehmen in relevanten Geschäftsbereichen Schulungen und Weiterbildungen durchführen (§ 6 Abs. 3 Nr. 3 LkSG). Einschlägig wird regelmäßig das Mitbestimmungsrecht des § 98 Abs. 6 BetrVG sein, da es sich zumeist um „sonstige Bildungsmaßnahmen“ handeln wird. Werden die risikobasierten Kontrollmaßnahmen zur Überprüfung der entwickelten Menschenrechtsstrategie mit Hilfe von digitalen Systemen durchgeführt, kann sich wieder ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ergeben. Sollen im Einkauf neue Vergütungsmodelle etabliert werden, um einen Anreiz zur Compliance mit den LkSG-Vorgaben zu setzen, wäre der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beteiligen. 
  • Führt das Unternehmen Abhilfemaßnahmen (§ 7 LkSG) durch, so kommen, je nach Inhalt der Maßnahme, verschiedene Mitbestimmungstatbestände in Betracht. Werden Maßnahmen im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ergriffen, so kann sich ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ergeben. Ferner muss der Betriebsrat nach § 89 Abs. 2 S. 2 BetrVG umfassend beteiligt werden, wenn es um Auflagen oder Anordnungen geht, die den Arbeitsschutz, die Unfallverhütung oder den betrieblichen Umweltschutz betreffen. Der Betriebsrat ist beispielsweise zu unterrichten und beratend hinzuzuziehen, wenn Arbeitsplätze aufgrund erkannter umweltbezogener Risiken umgestaltet werden müssen, (§ 90 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 BetrVG).
  • Beim Errichten des Beschwerdeverfahrens (§ 8 LkSG) kann der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu beteiligen sein, sofern das Beschwerdeverfahren digital ausgestaltet ist und eine Identifikation der Beschäftigten ermöglicht. Nach der ständigen Rechtsprechung sind technische Einrichtungen – unabhängig von der subjektiven Überwachungsabsicht des Arbeitgebers – bereits dann zur Überwachung bestimmt, wenn diese objektiv geeignet sind, Informationen über das Verhalten und die Leistung des Arbeitnehmers zu erheben und aufzuzeichnen. Ferner kommt ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in Betracht, sofern verbindliche Vorgaben bezüglich der Art und Weise der Meldung von Hinweisen gemacht werden, etwa wenn die Mitarbeiter zur Anzeige verpflichtet werden. Dies ist der Fall, wenn durch die getroffenen Regelungen das soziale Zusammenleben im Betrieb faktisch geordnet wird. Es ist aber auch möglich, die nach § 8 Abs. 2 LkSG aufzustellende Verfahrensordnung in einen allgemeinen, mitbestimmungsfreien Teil und einen mitbestimmungspflichtigen Teil aufzuspalten. Zudem bietet es sich an, das Verfahren mit anderen existenten Beschwerdemanagementsystemen (etwa solchen auf Basis der sog. „Whistleblower-Richtlinie“) zu kombinieren. Sollte das Unternehmen sich dazu entscheiden, das Beschwerdeverfahren durch einen standardisierten Fragebogen zu ersetzen, so kommt wiederum ein Mitbestimmungsrecht nach § 94 BetrVG in Betracht.

c)    Unterrichtung des Betriebsrats

Zuletzt muss der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über sämtliche geplante Maßnahmen informiert werden, die zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten des LkSG ergriffen werden sollen und sich auf die Arbeitnehmer kollektiv auswirken werden oder können. Schließlich muss der Betriebsrat seiner Aufgabe, darüber zu wachen, dass geltende Gesetze zugunsten der Arbeitnehmer durchgeführt werden, gerecht werden können (vgl. § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).

IV.    Ausblick / Fazit

Das LkSG ist ein wichtiger Schritt für den weltweiten Schutz von Menschenrechten und der Umwelt. Es verpflichtet Unternehmen, sich darum zu bemühen, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken zu erkennen und zu minimieren. Die Sorgfaltspflichten des LkSG stellen Unternehmen vor große Herausforderungen. Ihre Umsetzung beansprucht personelle und finanzielle Ressourcen. Weitere Schwierigkeiten bereitet der bisweilen abstrakte und unklare Gesetzeswortlaut. Da die geforderte Umsetzung von den Möglichkeiten des einzelnen Unternehmens abhängt, lassen sich keine pauschalisierten Aussagen treffen. Vielmehr müssen sich die Unternehmen Stück für Stück an die in ihrem Fall angemessene Umsetzung der Sorgfaltspflichten herantasten.


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Autoren

Dr. Anja Naumann, LL.M. (University of Edinburgh)