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Gemeindliche Planungspflicht bei Fortschreiten einer „planlosen“ städtebaulichen Entwicklung (hier: großflächiger Einzelhandel)

Update Real Estate & Public 09/2020

September 2020

Hintergrund

Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB haben Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Diese sind gem. § 1 Abs. 4 BauGB den Zielen der Raumordnung anzupassen. Fraglich ist, ob und unter welchen Voraussetzungen sich aus diesem Zusammenspiel eine eigenständige Pflicht der Gemeinden zur Aufstellung eines Bauleitplans ergeben kann. Hierüber hatte das BVerwG in seinem Beschluss vom 26.08.2019 – 4 BN 1/19 – zu entscheiden. 

In dem zugrunde liegenden Fall beabsichtigte ein Lebensmitteldiscounter, dessen Ladengeschäft sich auf unbeplantem Gebiet befand, die Verkaufsfläche von 856 m² auf 1.350 m² zu erweitern. Er beantragte bei der zuständigen Behörde die Erteilung eines entsprechenden Bauvorbescheids. Dies nahm die Ansiedlungskommune zum Anlass, einen Bebauungsplan für das zuvor unbeplante Grundstück aufzustellen, in dem ein Sondergebiet „Lebensmitteldiscounter“ mit einer maximalen Verkaufsfläche von 860 m² festgesetzt wurde. Hierzu sah sie sich u. a. aufgrund der im Landesentwicklungsplan NRW enthaltenen Ziele zur Steuerung des Einzelhandels verpflichtet. Eine vom Antragsteller auf Erteilung des Vorbescheids gerichtete Klage blieb erfolglos. Daraufhin griff er den Bebauungsplan gerichtlich an, womit er in erster Instanz Erfolg hatte.

Die Entscheidung

Das BVerwG bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und ging im Ergebnis davon aus, dass im konkreten Fall eine Pflicht der Kommune zur Aufstellung des Bauleitplans nicht bestand. Es bestätigte zwar seine bisherige Rechtsprechung, dass eine eigenständige gemeindliche (Erst-)Planungspflicht nach § 1 Abs. 4 BauGB dann vorliegt, wenn man bei der Verwirklichung der Raumordnungsziele bei Fortschreiten der „planlosen“ städtebaulichen Entwicklung auf unüberwindbare (tatsächliche oder rechtliche) Hindernisse stoßen oder die Realisierung wesentlich erschwert würde. 

Allerdings löste das geplante Vorhaben im konkreten Fall eine solche Planungspflicht nicht aus, denn es war – unabhängig von den Festsetzungen des später aufgestellten Bebauungsplans – bereits planungsrechtlich unzulässig. Damit sei das konkrete Vorhaben nach Ansicht des Senats auch nicht geeignet gewesen, den betreffenden Raumordnungszielen zuwiderzulaufen. Es sei zwar nicht von der Hand zu weisen, dass ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb mit einer vergrößerten Verkaufsfläche den konkreten Raumordnungszielen entgegenstehen könnte. Eine Planungspflicht nach § 1 Abs. 4 BauGB setze jedoch voraus, dass eine „planlose“ Entwicklung die Errichtung eines solchen großflächigen Einzelhandels mit vergrößerter Verkaufsfläche überhaupt zuließe. Denn andernfalls – d. h., wenn das Vorhaben ohnehin unzulässig wäre – bestünde auch kein Planungsbedürfnis im Sinne einer Erstplanungspflicht nach § 1 Abs. 4 BauGB, um das den Zielen der Raumordnung möglicherweise zuwiderlaufende Vorhaben zu verhindern. Im konkreten Fall hatte das OVG Münster in einem vorangehenden Verfahren das Begehren des Antragstellers auf einen Vorbescheid für die Vergrößerung des Discounters aus planungsrechtlichen Gründen rechtskräftig abgewiesen (das Vorhaben ragte teilweise in den Außenbereich nach § 35 BauGB hinein, in dem ein Lebensmittelmarkt nicht privilegiert ist).

Praxistipp

Das BVerwG hat mit der Entscheidung seine Grundätze zur Entstehung einer gemeindlichen Erstplanungspflicht nach § 1 Abs. 4 BauGB zunächst bestätigt. Neu ist die Überlegung, dass diese Pflicht nicht entstehen soll, wenn das womöglich den Raumordnungszielen widersprechende Vorhaben ohnehin bereits planungsrechtlich unzulässig ist. Für den Rechtsanwender, der eine Erstplanungspflicht nach § 1 Abs. 4 BauGB in Erwägung zieht, erweitert sich damit der Prüfungsumfang um die Vorfrage der grundsätzlichen planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens.

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Dr. Tobias Sdunzig