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Kein Vertragsschluss bei Zuschlagsschreiben mit geänderten Ausführungsfristen (BGH, Urteil vom 03.07.2020 – VII ZR 144/19)

Update Real Estate & Public 04/2021

April 2021

Hintergrund

Ändern sich im Laufe eines Vergabeverfahrens Umstände, die unmittelbar auf den Vertragsinhalt Einfluss haben, so sehen sich Auftraggeber und Bieter mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass eine Zuschlagserteilung auf ein Angebot erfolgen müsste, das nach den geänderten Umständen so nicht mehr realisiert werden kann.

In dem vom BGH (Urteil vom 03.07.2020 – VII ZR 144/19) entschiedenen Fall waren Straßenbauarbeiten ausgeschrieben worden, wobei in den Vergabeunterlagen der früheste Beginn der Bauarbeiten sowie der spätestmögliche Fertigstellungszeitpunkt festgelegt waren. Das Vergabeverfahren verzögerte sich jedoch aufgrund eines Nachprüfungsverfahrens. Infolgedessen konnten die ursprünglich vorgesehenen Ausführungstermine nicht mehr realisiert werden. In dem Schreiben, mit dem der Auftraggeber der späteren Klägerin den Zuschlag erteilte, fand sich ein Zusatz, wonach die Vertragsfristen der Besonderen Vertragsbedingungen mit einem neuen frühestmöglichen Ausführungsbeginn und einem neuen spätesten Fertigstellungstermin neu festgelegt wurden. Die Auftraggeberin forderte die Zuschlagsempfängerin auf, sich „gemäß § 18 Abs. 2 VOB/A bzw. § 18 EU Abs. 2 VOB/A unverzüglich über die Annahme des vorliegenden Zuschlagsschreibens zu erklären“. Daraufhin teilte die spätere Klägerin dem Auftraggeber schriftlich mit, dass der gewünschte Realisierungszeitraum derzeit nicht bestätigt werden könne und noch geprüft werde. Ferner wies sie darauf hin, dass ggf. Mehrkosten infolge der Verzögerung geltend gemacht würden. Bei der anschließend stattfindenden Bauablaufberatung pflegte sie die geänderten Termine in den Bauablaufplan ein und verlangte nochmals ausdrücklich den Ersatz ihrer Mehrkosten. Drei Wochen nach dieser gemeinsamen Beratung teilte der Auftraggeber der Klägerin mit, dass durch das Zuschlagsschreiben kein Vertrag zustande gekommen sei. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin u. a. die Feststellung, dass der erteilte Zuschlag zu einem Vertragsschluss geführt habe.

Entscheidung

Die Klage blieb ohne Erfolg. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz (OLG Naumburg, Urteil vom 07.06.2019 – 7 U 69/18) wertete der BGH das Zuschlagsschreiben als eine sog. modifizierende Annahme. Wird die Annahme eines Vertragsangebotes unter Bedingungen erklärt, die vom Angebot abweichen, so kommt durch eine solche Annahmeerklärung nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln kein Vertrag zustande. Vielmehr ist die Annahmeerklärung als neues Angebot mit den entsprechend geänderten Vertragsbedingungen anzusehen, das der Rückbestätigung durch die Gegenseite – hier des Bieters – bedarf. So ist es nach dem BGH auch in vergaberechtlichen Fällen zu beurteilen: Stellt der Auftraggeber im Zuschlagsschreiben Bedingungen, die vom Angebot des Bieters abweichen, so führt diese Erklärung, auch wenn sie als Zuschlag bezeichnet ist, nicht zum Vertragsschluss, sondern stellt ein neues Angebot dar, das vom Bieter angenommen werden kann. Dies hatte die Klägerin nach Auffassung des BGH nicht getan, da sie sowohl zunächst schriftlich als auch sodann in der Bauanlaufberatung erklärte, die Arbeiten nur auszuführen, wenn ihr eine zusätzliche Vergütung zugesprochen würde. Da nach diesem Hergang zu keinem Zeitpunkt zwei inhaltlich deckungsgleiche Angebots- und Annahmeerklärungen vorlagen, ist nach Auffassung des BGH ein Vertrag nicht zustande gekommen.

Praxistipp

Bieter stehen in solchen Fällen vor der schwierigen Entscheidung, entweder einen Zuschlag mit den unliebsamen Änderungen zu akzeptieren oder Gefahr zu laufen, dass ihnen der bereits greifbare Auftrag doch noch entgeht. Um Letzteres zu vermeiden, bleibt nur die Möglichkeit, das vom Auftraggeber veränderte Angebot uneingeschränkt anzunehmen und erst im Nachgang noch einmal eigene Änderungsvorschläge, etwa zum Bauzeitenplan, einzubringen und darauf zu hoffen, dass der Auftraggeber darauf eingeht. Zudem können nach früherer BGH-Rechtsprechung auch im Falle der vorbehaltlosen Vertragsannahme noch Zusatzkosten geltend gemacht werden; Verzögerungen, die durch Nachprüfungsverfahren entstehen, muss sich grundsätzlich der Auftraggeber verschuldensunabhängig zurechnen lassen.

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Autoren

Foto vonJakob Steiff
Dr. Jakob Steiff, LL.M. (Edinburgh)
Partner
Frankfurt