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Preisalgorithmen geraten in das Fadenkreuz der Kartellbehörden

Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht 09/2018

Die Europäische Kommission hat im Juli 2018 Geldbußen gegen vier Elektronikhersteller wegen kartellrechtlich unzulässiger Preisbindung ihrer Online-Einzelhändler verhängt (Fälle AT.40465, AT.40469, AT.40181 und AT.40182). Bei der Bewertung der Auswirkungen der vertikalen Preisbindung berücksichtigte die Kommission auch den Einsatz von Preisalgorithmen durch die Händler. Die Entscheidungen sind ein weiteres Indiz dafür, dass Algorithmen auf der Prioritätenliste der Wettbewerbshüter weit oben stehen.

Die Bußgeldentscheidungen ergingen gegen vier Elektronikhersteller aus Japan, Taiwan und den Niederlanden. Die Kommission ist zu der Feststellung gelangt, dass die Hersteller ihre Online-Einzelhändler in der Festlegung ihrer Wiederverkaufspreise für Elektronikprodukte (darunter Notebooks, Lautsprecher, Küchengeräte und Staubsauger) beschränkt und auf diese Weise gegen das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoßen haben.

Festsetzung von Fest- oder Mindestweiterverkaufspreisen kartellrechtlich unzulässig

Art. 101 Abs. 1 AEUV verbietet wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen und nennt ausdrücklich die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung von Verkaufspreisen. Das Verbot gilt auch zwischen Lieferanten und Händlern, also in der vertikalen Beziehung zwischen Unternehmen unterschiedlicher Marktstufen. Die vertikale Preisbindung stellt eine sog. Kernbeschränkung (Art. 4 lit. a Vertikal-GVO) dar, die im Regelfall nicht vom Kartellverbot freigestellt werden kann.

Zulässig sind die Vorgabe von Höchstverkaufspreisen und die Abgabe von Preisempfehlungen. Unzulässig ist die Festsetzung von Fest- oder Mindestweiterverkaufspreisen. Eine solche Festsetzung kann auch mittels Druckausübung oder Sanktionsandrohungen erfolgen. Besonders wirksam sind solche Maßnahmen, wenn sie mit Preisüberwachungssystemen kombiniert werden.

Entsprechend sind die bebußten Elektronikhersteller laut Kommission vorgegangen. Insbesondere dann, wenn die Online-Einzelhändler die Produkte aus Sicht der Hersteller zu niedrig anboten, reagierten die Hersteller mit Drohungen oder Sanktionen, etwa einem Belieferungsstopp. Daneben bestand ein hochentwickelter Überwachungsmechanismus, mit dessen Hilfe die Hersteller die Preise nachverfolgen und im Falle von Preissenkungen zügig reagieren konnten.

Die Kommission hat die Geldbußen auf insgesamt über EUR 111 Mio. festgesetzt. Aufgrund einer umfassenden Zusammenarbeit der Hersteller mit der Kommission fiel der Betrag nicht noch höher aus. Es handelt sich um die ersten Bußgeld-Entscheidungen der Kommission bei vertikaler Preisbindung seit Jahren.

Beachtenswert sind die Entscheidungen aber vor allem, weil die Kommission ausdrücklich die Bedeutung von Preisalgorithmen hervorhebt. Sie hält fest, dass viele Online-Einzelhändler Preisalgorithmen einsetzen und auf diese Weise ihre Einzelhandelspreise automatisch an die Preise ihrer Wettbewerber anpassen würden. Nach Auffassung der Kommission wirken sich daher die Preisbeschränkungen für die einzelnen Online-Händler des Niedrigpreissegments auf die gesamten Online-Preise für die jeweiligen Elektronikprodukte aus.

Die Preisalgorithmen haben das allgemeine Preisniveau im Online-Markt also hoch gehalten. Letztlich wirkt sich die vertikale Preisbindung im Verhältnis Lieferant und Händler somit auch horizontal zwischen den Händlern aus.

Algorithmen im Fadenkreuz der Kartellbehörden

Algorithmen stehen bei den Kartellbehörden schon länger weit oben auf der Prioritätenliste, und zwar auch in anderen Zusammenhängen als dem der aktuellen Kommissions-Entscheidungen zur vertikalen Preisbindung. Problematisch sind insbesondere Algorithmen, die von Wettbewerbern als „Gehilfen“ einer horizontalen Preisabsprache eingesetzt werden. Denkbare Konstellationen sind insbesondere die folgenden:

- Unternehmen setzen Algorithmen zur Übermittlung strategischer Informationen an Wettbewerber oder zur Analyse der von Wettbewerbern erhaltenen strategischen Informationen ein.
- Unternehmen sprechen Preise ab und einigen sich zur Implementierung dieser Absprache auf den Einsatz eines bestimmten Algorithmus.
- Unternehmen vereinbaren, jeweils ein bestimmtes IT-Unternehmen zu beauftragen, das ihnen vereinbarungsgemäß denselben Algorithmus programmieren soll.

In eine der beiden letzten Kategorien scheint auch das in den Medien erwähnte mutmaßliche Ersatzteil-Kartell zu fallen. Zwei französische Autobauer sollen vereinbarungsgemäß und unter Einbeziehung des IT-Dienstleisters denselben Preisalgorithmus genutzt haben, um ihre Preise für Ersatzteile anzupassen.

Entsprechende Konstellationen sind auch in anderen Wirtschaftsfeldern denkbar, etwa in der Finanzbranche. Dort zählt die digitalisierte und automatisierte Finanzberatung zu den derzeit bedeutendsten Fintech-Trends. Hinter einem sog. Robo-Advisor stehen Algorithmen, die die Finanzmärkte beobachten und das Portfolio des Anlegers bei Schwankungen, entsprechend der Risikoneigung des Anlegers, verlustvermeidend umschichten. Auch sog. Quant-Hedgefonds nutzen Algorithmen zur Verfolgung ihrer Anlagestrategie.

Die EU-Wettbewerbskommissarin Vestager hat zu Recht klargestellt, dass Unternehmen ein Kartellverhalten nicht hinter Computerprogrammen verstecken können. Solchermaßen eingesetzte Algorithmen können die Wettbewerbshüter mit dem bewährten kartellrechtlichen Instrumentarium bewältigen.

Künstliche Intelligenz und selbstlernende Algorithmen im Kartellrecht

Ob das Kartellrecht ohne weiteres auch auf künstliche Intelligenz (KI) und sog. selbstlernende Algorithmen anzuwenden ist, die gewissermaßen selbst als „Täter“ die Preise abstimmen könnten, wird derzeit kontrovers diskutiert.

Selbstlernende Algorithmen sind Computerprogramme, die Informationen verarbeiten und kontinuierlich dazulernen. Würden solche Algorithmen autonom, d. h. ohne weitere Interaktion der Unternehmen lernen, dass es wirtschaftlich sinnvoll ist, sich den online veröffentlichten Preisen der Wettbewerber anzupassen, stünde das Vorliegen einer Vereinbarung bzw. eines abgestimmten Verhaltens zwischen Unternehmen infrage – und damit die Anwendung des Kartellverbots schlechthin. Die im Ergebnis abgestimmten Preise könnten lediglich das Resultat kartellrechtlich zulässigen Parallelverhaltens sein.

Gegenstand der Diskussion ist auch das Black-Box-Prinzip einiger selbstlernender Algorithmen (sog. „Deep Learning Algorithms“). Ein solcher Algorithmus verarbeitet Daten zu einem bestimmten Output, ohne jemals die Rechenoperation hinter dem Output zu offenbaren. Nicht einmal der Programmierer selbst kann nachvollziehen, wie sein Algorithmus den Input A zu Output B verarbeitet hat. Derartige Algorithmen könnten möglicherweise auch kollusive Ergebnisse erzielen, ohne dass dies den Unternehmen bewusst ist. Kartellrechtlich wirft dies komplexe Haftungsfragen auf.

Monopolkommission empfiehlt Sektoruntersuchungen zu Algorithmen

Ob und inwiefern das geltende Recht hier angepasst werden muss, ist Gegenstand aktueller Debatten. Die Monopolkommission, ein unabhängiges Expertengremium, das die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen berät, hat jedenfalls in ihrem jüngsten Gutachten aus Juli 2018 auf Gefahren durch Preisalgorithmen hingewiesen, aber zunächst nur für eine verstärkte Marktbeobachtung durch kartellbehördliche Sektoruntersuchungen plädiert. Sollte die Marktbeobachtung konkrete Hinweise auf Wettbewerbsprobleme und eine dauerhaft unzureichende Durchsetzung der kartellrechtlichen Regelungen liefern, zieht die Monopolkommission eine Beweislastumkehr zulasten der Unternehmen in Erwägung. Fraglich sei, ob eine Beweislastumkehr sinnvoll sein könnte, soweit es darum geht, ob der Einsatz von Preisalgorithmen zur Herbeiführung eines kollusiven Marktergebnisses beitragen kann. Unternehmen müssten dann nachweisen, dass ihr Preisalgorithmus nicht zu dem geltend gemachten Schaden beigetragen hat. Nach Auffassung der Monopolkommission soll die Beweislastumkehr allerdings nur für zivilrechtliche Schadensersatzprozesse gelten.

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Autoren

Foto vonMarkus Schöner
Dr. Markus Schöner, M.Jur. (Oxford)
Partner
Hamburg