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Neues vom Feldhamster: EuGH-Urteil zum Artenschutz

Update Real Estate & Public 09/2020

September 2020

Hintergrund

Bei der Vorbereitung von Bauarbeiten eines Bauträgers in Österreich wurden mehrere Eingänge zu Feldhamsterbauen zerstört. Das in diesem Zusammenhang angerufene Verwaltungsgericht Wien hatte zu klären, ob die zum Zeitpunkt der Zerstörung nicht genutzten Bauen als „Ruhestätten“ unter den Schutz der europäischen Habitatrichtlinie (Richtlinie 92/43/EWG) fallen. Konkret verbietet Art. 12 Abs. 1 d Habitatrichtlinie jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten von nach Anhang IV a streng geschützten Tierarten. Die Richtlinie selbst enthält aber keine Aussage dazu, ob dieser Schutz auch dann gilt, wenn die Tiere die Lebensstätten nicht (mehr) nutzen. Das Verwaltungsgericht hat den EuGH um Präzisierung des vorgesehenen Schutzes der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten geschützter Tierarten ersucht.

Entscheidung und Einordnung in die deutsche Rechtspraxis

Der EuGH hat mit Urteil vom 02.07.2020 – C-477/19 – entschieden, dass unter den Begriff „Ruhestätten“ auch Ruhestätten fallen, die nicht mehr von einer geschützten Tierart genutzt werden. Ausreichend ist eine „hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit“, dass die Art an diese Ruhestätten zurückkehrt. In Österreich muss nun das Verwaltungsgericht Wien klären, ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Rückkehr der Feldhamster bestand.

In Deutschland ist der unionsrechtliche Lebensstättenschutz in § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG umgesetzt. Danach ist es verboten, Fortpflanzungs- oder Ruhestätten besonders geschützter Arten von wild lebenden Tieren aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Der Kreis der besonders geschützten Tierarten umfasst neben den in Anhang IV Habitatrichtlinie genannten Arten beispielsweise auch die europäischen Vogelarten. 
Primär unterfällt diesem Schutzbereich die Phase aktueller Nutzung der Lebensstätte. Die Rechtsprechung knüpft den Schutz aber nicht daran, dass die Lebensstätte aktuell besetzt ist. Ausreichend ist, dass sie regelmäßig genutzt wird. Der Schutz endet erst mit der endgültigen Aufgabe der Stätten.
Zwar stellt das BVerwG bislang nicht auf die „hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit“ der Rückkehr der Art ab. Es nimmt aber im Ergebnis eine vergleichbare Wertung vor. Dabei steht nicht zuletzt der Zweck der Regelung, die Funktion der Lebensstätte für die geschützte Art zu sichern, im Vordergrund. So hat das BVerwG festgestellt (Urteil vom 18.03.2009 – 9 A 39/07), dass der Schutz auf Abwesenheitszeiten der die Lebensstätte nutzenden Tiere einer Art auszudehnen ist, sofern nach den Lebensgewohnheiten der Art eine regelmäßig wiederkehrende Nutzung zu erwarten ist. Überträgt man diese Formulierung auf die Wortwahl des EuGH, so ist bei der „regelmäßig wiederkehrenden Nutzung“ auch von einer hinreichend hohen Wahrscheinlichkeit der Rückkehr der Art auszugehen.
Umgekehrt hat das BVerwG geurteilt (Urteil vom 12.03.2008 – 9 A 3/06), dass bloß potentielle Lebensstätten nicht unter den Verbotstatbestand fallen. Bei einer solchen „bloß potentiellen Lebensstätte“ wäre im Sinne des EuGH auch von keiner hinreichend hohen Wahrscheinlichkeit der Rückkehr auszugehen. Gleichwohl sind die Maßstäbe nach ihrem Wortlaut nicht deckungsgleich. Der vom EuGH formulierte Maßstab erlaubt möglicherweise auch eine in Nuancen strengere Auslegung als die des BVerwG. Denn eine hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit der Rückkehr muss nicht zwingend mit einer regelmäßigen Nutzung einer Lebensstätte einhergehen.

Praxistipp

Das Urteil wurde zunächst als Stärkung artenschutzrechtlichen Lebensstättenschutzes aufgefasst. Diese Reaktion überschätzt jedoch die Tragweite des Urteils. Die deutsche Rechtspraxis entspricht im Grunde bereits dem unionsrechtlichen strengen Verständnis des Lebensstättenschutzes. Nicht besetzte Lebensstätten, bei denen aber mit einer Rückkehr der Art zu rechnen ist, sind schon bisher vom BNatSchG umfasst. Selbst wenn sich die deutsche Rechtspraxis an der Wortwahl des EuGH orientieren wird, dürfte infolge dieser Entscheidung mit keiner deutlichen Verschärfung des Status quo im Artenschutz zu rechnen sein. Es bleibt abzuwarten, ob das BVerwG Unterschiede zwischen den beiden Prüfmaßstäben annimmt. Die Entscheidung des EuGH ruft aber jedenfalls in Erinnerung, dass der Umgang mit verlassenen Ruhestätten bereits jetzt sowohl bei den Kartierungen für nachfolgende umweltfachliche Prüfungen als auch bei der Bauausführung sorgfältig geprüft werden muss.

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Dr. Neele Ann Christiansen
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Hamburg