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BGH konkretisiert Handlungspflichten des Unterlassungsschuldners im Verfügungsverfahren

Udate Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht 09/18

September 2018

Trotz teils deutlicher Kritik im Vorfeld ist der Bundesgerichtshof (BGH) mit dem Beschluss „Produkte zur Wundversorgung“ vom Oktober 2017 seiner Linie zur Reichweite der Unterlassungspflicht im Ergebnis treu geblieben. Danach treffen auch den Schuldner eines im Wege einer einstweiligen Verfügung erwirkten Unterlassungstitels weitreichende Pflichten zur Einwirkung auf Dritte. Diese soll der Schuldner zwar lediglich auffordern müssen, die betroffenen Produkte vorerst nicht weiterzuvertreiben. Diese Abschwächung des Rückrufs im Verfügungsverfahren bringt dem Schuldner in der Praxis aber nur wenig Entlastung. Zudem führt die Pflicht des Schuldners zur Vornahme „möglicher, erforderlicher und zumutbarer“ Maßnahmen in der praktischen Umsetzung nach wie vor zu Rechtsunsicherheit.

Entscheidung des BGH

Der BGH hat seine Rechtsprechung zu den Pflichten des Unterlassungsschuldners seit einiger Zeit erheblich verschärft. In einem Beschluss vom September 2016 hatte der BGH bereits klargestellt, dass der Schuldner einer wettbewerbsrechtlichen Unterlassungspflicht Produkte aus den Vertriebswegen zurückrufen muss (Az.: I ZB 34 / 15 – Rückruf von RESCUE-Produkten). Mit der Entscheidung „Produkte zur Wundversorgung“ (Beschl. v. 11. Oktober 2017, Az.: I ZB 96 / 16) schreibt der BGH diese Rechtsprechung für das einstweilige Verfügungsverfahren fort. Da der Beschluss anders als die wettbewerbsrechtliche Entscheidung aus dem Jahr 2016 zum Markenrecht ergangen ist, besteht nun kein Zweifel mehr an der Anwendbarkeit der vom BGH aufgestellten Grundsätze auf alle gewerblichen Schutzrechte.

Der Schuldnerin war mit einstweiliger Verfügung der Vertrieb von Produkten zur Wundversorgung in einer markenverletzenden Aufmachung untersagt worden. Die Schuldnerin ließ die Produkte daraufhin „in Quarantäne buchen“ und meldete sie in der Lauer-Taxe als „außer Vertrieb“. Mittels eines Testkaufs stellte die Gläubigerin fest, dass die von der einstweiligen Verfügung erfassten Produkte nach wie vor über den pharmazeutischen Großhandel geliefert wurden, und stellte einen Ordnungsmittelantrag. Den landgerichtlichen Ordnungsmittelbeschluss hob das Oberlandesgericht Frankfurt mit der Argumentation auf, der Großhändler sei kein in die Vertriebsstruktur der Schuldnerin eingegliederter selbständiger Dritter, sodass ein Anspruch auf Rückruf nur unter den Voraussetzungen eines Beseitigungsanspruchs oder spezialgesetzlich geregelter Rückrufansprüche bestehe und von der titulierten Unterlassungspflicht nicht erfasst sei.

Die von der Gläubigerin hiergegen beim BGH eingelegte Rechtsbeschwerde hatte Erfolg. Zwar räumt der BGH ein, dass der Schuldner aufgrund der Vorläufigkeit der einstweiligen Verfügung nichts tun müsse, was ihm in unverhältnismäßiger Weise zum Nachteil seiner gewerblichen Tätigkeit gereiche und deshalb unzumutbar sei. Eine uneingeschränkte Rückrufpflicht bestehe im Verfügungsverfahren vor dem Hintergrund des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache im Grundsatz nur (noch) in Ausnahmefällen. Die Schuldnerin hätte den Großhandel allerdings zumindest auffordern müssen, die Produkte im Hinblick auf die einstweilige Verfügung vorerst nicht weiterzuvertreiben. Für die Auslösung dieser Pflicht genüge eine tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit. Da der Schuldner keinen Erfolg schulde, komme es auf einen Rechtsanspruch des Schuldners gegen seinen Abnehmer auf Befolgung der Aufforderung nicht an. Ihren so konkretisierten Pflichten sei die Schuldnerin nicht nachgekommen.

Folgen für die Praxis

Auf dem Papier hat der Bundesgerichtshof die Rückrufpflicht im einstweiligen Verfügungsverfahren zwar auf Ausnahmefälle beschränkt, etwa Produktpiraterie oder den Versuch des Schuldners, sich der Unterlassungspflicht durch schnelle Weiterveräußerung der Produkte zu entziehen. In der Praxis führt dies allerdings nur zu einer kaum spürbaren Entlastung des Unterlassungsschuldners.

Schon die Aufforderung des Unterlassungsschuldners an seine Abnehmer, die betroffenen Waren im Hinblick auf die einstweilige Verfügung vorerst nicht weiterzuvertreiben, kann einen erheblichen Reputationsschaden bewirken, der auch bei einer späteren Aufhebung der einstweiligen Verfügung nicht mehr vollständig wiedergutzumachen ist. Im Einzelfall kann eine solche Aufforderung durchaus zur Zurücksendung der gesamten von der Unterlassungspflicht betroffenen Ware durch den Abnehmer an den Schuldner führen. Und bei schnell verderblichen Produkten oder Saisonware droht Unverkäuflichkeit.

Auch muss der Schuldner die Frage, welche Maßnahmen für den Unterlassungsschuldner möglich, erforderlich und zumutbar sind, regelmäßig in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko beantworten. Im Zweifelsfall wird man dem Schuldner empfehlen müssen, eher mehr als weniger zu tun. Da der Schuldner sich gerade bei Beschlussverfügungen nur sehr begrenzt verteidigen kann und der Unterlassungstenor die zu ergreifenden Maßnahmen üblicherweise nicht konkretisiert, wird die Entscheidung über die ordnungsgemäße Befolgung einer einstweiligen Verfügung weitgehend in das Vollstreckungsverfahren verlagert. Das vom BGH angesprochene Korrektiv des Verschuldenserfordernisses für die Verhängung von Ordnungsmitteln hilft hier nicht weiter. Ein Vollstreckungsgericht wird in der Praxis kaum von schuldlosem Handeln ausgehen, wenn ein Schuldner die vom Gericht für erforderlich gehaltenen Maßnahmen nicht ergriffen hat. 

Auf Gläubigerseite droht nach wie vor der Schadensersatzanspruch des § 945 ZPO im Fall der späteren Aufhebung der einstweiligen Verfügung. Anders als im Hauptsacheverfahren kann der Gläubiger aufgrund des Vollziehungserfordernisses aber mit der Vollstreckung des Titels nicht warten. Eine Vollziehung unter Ausklammerung des Rückrufs kann zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung wegen nachträglichen Verlusts der Dringlichkeit führen. Der Gläubiger sollte daher zur Reduzierung des Schadensersatzrisikos – auch nach der Beschränkung der Rückrufpflicht im einstweiligen Verfügungsverfahren durch das jüngste Urteil – sorgfältig prüfen, ob Ansprüche auf Rückruf bei der Antragstellung ausdrücklich ausgeklammert werden sollten.

Für den Schuldner wiederum bergen Unterlassungserklärungen, die einen Rückruf bei Dritten ausdrücklich ausschließen, Risiken. Denn wenn man der Rechtsprechung des BGH folgt, lässt eine auf diese Weise beschränkte Unterlassungserklärung die Wiederholungsgefahr nicht entfallen.

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Autoren

Dr. Heike Freund, LL.M., Maître en droit