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Befreiung von Abstandsvorschriften zur Deckung dringenden Wohnbedarfs

Update Real Estate & Public 09/2018

September 2018

Hintergrund

Maßnahmen zur angemessenen Deckung des Bedarfs an Wohnraum stehen seit langem im Fokus der wohnungspolitischen Diskussion. Nachdem bereits im Jahr 1993 Erleichterungen in das Bauplanungsrecht aufgenommen worden waren, ist die Deckung dringenden Wohnbedarfs im Jahr 1996 in Form von § 56 Abs. 5 S. 2 auch in die baden-württembergische Landesbauordnung als ein Allgemeinwohlbelang aufgenommen worden, der eine Befreiung von bauordnungsrechtlichen Vorgaben begründen kann.

Der VGH Mannheim hatte nun erstmals Gelegenheit, diesem Begriff für den Bereich des Bauordnungsrechts Konturen zu geben. In seinem Beschluss vom 09.02.2018 – 5 S 2130 / 17 – hatte er über den Aussetzungsantrag eines Nachbarn zu entscheiden, der sich u. a. dagegen wandte, dass dem Bauherrn eine Befreiung von den Abstandsvorschriften des § 5 LBO-BW wegen dringenden Wohnbedarfs nach § 56 Abs. 5 S. 1 Nr. 1, S. 2 LBO-BW erteilt worden war.

Die Entscheidung

Der VGH hielt die Befreiung im Rahmen summarischer Prüfung für rechtmäßig. Er führte aus, welche Anforderungen an die Erforderlichkeit zur Deckung dringenden Wohnbedarfs im Sinne der Norm zu stellen sind. Zunächst stellte er klar, dass die Entscheidung sich allein auf den Wohnbedarf der Allgemeinheit bezieht; ob auch ein bloß individuell begründeter Wohnbedarf von der Norm erfasst sein kann, ließ das Gericht ausdrücklich offen. Dringender Wohnbedarf liegt laut dem VGH vor, wenn für die Bevölkerung im Gebiet einer Gemeinde kein ausreichender Wohnraum vorhanden ist, weil die Nachfrage das Angebot längerfristig übersteigt. Dies ist durch konkrete Tatsachen nachzuweisen, wobei hierzu verschiedene Indizien herangezogen werden können. In Betracht kommen etwa die tatsächliche Entwicklung der Einwohnerzahl im Vergleich zu amtlichen Prognosen, die Entwicklung der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in dem Gebiet sowie die Zahl der Bewerber um Bauplätze. Die so begründete Annahme dringenden Wohnbedarfs wird auch nicht dadurch widerlegt, dass die betreffende Gemeinde nicht in Verordnungen des Landes auf Grundlage des § 577 a Abs. 1 BGB (Kündigungssperrfristverordnung) und des § 558 Abs. 3 S. 3 BGB (Kappungsgrenzenverordnung) aufgenommen wurde.

Ferner fallen nur solche Vorhaben unter die Norm, die neuen Wohnraum schaffen und nicht lediglich den Wohnkomfort bereits bestehender Wohnungen verbessern. Zur Deckung des Wohnbedarfs erforderlich ist die Befreiung nicht erst, wenn keine andere Möglichkeit besteht, dem Ziel gerecht zu werden, sondern bereits dann, wenn sie hierzu vernünftigerweise geboten ist.

Praxistipp

Die Entscheidung gibt erstmals Richtlinien vor, inwieweit auf der Basis der LBO-BW bei Vorhaben zur Schaffung von Wohnraum von bauordnungsrechtlichen Beschränkungen befreit werden kann. Auch in anderen Bundesländern, in denen der Gemeinwohlbelang des dringenden Wohnbedarfs nicht explizit in die Vorschrift über Abweichungen aufgenommen wurde, wird die Schaffung von Wohnraum als Belang des Allgemeinwohls angesehen, der in die Entscheidung über die Erteilung einer Befreiung einzustellen ist. Auch insoweit kann die Entscheidung des VGH Mannheim also Orientierung bieten.

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Autoren

Foto vonNicole Köppen
Nicole Köppen
Senior Associate
Frankfurt