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Freie Hinauskündigung bei vermögensverwaltenden Familiengesellschaften?

Update Gesellschaftsrechtliche Gestaltung 04/2022

April 2022

Vermögensverwaltende Familiengesellschaften sind ein oft genutztes Vehikel in der Strukturierung und Nachfolge in privaten Vermögen. Zweck dieser Familiengesellschaften ist regelmäßig die langfristige generationenübergreifende Vermögensbildung und -sicherung in der Familie und für die Familie. Mit dem Einbringen des Familienvermögens in die Gesellschaft bzw. der Beteiligung von Familienmitgliedern an der Gesellschaft geben die Gründungsgesellschafter einen Teil ihres Vermögens bereits zu Lebzeiten aus der Hand (vorweggenommene Erbfolge). Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Gründungsgesellschafter oftmals ein Interesse daran haben, auf die Zusammensetzung des Gesellschafterkreises zu Lebzeiten noch „korrigierenden“ Einfluss nehmen zu können. Rechtstechnisch werden Ausschlussklauseln, Hinauskündigungsklauseln und freie Widerrufsrechte relevant. Gelegentlich wird auch der Wunsch hinterlegt, nach freiem Belieben über den Ausschluss der (künftigen) Mitgesellschafter entscheiden zu können. Nachfolgend werfen wir einen Blick darauf, ob und, falls ja, inwieweit eine freie Hinauskündigungsklausel in Gesellschaftsverträgen vermögensverwaltender Familiengesellschaften zulässig sein kann.

Grundsatz: Unzulässigkeit der freien Hinauskündigung

Eine sog. freie Hinauskündigungsklausel meint die gesellschaftsvertragliche Ermächtigung der Gesellschaftermehrheit oder eines Gesellschafters, über die Ausschließung eines Mitgesellschafters nach freiem Ermessen zu entscheiden. 

Der BGH hält freie Hinauskündigungsklauseln aufgrund des tiefen Eingriffs in die Gesellschafterrechte sowie in die wirtschaftliche und persönliche Freiheit des betroffenen Gesellschafters bei Personen- wie auch Kapitalgesellschaften im Grundsatz für sittenwidrig und damit nichtig (vgl. BGH NJW-RR 2007, 913, mwN). Die Möglichkeit einer freien Hinauskündigung schränke die Entscheidungsfreiheit der betroffenen Gesellschafter dermaßen ein, dass zu befürchten sei, dass der bedrohte Gesellschafter von seinen Rechten keinen Gebrauch macht und die ihm obliegenden Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt. Es drohe eine nicht zu billigende Willkürherrschaft der Gesellschaftermehrheit – das sog. Damoklesschwert der Hinauskündigung (BGH NJW 1985, 2421, 2422; NJW 1988, 1903, 1905).

Ausnahmsweise: Zulässigkeit einer freien Hinauskündigung

Der Grundsatz, dass ein Gesellschafter nicht ohne sachlichen Grund ausgeschlossen werden darf, besteht jedoch nicht ausnahmslos. Eine voraussetzungslose Hinauskündigungsklausel kann wirksam sein, wenn sie im Einzelfall wegen besonderer Umstände sachlich gerechtfertigt ist (st. Rspr., BGH NZG 2005, 479, 480). Für vermögensverwaltende Familiengesellschaften kommen insbesondere folgende von der Rechtsprechung anerkannte Ausnahmegestaltungen in Betracht:

a) Anknüpfen an ein festes Tatbestandsmerkmal

Eine (freie) Hinauskündigungsklausel kann wirksam sein, wenn sie an ein festes Tatbestandsmerkmal anknüpft und dadurch nicht zu jedem Zeitpunkt willkürlich ausgeübt werden kann (BGH NJW 1989, 834, 835). Sieht ein Gesellschaftsvertrag etwa vor, dass einem beim Tod eines Gesellschafters eintretenden Erben binnen einer (kurzen) Frist nach seinem Eintritt in die Gesellschaft gekündigt werden kann, sei keine willkürliche und missbräuchliche Handhabung zu befürchten. In der Praxis haben sich hierfür Fristen von drei Monaten bis zu einem Jahr etabliert.

Entsprechende Klauseln können bei der Gestaltung von Gesellschaftsverträgen von vermögensverwaltenden Familiengesellschaften interessant sein, sofern der verbleibende Gesellschafterkreis entscheiden können soll, ob die im Erbfall nachfolgende Generation an der gemeinsamen Verwaltung des Familienvermögens beteiligt werden darf. Bestehen zum Beispiel zwischen Gesellschafterstämmen bereits Spannungen auf persönlicher Ebene oder Zweifel an der fachlichen oder persönlichen Eignung aller oder einzelner Erben, kann ein präventiver Ausschluss gesellschafterliche Streitigkeiten vermeiden.

b) Finanzierung der Gesellschaft aufgrund eines persönlichen Vertrauensverhältnisses

Wird eine Gesellschaft durch einen oder mehrere Gesellschafter finanziert und einem anderen Gesellschafter aufgrund ihrer persönlichen Beziehung eine Mehrheitsbeteiligung und die Geschäftsführung eingeräumt, kann eine freie Hinauskündigung dieses Gesellschafters zulässig sein (BGH NJW 1990, 2622, 2623). Denn soweit sich der aufnehmende Gesellschafter mit dem von ihm gestellten Gesellschaftsvermögen ganz in die Hand des anderen Gesellschafters begibt, kann er im Fall der Beendigung der persönlichen Beziehung ein berechtigtes Interesse daran haben, die Gesellschafterstellung des aufgenommenen Gesellschafters ebenfalls beenden zu können.

Inwieweit diese Fallgruppe für die Gestaltung vermögensverwaltender Familiengesellschaften nutzbar gemacht werden kann, ist nicht pauschal zu beantworten. In einer vorausgegangenen Entscheidung hatte der BGH darauf hingewiesen, dass die Stellung als Gründungsgesellschafter allein die freie Hinauskündigung der Mitgesellschafter nicht rechtfertigen kann (BGH NJW 1985, 2421, 2422). Außerdem wird sich die übergebende Generation, wenngleich die Finanzierung der Familiengesellschaft typischerweise einseitig erfolgt, gerade nicht gänzlich „in die Hand“ der Mitgesellschafter begeben, sondern sich umfassende Sonderrechte (Mehrstimmrechte, Recht auf Geschäftsführung, Entnahmerechte etc.) vorbehalten. Die Stellung eines „echten“ Minderheitsgesellschafters wird es daher zumeist nicht geben.

Wenngleich also der von der Rechtsprechung entschiedene Einzelfall regelmäßig nicht einschlägig sein wird, spricht aus den zugrunde liegenden allgemeinen Grundsätzen einiges dafür, dass eine freie Hinauskündigung auch bei den typischen Gestaltungen vermögensverwaltender Familiengesellschaften gerechtfertigt sein kann:

  • Auch bei einem starken Minderheitsgesellschafter bleibt es bei dem Befund der Rechtsprechung, dass aufgrund eines persönlichen Zerwürfnisses eine Trennung auf Gesellschaftsebene regelmäßig nicht erfolgversprechend betrieben werden kann (BGH NJW 1990, 2622, 2623).
  • Außerdem kommt es nach der Rechtsprechung entscheidend darauf an, ob die Gesellschafterposition von vorneherein nur für die Zeit eingeräumt werden sollte, zu der das persönliche Vertrauensverhältnis besteht (BGH NJW 1990, 2622, 2623). Da eine vermögensverwaltende Familiengesellschaft der vorweggenommenen Erbfolge dient, wird dies typischerweise angenommen werden können.
  • Im Übrigen kann der Grundsatz der Testierfreiheit eine sachliche Rechtfertigung für eine freie Hinauskündigung im Zusammenhang mit der Nachfolge von Todes wegen darstellen (BGH NJW-RR 2007, 913, 914). Könnte ein Erblasser das mit der freien Hinauskündigung verfolgte Ziel rechtlich unbedenklich mittels testamentarischer Verfügung verwirklichen, spricht dies dafür, dass auch die freie Hinauskündigung sachlich gerechtfertigt ist. Ein Erblasser wäre grundsätzlich ohne weiteres in der Lage, einen oder mehrere Erben von der Erbfolge ganz oder zumindest teilweise auszuschließen. Folglich sollte ihm diese Möglichkeit auch im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge eingeräumt werden können.

Abfindungsbeschränkungen

Die einem ausscheidenden Gesellschafter im Grundsatz zustehende (Verkehrswert-)Abfindung (§ 738 Abs. 1 S. 2 BGB) kann gesellschaftsvertraglich beschränkt werden (BGHZ 116, 359, 368). In der Praxis soll gerade in den obenstehenden Fallvarianten oftmals keine oder nur eine eingeschränkte Abfindung geschuldet sein.

Ein vollständiger Abfindungsausschluss ist grundsätzlich unwirksam, kann jedoch zum Nachteil eines ausgeschlossenen Gesellschafter-Erben vereinbart werden (BGH NJW 1957, 180, 181). Im Übrigen kommt lediglich eine angemessene Beschränkung des Abfindungsanspruchs in Betracht. Verbreitet wird als „Faustregel“ eine Grenzziehung bei zwei Dritteln des gesetzlichen Abfindungsanspruchs genannt. Auch wenn die Wirksamkeit einer Hinauskündigungsklausel von der Wirksamkeit der gesellschaftsvertraglichen Abfindungsregelung unabhängig ist (BGH NJW 1989, 834; 835 mwN), sollten beide Regelungen mit entsprechender Vorsicht gestaltet werden.

Praxistipp

Eine freie Hinauskündigungsklausel ist ein besonderes Gestaltungselement im Rahmen der Errichtung einer vermögensverwaltenden Familiengesellschaft. Sie kann der übergebenden Generation größtmögliche Freiheit bezüglich des Gesellschafterkreises gewähren und damit ein Aus-der-Hand-Geben eines Teils ihres Vermögens psychologisch erleichtern.

Während der Ausschluss eines Erben aus der Gesellschaft rechtssicher gestaltbar ist, besteht im Zusammenhang mit dem freien Ausschluss eines aus persönlichen Gründen aufgenommenen Gesellschafters in eine finanzierte Gesellschaft keine entsprechende Klarheit. Es bestehen jedoch gute Gründe für die Übertragbarkeit der anerkannten Fallgruppen zulässiger Hinauskündigungsklauseln auf typische Sachverhalte einer vermögensverwaltenden Familiengesellschaft. Daher kann eine freie Hinauskündigungsklausel eine interessante Gestaltungsmöglichkeit bieten, die es bei Bedarf bewusst zu nutzen gilt.

In der Praxis wird die Gesellschafterstellung oftmals im Rahmen eines Schenkungsvertrages zugewendet, sodass neben der Möglichkeit der Hinauskündigung auf Ebene der Gesellschaft auch die Möglichkeit eines Widerrufs auf Ebene des Schenkungsvertrages besteht. Aufgrund der fehlenden Rechtssicherheit bei einer freien Hinauskündigung dürfte der gestalterische Fokus in der Praxis auch künftig auf der Gestaltung zweckmäßiger Widerrufsrechte liegen.

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Autoren

Foto vonStephan Pulvermacher
Stephan Pulvermacher
Senior Associate
Stuttgart