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10. GWB-Novelle: wichtige Änderungen geplant

04/12/2019

Derzeit befindet sich ein Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zur 10. Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)1 in der Ressortabstimmung (nachfolgend auch: GWB Ref-E). Der Entwurf zum so getauften GWB-Digitalisierungsgesetz geht weit über die Modernisierung der Missbrauchsaufsicht im Bereich der digitalen Wirtschaft hinaus und soll auch die ECN+-Richtlinie2 der EU zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der EU-Mitgliedstaaten umsetzen, die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen von Kartellgeschädigten erleichtern und die Fusionskontrolle sowie das Kartellverwaltungs- und Bußgeldverfahren ändern. Im Bereich des Kartellverwaltungs- und Bußgeldverfahrens geht der Entwurf teils deutlich über die ECN+-Richtlinie hinaus, erweitert die kartellbehördlichen Befugnisse erheblich und vermindert Unternehmensrechte in möglicherweise teils verfassungswidriger Weise. Die geplante Missbrauchsaufsicht über Digitalkonzerne mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb ist in den Einzelheiten noch unausgereift. Die wichtigsten geplanten Änderungen sind:

1. Kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht

Die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht soll auf digitale Märkte und digitale Plattformen sachgerecht angewendet werden können. Künftig soll bei der Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens dessen Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten (§ 18 Absatz 3 Nr. 2 GWB Ref-E) und die Bedeutung der von ihm erbrachten Vermittlungsdienstleistungen für den Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten, § 18 Absatz 3b GWB Ref-E, berücksichtigt werden. Künftig soll unter bestimmten Voraussetzungen auch die Verweigerung des Zugangs zu Daten missbräuchlich sein, § 19 Absatz 2 Nr. 4 GWB Ref-E. Digitalkonzerne mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb sollen effektiver kontrolliert werden. Ihnen kann das Bundeskartellamt nach § 19a Absatz 2 Nr. 1 bis 5 GWB Ref-E untersagen,

  • sich im Vergleich zu Wettbewerbern ohne sachlichen Grund selbst zu bevorzugen,
  • Wettbewerber auf einem Markt zu behindern, auf dem diese Unternehmen ihre Stellung schnell ausbauen können,
  • durch die Nutzung von Daten oder die Erschwerung von Interoperabilität oder Portabilität von Daten andere Unternehmen zu behindern sowie
  • dadurch Vorteile zu erlangen, dass sie ohne sachlichen Grund andere Unternehmen unzureichend über ihre Leistungen informieren.

Für die Kontrolle von Unternehmen mit relativer oder überlegener Marktmacht wird im Entwurf der Schutzbereich der Missbrauchsaufsicht auf große Unternehmen ausgeweitet (§ 20 Absatz 1 GWB Ref-E), weil auch diese etwa von digitalen Plattformen mit „Torwächter“-Position abhängig sein können.

Der Entwurf normiert für bestimmte Fälle einen kartellrechtlichen Anspruch auf Datenzugang (§ 20 Absatz 1a GWB Ref-E) und schafft einen neuen Eingriffstatbestand, wenn ein Unternehmen mit überlegener Marktmacht die eigenständige Erzielung von ausgeprägten positiven Wettbewerbseffekten durch Wettbewerber behindert (sog. „Tipping“, § 20 Absatz 3a GWB Ref-E).

2. Änderungen in der Fusionskontrolle 

In der Fusionskontrolle soll die Prüfungsfrist des Bundeskartellamts in Phase 2 auf fünf (bisher vier) Monate verlängert werden. Außerdem sollen Unternehmen von Anmelde- und Anzeigepflichten entlastet werden.

  • Die Inlandsumsatzschwelle, ab der ein Unternehmenszusammenschluss beim Bundeskartellamt anzumelden ist, soll auf EUR 10 Mio. (bisher: EUR 5 Mio.) angehoben werden (§ 35 Absatz 1 Nr. 2 GWB Ref-E).
  • Außerdem sollen Zusammenschlüsse künftig dann nicht untersagt werden, wenn die Untersagungsvoraussetzungen ausschließlich auf einem Markt vorliegen, auf dem im letzten Kalenderjahr im Inland weniger als EUR 20 Mio. (bisher: EUR 15 Mio.) umgesetzt wurden (sog. „Bagatellmarktklausel“, § 36 Absatz 1 Nr. 2 GWB Ref-E).
  • Entfallen soll die Pflicht zur Anzeige des Vollzugs für vom Bundeskartellamt freigegebene, nicht jedoch für pflichtwidrig nicht angemeldete Zusammenschlüsse (§ 39 Absatz 6 GWB Ref-E).

3. Beschleunigung und Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens

Um Rechtsverstößen in dynamischen digitalen Märkten zeitnah begegnen zu können,

  • soll die Anordnung von einstweiligen Maßnahmen erleichtert (§ 32a GWB Ref-E),
  • sollen mündliche Anhörungen ermöglicht (§ 56 Absatz 1 GWB Ref-E) und 
  • soll die Akteneinsicht beschleunigt werden, indem die Kartellbehörde bei fehlender Mitwirkung bei der Kennzeichnung von Geschäftsgeheimnissen von der Zustimmung zur Offenlegung ausgehen kann (§ 56 Absatz 6 GWB Ref-E).

Das Verwaltungsverfahren soll vereinfacht werden, insbesondere durch

  • die gesetzliche Normierung des sogenannten „Vorsitzendenschreibens“, in dem die Kartellbehörde den anfragenden Unternehmen mitteilen kann, dass sie von der Einleitung eines Verfahrens absieht (§ 32c Absatz 2 GWB Ref-E),
  • die Normierung der Möglichkeit des Bundeskartellamts, allgemeine Verwaltungsgrundsätze festzulegen (§ 32c Absatz 3 GWB Ref-E), sowie
  • bei horizontalen Kooperationen: die Etablierung eines Anspruchs der anfragenden Unternehmen auf eine Entscheidung des Bundeskartellamts, dass kein Anlass zum Tätigwerden besteht (§ 32c Absatz 4 GWB-Ref-E).

4. Bußgeldverfahren

Im Bußgeldverfahren sollen die Kriterien für die Bemessung von Bußgeldern ergänzt werden (§ 81d Absatz 1 Satz 2 GWB Ref-E). Ausdrücklich genannt werden nun auch Art und Ausmaß der Zuwiderhandlung, das Nachtatverhalten und die Größenordnung der mit der Zuwiderhandlung in Zusammenhang stehenden Umsätze (§ 81d Absatz 1 Satz 2 Nr. 1, 3 und 6 GWB Ref-E).

5. Kartellschadensersatz

Der Bundesgerichtshof hatte zum Schienenkartell entschieden, dass der Anscheinsbeweis zur Schadensverursachung und zur Kartellbetroffenheit nicht anwendbar ist. Zur Erleichterung der Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen soll der Entwurf eine (widerlegbare) Vermutung in das Gesetz einführen, nämlich dass Rechtsgeschäfte von Lieferanten oder Abnehmern eines Kartells mit kartellbeteiligten Unternehmen von diesem Kartell erfasst waren (§ 33a Absatz 5 GWB Ref-E).


1Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 (GWB-Digitalisierungsgesetz), Bearbeitungsstand 07.10.2019, abrufbar unter https://www.d-kart.de/blog/2019/10/14/der-referentenentwurf-zum-gwb/

2Richtlinie (EU) 2019/1 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes, ABl. L 11/3 vom 19. Januar 2019; vgl. hierzu nur S. 58 und 138 Ref-E.


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