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Qualifizierung in Zeiten der digitalen Transformation

Update Arbeitsrecht 09/2019

September 2019

Viele Unternehmen stehen in Anbetracht der fortschreitenden Digitalisierung und Automatisierung von Arbeitsprozessen vor der Herausforderung, dass herkömmliche Stellen entfallen und neue Stellen mit neuen Anforderungsprofilen („skills“) geschaffen werden. Bestandsmitarbeiter müssen daher auf der Grundlage der bereits vorhandenen Qualifikationen weitergebildet werden („up-skilling“) oder sogar völlig neue Qualifikationen („re-skilling“) erwerben. Denkbar ist aber auch, dass einige Arbeitnehmergruppen nicht qualifiziert werden können. Der Bedarf, sie zu beschäftigen, entfällt. Zugleich müssen Mitarbeiter mit bislang im Unternehmen nicht vorhandenen Fähigkeiten eingestellt werden („new-hire“), was in Anbetracht des Fachkräftemangels mit weiteren Herausforderungen verknüpft ist. Die Komplexität wird schließlich noch dadurch erhöht, dass die sich abzeichnende Konjunkturabkühlung den Kostendruck in den Unternehmen (weiter) erhöht. Klassische Mittel der Restrukturierung stoßen hierbei an ihre Grenzen. Vor diesem Hintergrund gilt es – unter Berücksichtigung arbeitsrechtlicher Gestaltungsmittel – kluge Konzepte zu entwickeln.

1. Klassische Mittel der arbeitsrechtlichen Restrukturierung

Zur Bewältigung der skizzierten Herausforderungen helfen die bisher gängigen Instrumente nur bedingt weiter, auch wenn sie weiterhin oftmals Bausteine von Restrukturierungen sind.

Personalabbau mit Sozialplan

Die Erstellung eines arbeitsrechtlich tragfähigen Personalabbaukonzepts ist in Anbetracht der vorstehend aufgezeigten Gesamtsituation eine besondere Herausforderung. Der Beschäftigungsbedarf als solcher besteht nämlich im Wesentlichen fort. Es ändern sich zunächst lediglich die Anforderungen an die Stellen. Wann ist von einem Wegfall der bisherigen Stelle auszugehen? Wann handelt es sich um eine „neue“ Stelle? Entschließt sich der Unternehmer zu betriebsbedingten Kündigungen, müsste wiederum dargelegt werden, dass der Betroffene innerhalb der erforderlichen Zeit nicht für anderweitige freie Arbeitsplätze hätte qualifiziert werden können. Freie Stellen wären wiederum nach Maßgabe einer Sozialauswahl analog zu besetzen. Ein solches Personalabbaukonzept beinhaltet daher per se viele Einfallstore für die Unwirksamkeit etwaiger Kündigungen. Hinzu kommt die Überlegung, dass Leistungen in einem Sozialplan für Mitarbeiter aufgewendet würden, die dem Unternehmen in der Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen. Geld, das für ein Investment in die Bestandsmitarbeiter fehlen könnte.

Freiwilligenprogramme

Zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen und um einen Personalabbau einvernehmlich und „geräuschlos“ zu bewirken, kommen häufig Freiwilligenprogramme zur Anwendung. Als Anreize für den zügigen Abschluss eines Aufhebungsvertrags dienen hierbei attraktive Abfindungen und Sprinterprämien. Daneben kommen insbesondere für ältere Arbeitnehmer Altersteilzeit- und Vorruhestandsmodelle in Betracht. Auch wenn der Arbeitgeber an sich steuern kann, wer letztlich das Unternehmen verlässt, führen Freiwilligenprogramme regelmäßig dazu, dass sich aus Sicht des Unternehmens „die Falschen“ melden, die zum Teil dann auch das Unternehmen verlassen. Hinzu kommt, dass auch auf diesem Weg regelmäßig Geld für Mitarbeiter aufgewendet wird, die künftig nicht mehr zum Unternehmenserfolg beitragen und außerdem häufig zügig eine Anschlussbeschäftigung (bei einem Wettbewerber) finden.

Transfergesellschaft

Auch das Instrument der Transfergesellschaft nach Maßgabe von §§ 110 ff. SGB III dient letztlich dazu, Personal auf einvernehmlichem Wege abzubauen und teilweise auf Kosten des bisherigen Arbeitgebers für den externen Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Mag dies zwar ein „sozialverträgliches“ Instrument des Personalabbaus sein, so bedeutet auch dieses Instrument letztlich wieder, dass der Unternehmer in ehemalige Mitarbeiter investiert und nicht in die Bestandsmitarbeiter und deren Zukunft. Ungeachtet dessen wäre schon zweifelhaft, ob bei dem bestehenden Qualifizierungsbedarf überhaupt die Förderfähigkeit für Transferleistungen gegeben ist, weil die Mitarbeiter nicht von Arbeitslosigkeit im Sinne der gesetzlichen Voraussetzungen bedroht sein könnten.

2. Qualifizierungseinheit als zukunftsgewandtes Instrument der Restrukturierung

Die klassischen Instrumente der arbeitsrechtlichen Restrukturierung sind somit auf einen Abbau von Personal ausgerichtet und werden dem Umstand nicht gerecht, dass der Beschäftigungsbedarf im Zuge der digitalen Transformation mit veränderten Anforderungen bestehen bleibt. Der bloße Austausch von Personal führe wiederum zu hohen Kosten, Know-how-Verlust und ggf. sogar zu Imageschäden und wäre losgelöst davon arbeitsrechtlich nur schwer umsetzbar. Vorhandenes Budget sollte daher sinnvollerweise – soweit möglich – in die Qualifizierung der bestehenden Mitarbeiter investiert werden. Qualifizierungsmaßnahmen können hierbei nach entsprechender Versetzung in einem eigens geschaffenen „Qualifizierungsbetrieb“ des bisherigen Arbeitgebers oder aber nach einem entsprechenden Arbeitgeberwechsel in einer eigens geschaffenen Qualifizierungsgesellschaft erfolgen.

Qualifizierungsgesellschaft vorzugswürdig

Vor dem Hintergrund, dass bisherige Tätigkeiten entfallen und völlig neue Qualifikationen erworben werden müssen, macht eine Qualifizierung „on the job“ regelmäßig wenig Sinn, auch wenn dies sicher nicht pauschal beantwortet werden kann. Es bietet sich daher an, die Qualifizierungsmaßnahmen und die zu qualifizierenden Mitarbeiter organisatorisch in einer Qualifizierungseinheit zu bündeln. Der Vorteil liegt hierbei in einem Steuerungs- und Transparenzgewinn. Zudem können maßgeschneiderte betriebliche Regelungen geschaffen werden. Innerhalb dieser Einheit erfolgt sodann die Qualifizierung der Mitarbeiter.

Die Bündelung in einem unternehmensinternen Qualifizierungsbetrieb ließe sich hierbei durch Versetzung bewirken. Etwaige Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach § 99 BetrVG müssten berücksichtigt werden. Die Mitarbeiter könnten während der Dauer der Qualifizierung weiterhin arbeitsvertragsgemäß beschäftigt oder – bei entsprechender arbeitsvertraglicher Gestaltung – auch in anderen Konzerngesellschaften eingesetzt werden. Einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis bedürfte es nicht, § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG.

Vorzugswürdig erscheint demgegenüber die Bündelung der Qualifizierungsmaßnahmen in einer eigenständigen Qualifizierungsgesellschaft. Arbeitsrechtlich muss zwar die hohe Hürde des einvernehmlichen Wechsels des Arbeitnehmers in die Qualifizierungsgesellschaft durch dreiseitige Vereinbarungen genommen werden, allerdings wäre dies mit dem gewichtigen Vorteil verknüpft, dass das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber (zunächst) endet. Hierdurch lässt sich dem Risiko begegnen, dass eine Qualifizierung nicht den gewünschten Erfolg zeitigt. Hinzu kommt, dass der erfolgreich qualifizierte Mitarbeiter nach entsprechender Bewerbung mit einem neuen, passgenauen Arbeitsvertrag in einer freien Stelle (des bisherigen Arbeitgebers) beschäftigt werden könnte. Während der Phase der Qualifizierung könnten die Mitarbeiter wiederum im Wege der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung bei ihrem bisherigen Arbeitgeber bedarfsgerecht eingesetzt werden. Ein solches Konzept verlangt die Berücksichtigung folgender Aspekte:

  • eine stringente Bündelung jeglicher Qualifizierungsaktivitäten in der Qualifizierungsgesellschaft,
  • eine klare Kommunikation darüber, welche Vorteile der Wechsel in die Qualifizierungsgesellschaft bietet und welche Konsequenzen drohen, wenn ein Wechsel nicht erfolgt,
  • der Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags mit der Qualifizierungsgesellschaft mit entsprechend weit gefasster Versetzungsklausel,
  • das Angebot maßgeschneiderter Qualifizierungspakete, die hinreichend attraktiv sind.

Darüber hinaus können die Leistungen in der Qualifizierungsgesellschaft beliebig erweitert werden. Denkbar wäre z. B., freiwillig für solche Mitarbeiter, die innerhalb des Konzerns keine Zukunft mehr haben, Bewerbertrainings oder sonstige typische Outplacementkomponenten anzubieten.

In jedem Fall muss im Falle der Bildung von Qualifizierungseinheiten sorgfältig geprüft werden, inwieweit Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats, z. B. aus § 97 Abs. 2 BetrVG (Maßnahmen der Berufsbildung), begründet werden.

Fördermöglichkeit durch Qualifizierungschancengesetz

Qualifizierungseinheiten können durch staatliche Weiterbildungszuschüsse seitens der Agentur für Arbeit teilfinanziert werden. Je nach Unternehmensgröße betragen die Zuschüsse bis zu 100 % der Weiterbildungskosten sowie bis zu 75 % des Arbeitsentgelts.

Die Weiterbildungsförderung basiert auf den §§ 81 ff. SGB III, die durch das Qualifizierungschancengesetz vom 1. Januar 2019 neu gefasst wurden. Die Förderung ist darauf ausgerichtet, Arbeitnehmern, die berufliche Tätigkeiten ausüben, die durch Technologien ersetzt werden können oder in sonstiger Weise vom Strukturwandel betroffen sind, eine Anpassung und Fortentwicklung ihrer beruflichen Kompetenzen zu ermöglichen.

Förderungsfähig sind Maßnahmen, durch die Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden und die über ausschließlich arbeitsplatzbezogene kurzfristige Anpassungsfortbildungen hinausgehen. Voraussetzung der Förderung ist, dass der Berufsabschluss des Mitarbeiters (mind. zweijährige Ausbildungsdauer) in der Regel mindestens vier Jahre zurückliegt, in den letzten vier Jahren keine Teilnahme an einer geförderten Maßnahme erfolgte und die Fortbildungsmaßnahme mindestens 160 Stunden beträgt (vgl. § 82 Abs. 1 SGB III).

Die Förderung umfasst insbesondere Lehrgangskosten i. S. d. §§ 82 Abs. 1, 84 SGB III. Sie setzt grundsätzlich eine Kostenbeteiligung des Arbeitgebers, abhängig von der Betriebsgröße, voraus (§ 82 Abs. 2 SGB III). Der Arbeitgeberzuschuss beträgt bei Betrieben mit bis zu 250 Mitarbeitern mindestens 50 %, bei Betrieben mit bis zu 2.500 Arbeitnehmern mindestens 75 % und bei Betrieben mit mehr als 2.500 Beschäftigten mindestens 85 % bzw. mindestens 80 % bei Vorliegen einer Betriebsvereinbarung über die berufliche Weiterbildung oder eines Tarifvertrages, der betriebsbezogen eine berufliche Weiterbildung vorsieht.

Darüber hinaus ist im Fall der bezahlten Freistellung ein Arbeitsentgeltzuschuss möglich (§ 82 Abs. 3 SGB III). Der Zuschuss beträgt in diesem Fall bei Betrieben mit bis zu zehn Mitarbeitern bis zu 70 %, bei Betrieben mit bis zu 250 Arbeitnehmern bis zu 50 % und bei Betrieben mit mehr als 250 Beschäftigten bis zu 25 %. Ein Arbeitsentgeltzuschuss kommt insbesondere für Qualifizierungsbetriebe in Betracht, da bei diesen eine Freistellung der Mitarbeiter zum Zwecke der Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen erfolgt.

Sofern ein Unternehmen sich für die Nutzung einer Qualifizierungsgesellschaft oder eines Qualifizierungsbetriebs entscheidet, müsste daher sorgfältig geprüft werden, inwieweit sich diese Maßnahme jeweils auf die Förderfähigkeit auswirkt. Hier ist im Vorfeld eine enge Abstimmung mit der Arbeitsagentur empfehlenswert.

„Arbeit-von-morgen-Gesetz“

Um mit Blick auf die Gefahr eines konjunkturellen Abschwungs einem Jobabbau entgegenzuwirken, plant das Arbeitsministerium zudem ein „Arbeit-von-morgen-Gesetz“, das zusätzliche Instrumente einer Perspektivqualifizierung beinhalten soll, um Beschäftigte im Unternehmen zu halten. Konkrete Einzelheiten sind indes noch nicht bekannt.

3. Fazit

Qualifizierungseinheiten stellen mithin ein zukunftsgewandtes Konzept dar, wie auf den Bedarf nach qualifizierten Fachkräften im Zuge des digitalen Wandels reagiert werden kann. Gegenüber klassischen Mitteln der Restrukturierung liegt der Vorteil darin, dass in die Zukunft der Mitarbeiter investiert wird, dass dies mit entsprechender Akzeptanz der Mitarbeiter verbunden sein wird, und nicht zuletzt, dass dies zugleich mit einem Imagegewinn einhergehen dürfte. Entsprechende Gestaltungen haben wir bereits mit einer Vielzahl von Mandanten umgesetzt. Bei Interesse sprechen Sie uns doch gerne an.


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