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Autorité de la Concurrence: Rekordbußgeld für systematische Preisbindung

Update Gewerblicher Rechtsschutz & Kartellrecht 06/2020

Juni 2020

Update Januar 2023 (s. unten)

Die französische Wettbewerbsbehörde („Autorité de la Concurrence“, kurz „Autorité“) hat unter dem 16. März 2020 ein Rekordbußgeld in Höhe von rund EUR 1,1 Milliarden gegen Apple verhängt. Sie wirft Apple eine Beteiligung an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen mit Vertriebspartnern und den Missbrauch von Marktmacht gegenüber unabhängigen Premium-Vertriebshändlern (APRs) vor. Apple hält die Entscheidung für falsch und hat bereits Rechtsmittel angekündigt. Obwohl das Verfahren noch offen ist, können aus der Entscheidung schon heute wertvolle Lehren gezogen werden. Die Entscheidung steht in einem erheblichen Kontrast zu einem Urteil des OLG Düsseldorf vom 18. September 2019, das Gespräche über die Preisgestaltung des Handels im Einzelfall erlaubt (dazu Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht Februar 2020). 

Der Fall

Die Wettbewerbsbehörde geht von einem vorgelagerten Markt zwischen Apple und zwei Großhändlern aus. Auf dem nachgelagerten Markt erfolgt der Vertrieb von Apple-Produkten über ein Netzwerk von 2.000 Händlern. Diese sind in zwei Hauptkategorien unterteilt, „Retailer“, die von Apple direkt beliefert werden, und „Reseller“, bei denen es sich in der Regel um kleine bis mittlere Unternehmen handelt, die elektronische Geräte vertreiben und Dienstleistungen erbringen. Reseller können einem Premium-Netzwerk von Apple-Premium-Resellern (APRs) beitreten. Im Jahr 2012 beschwerte sich der APR eBizcuss über angebliche Kartellrechtsverstöße von Apple bei der Autorité und zog sich dann vom französischen Markt zurück. 

Nach den Feststellungen der Autorité hatte Apple vom Jahr 2005 bis März 2013 Produkte und Kunden zwischen den beiden Großhändlern Tech Data und Ingram Micro aufgeteilt. Apple habe die genauen Produktmengen und die zu beliefernden Händler festgelegt. Dadurch habe das Unternehmen auf dem Großhandelsmarkt den Wettbewerb zwischen den Großhändlern für die Marke Apple aufgehoben. Dies sei besonders problematisch, weil die APRs bei einem freien Wettbewerb ihre Produkte wahlweise von Apple oder von den Großhändlern beziehen können. Die Großhändler stünden deshalb in Bezug auf die APRs in direktem Wettbewerb mit Apple. Wegen ihrer angeblichen Beteiligung an der Produkt- und Kundenaufteilung hat die Autorité auch gegen die Großhändler Bußgelder verhängt. 

Ferner habe Apple den APRs durch strenge Vertragsklauseln und diverse Geschäftspraktiken keinen wirtschaftlichen Handlungsspielraum gelassen. So habe Apple Preise kommuniziert, Werbeaktionen kontrolliert und Rechnungen überwacht. Bei Nichteinhaltung der diesbezüglichen Vertragsbestimmungen habe ein Recht Apples zur fristlosen Kündigung bestanden. Schließlich habe Apple mit Sanktionen in Form von Nichtbelieferungen gegenüber den APRs gedroht, wenn nicht genehmigte Werbeaktionen durchgeführt wurden. In der Praxis hätte es vonseiten der APRs deshalb kaum Werbeaktionen gegeben. Die Bindung der Endverbraucherpreise für Apple-Produkte (außer dem iPhone) habe fast die Hälfte des gesamten Einzelhandelsmarktes (Apple Stores, die Apple-Website sowie etwa 2.000 Händler) betroffen. 

Im Ergebnis habe Apple damit nicht nur den Wettbewerb zwischen den APRs eingeschränkt, sondern auch denjenigen zwischen den APRs und Apples eigenen Vertriebskanälen. Damit habe Apple dem Endverbraucher einen wirksamen Preiswettbewerb vorenthalten.

Die Autorité hielt es außerdem für bewiesen, dass Apple die wirtschaftliche Abhängigkeit der APRs missbräuchlich ausgenutzt hatte. Sie hat mehrere Geschäftspraktiken festgestellt, die zusammengenommen den Tatbestand des Art. L 420-2 Code de commerce erfüllen. Bei dem Art. L 420-2 Code de commerce handelt es sich nicht lediglich um ein Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung. Normadressaten sind vielmehr auch Unternehmen, welche die wirtschaftliche Abhängigkeit anderer Unternehmen ausnutzen. Dies gilt ungeachtet der jeweiligen Marktmacht. 

Die wirtschaftliche Abhängigkeit resultiere u. a. daraus, dass die APRs einem Wettbewerbsverbot unterlagen und nahezu ausschließlich Apple-Produkte verkaufen durften. Während der Vertragslaufzeit und sechs Monate danach sei die Eröffnung von Geschäften, die auf den exklusiven Verkauf einer konkurrierenden Marke ausgerichtet seien, untersagt gewesen.

Apple habe die Abhängigkeit der APRs insbesondere durch Lieferverweigerungen / -verspätungen, Diskriminierungen und instabile Vergütungsbedingungen missbräuchlich ausgenutzt. So habe Apple unliebsame APRs durch die Lieferverweigerungen / -verspätungen gegenüber den Apple Stores und der Apple-Website, die jederzeit mit Produkten beliefert wurden, systematisch benachteiligt. Apple habe die APRs bei Produktneuheiten oder im boomenden Jahresendgeschäft diskriminiert. In diesen Fällen sei den APRs teilweise nichts anderes übriggeblieben, als die Ware von den Apple Stores zu Endverbraucherkonditionen zu beziehen.

Die Autorité kritisierte auch, dass Apple die APRs strengen Bindungen unterwerfe, ohne sich selbst gleichermaßen zu binden. Die APRs würden die Produkte in der Fläche vertreiben und entsprechend in die Präsenz vor Ort investieren, während Apple sich auf besonders lukrative Orte konzentriere und die Waren über das Internet zu geringeren Vertriebskosten verkaufe. 

Konsequenzen für die Praxis

Zwar verstößt nicht jeder Informationsaustausch über die Preisgestaltung gegen geltendes Recht (vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 18. September 2019 – VI-U[Kart] 3/19). Die Preissetzungshoheit eines großen Abnehmers soll insbesondere nicht dadurch berührt werden, dass ein kleiner Hersteller darum bittet, dass der Händler bei seiner Preisgestaltung auch auf die wirtschaftlichen Belange des Herstellers Rücksicht nimmt. Doch liegt im Fall, den die Autorité zu entscheiden hatte, ein erhebliches Machtgefälle zum Nachteil der Abnehmer vor. Die Autorité sanktioniert hier eine ganze Reihe von Geschäftspraktiken, die jedenfalls zusammengenommen den Tatbestand der verbotenen Preisbindung erfüllen. Solche über einen längeren Zeitraum durchgeführten Maßnahmen hinterlassen erhebliche Spuren und entsprechende Beweise. Es braucht dann nur einen unzufriedenen Händler, der das Verhalten des Herstellers anzeigt, etwa um – wie im Fall des OLG Düsseldorf erfolglos – Schadensersatzansprüche wegen Umsatzausfällen gegenüber dem Preisbinder geltend zu machen. Insbesondere marktmächtige Hersteller sind also gut beraten, keine Maßnahmen zu ergreifen, die einen unzulässigen Druck auf die Freiheit ihrer Abnehmer ausüben, die Endverkaufspreise selbst zu bestimmen.


Update Januar 2023:

Rekordbußgeld der Autorité de la Concurrence um zwei Drittel reduziert

Die französische Wettbewerbsbehörde („Autorité de la Concurrence“, kurz "Autorité") hatte unter dem 16. März 2020 ein Rekordbußgeld in Höhe von rund EUR 1.1 Milliarden gegen Apple verhängt. Die von Apple im Vorfeld angekündigten Rechtsmittel sind nun überwiegend erfolgreich gewesen. Mit Urteil vom 6. Oktober 2022 (Arrêt de la Cour d'Appel de Paris du 6 octobre 2022, Rs. 20/08582) hat der Cour d’Appel de Paris die Entscheidung der Autorité partiell abgeändert und den Vorwurf der verbotenen Preisbindung zurückgewiesen.

Die Bußgeldentscheidung

Zur Erinnerung: Die Autorité hatte mit dem Bußgeld die unzulässige Produkt- und Kundenaufteilung, die Preisbindung der unabhängigen „Premium“-Vertriebshändler („APRs“) und den Missbrauch der wirtschaftlichen Abhängigkeit der APRs sanktioniert. Nach den Feststellungen der Autorité hatte Apple seit dem Jahr 2005 bis März 2013 Produkte und Kunden zwischen den beiden Großhändlern Tech Data und Ingram Micro aufgeteilt und dadurch auf dem Großhandelsmarkt den Wettbewerb zwischen den Großhändlern für die Marke Apple aufgehoben. Außerdem hatte Apple den APRs durch strenge Vertragsklauseln und den Geschäftspraktiken angeblich keinen wirtschaftlichen Handlungsspielraum gelassen, sodass dem Endverbraucher ein wirksamer Preiswettbewerb vorenthalten worden sei. Schließlich hatte die Autorité mehrere Geschäftspraktiken festgestellt, die zusammen genommen den Tatbestand des Art. L.420-2 Code de commerce erfüllten.

Die Gerichtsentscheidung

Das Berufungsgericht hat das gegen Apple verhängte Bußgeld auf ca. EUR 370 Millionen verringert. Das ehemalig höchste Bußgeld, das die Autorité sowohl insgesamt als auch gegen ein einzelnes Unternehmen verhängt hatte, hat sich damit um fast zwei Drittel reduziert.

Das Gericht hat den Vorwurf der Preisbindung vollumfänglich aufgehoben (Rn. 488 ff.). Die Autorité habe nicht den erforderlichen Nachweis dafür erbringen können, dass eine verbindliche direkte oder indirekte Preisempfehlung von Apple vorgelegen habe. Insbesondere sei in den Vertriebsverträgen (samt ihrer Klauseln zu Rabatten und Rückvergütungen) zwischen den APRs und Apple keine Vereinbarung über die Einhaltung von Preisbindungen enthalten gewesen.

Außerdem habe die Autorité nicht hinreichend belegen können, dass die APRs sich tatsächlich an ein Preisbindungssystem gehalten hätten. Vielmehr sei das Preissetzungsverhalten der APRs, sich an die Verkaufspreise des Apple-eigenen Netzwerks anzupassen, auf ihre freie Entscheidung oder ihr Verhalten im Wettbewerb zurückzuführen. Allein die Parallelität der Verhaltensweisen reiche nicht aus, um eine verbotene Preisbindung zu unterstellen. Das Verhalten könne aktuellen Marktentwicklungen oder den Merkmalen der betreffenden Spitzenprodukte geschuldet sein. Hinzu käme, dass die APRs, eigenständige Werbeaktionen durchführen konnten.

Die Produkt- und Kundenaufteilung zwischen den beiden Großhändlern Tech Data und Ingram Micro hat das Gericht nicht für den gesamten Zeitraum von 2005 bis März 2013 bestätigt. Die Aufteilung sei erst ab dem 25. November 2009 anhand von E-Mails nachweisbar. Mit dem reduzierten zeitlichen Umfang des Verstoßes hat sich auch das Bußgeld entsprechend verringert.

Das Berufungsgericht hat jedoch bestätigt, dass die von Apple festgelegten Lieferbedingungen für die APRs geeignet gewesen seien, das Funktionieren oder die Struktur des Wettbewerbs zu beeinträchtigen. Apple habe damit die wirtschaftliche Abhängigkeit der APRs gemäß Art. L.420-2 Code de commerce missbräuchlich ausgenutzt. Das Gericht hat dabei betont, dass der Tatbestand keinen Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung erfordere.

Reaktionen

Neben der Höhe des Rekordbußgeldes hatte sich die Entscheidung der Autorité vor allem dadurch ausgezeichnet, dass sie eine ganze Reihe von Geschäftspraktiken sanktionierte, die jedenfalls zusammen genommen den Tatbestand der verbotenen Preisbindung erfüllten. Eine maßgebliche Rolle hatte das Machtgefälle zum Nachteil der Abnehmer gespielt. Das laute politische Statement der Autorité hat jedoch mit der Berufungsentscheidung erheblich an Durchschlagskraft verloren.

Apple will sich mit seinem Teilobsiegen nicht zufriedengeben und hat Rechtsmittel angekündigt, um das Bußgeld vollständig aufheben zu lassen. Die Autorité pocht derweil weiter auf die Abschreckungswirkung hoher Bußgelder: Dies gelte insbesondere, wenn es sich um Marktteilnehmer vom Kaliber der Firmen aus dem Silicon Valley handele. Es bleibt spannend.

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Dr. Markus Schöner, M.Jur. (Oxford)
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