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Das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs: kein fliegender Gerichtsstand bei Verstößen im Internet

Update Gewerblicher Rechtsschutz & Kartellrecht 11/2020

November 2020

Der Bundestag hat kürzlich eine UWG-Reform beschlossen, mit der Abmahnmissbrauch bekämpft werden soll. Auch wenn zum Schluss manche Regelung entschärft wurde, schießt das Gesetz doch über das Ziel hinaus und schafft neue Probleme. Vor allem die weitgehende Abschaffung des fliegenden Gerichtsstands ist bedenklich.

Nach den Vorstellungen des Justizministeriums wird das Gesetz zu einer erheblichen Eindämmung des Abmahnmissbrauchs führen und damit insbesondere Selbständige sowie kleinere und mittlere Unternehmen vor dessen Folgen schützen. Mit der Reform werden die Vorschriften zur Rechtsverfolgung im Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs (UWG) stark geändert. 

Die Regelungen setzen an sechs Punkten an: Der Kreis der Personen, die Unterlassungsansprüche nach dem UWG geltend machen können, wird begrenzt, es werden enge Vorgaben für den Inhalt von Abmahnungen aufgestellt, die Voraussetzungen für eine Erstattung der Abmahnkosten werden verschärft, das schon bestehende Missbrauchsverbot für Abmahnungen wird ausgeweitet, Vertragsstrafeversprechen werden reguliert und die Gerichtswahl wird stark eingeschränkt. Wann das Gesetz verkündet wird und damit in Kraft tritt, ist noch unklar.

Weitgehende Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands

Die Neuregelung zum sog. „fliegenden Gerichtsstand“ ist besonders problematisch. Bisher konnte ein Unternehmen, das einen UWG-Verstoß geltend macht, an jedem Gericht klagen, in dessen Bezirk die in Rede stehende Handlung begangen wurde. Bei einer Werbung im Internet waren damit praktisch alle Landgerichte in Deutschland zuständig. Nunmehr gilt: Bei allen Verstößen „im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien“, das heißt im Internet oder im Online-Handel, ist nur noch das Gericht am Sitz des Beklagten zuständig. Diese Neuregelung geht zwar nicht ganz so weit wie der ursprüngliche Regierungsentwurf. Auch nach der jetzt beschlossenen Regelung gilt der Tatort-Gerichtsstand aber für die überwiegende Zahl von UWG-Verstößen nicht mehr. 

Es ist bedauerlich, dass der Gesetzgeber diesen Schritt trotz massiver Kritik von anwaltlicher, gerichtlicher und wissenschaftlicher Seite unternommen hat. Denn mit der Abschaffung des fliegenden Gerichtsstands für Internetverstöße droht nun, dass eine sich über Jahre herausgebildete Spezialisierung bestimmter Landgerichte verloren geht, gerade in Spezialgebieten wie dem Heilmittelwerberecht. Das ist auch deshalb so misslich, weil der Gesetzgeber sein Ziel, die angeblich große Zahl missbräuchlicher Abmahnungen zu bekämpfen, mit diesem Mittel nicht erreichen wird.

In der Gesetzesbegründung heißt es, der fliegende Gerichtsstand stelle einen Anreiz zum Missbrauch dar, da sich der Kläger insbesondere ein Gericht aussuchen werde, das im Zweifel in seiner Nähe liege oder das seine Rechtsauffassung teile, einstweilige Verfügungen bereitwillig und ohne Anhörung des Gegners erlasse oder regelmäßig hohe Streitwerte festsetze. Häufig wählten Antragsteller auch Gerichte, die weit entfernt vom Wohn- oder Geschäftssitz des Antragsgegners liegen, da sie hofften, dass der Antragsgegner aufgrund der Entfernung keinen Widerspruch einlegt. Diese Annahmen sind nicht nur durch nichts belegt, sie sind im Gegenteil sogar unwahrscheinlich: Das Bundesjustizministerium geht davon aus, dass 10 % aller Abmahnungen missbräuchlich sind, dabei handelt es sich aber nur um eine Schätzung. Die Zahl missbräuchlicher Gerichtsverfahren dürfte jedenfalls sehr viel kleiner sein. Denn gerade in Missbrauchsfällen wollen Abmahnende mit möglichst geringem Aufwand möglichst hohe Abmahnkosten erzielen und Aufwand, Kosten und Unwägbarkeiten eines Gerichtsverfahrens meiden.

Beschränkung der Anspruchsberechtigten

Weniger einschneidend – und zur Bekämpfung missbräuchlicher Abmahnungen vermutlich etwas effektiver – fallen hingegen die Regelungen aus, mit denen der Kreis der Anspruchsberechtigten einschränkt wird. Ein Mitbewerber kann künftig nur noch dann Unterlassungsansprüche geltend machen, wenn er „Waren und Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt“. Die ursprünglich vorgesehene Beschränkung, dass der Mitbewerber auch „ähnliche“ Waren und Dienstleistungen vertreiben muss, wurde glücklicherweise gestrichen. Dies hätte einen schweren Bruch im Regelungssystem des Lauterkeitsrechts bedeutet, da es nach der Mitbewerber-Definition im UWG darauf ankommt, ob aufgrund der geschäftlichen Handlung, um die es im Einzelfall geht, ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht. Mitbewerber im Sinne des UWG können daher auch Unternehmen unterschiedlicher Wirtschaftsstufen oder gar unterschiedlicher Branchen sein. Dabei wird es auch zukünftig bleiben, solange das betreffende Unternehmen tatsächlich am Markt aktiv ist, indem es Waren oder Dienstleistungen anbietet oder nachfragt. 

Bei Wettbewerbsvereinen kommt es nicht mehr nur darauf an, ob ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren oder Dienstleistungen ähnlicher Art auf demselben Markt vertreiben, und ob die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt. Vielmehr müssen sie – nach einer Übergangsfrist von neun Monaten – zusätzlich in einer vom Justizministerium geführten Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände registriert sein. Für die Aufnahme in diese Liste muss der Verband mindestens 75 Unternehmer als Mitglieder haben, zum Zeitpunkt der Antragstellung seit mindestens einem Jahr seine satzungsmäßigen Aufgaben wahrgenommen haben und bestimmte weitere Kriterien erfüllen, um eine Missbrauchsgefahr möglichst auszuschließen.

Verschärftes Missbrauchsverbot 

Zudem gilt ein verschärftes Missbrauchsverbot. Danach wird in bestimmten Fällen vermutet, dass eine Abmahnung missbräuchlich ist, etwa wenn ein Mitbewerber „eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift geltend macht“ und gleichzeitig die Anzahl der geltend gemachten Verstöße außer Verhältnis zum Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit steht oder anzunehmen ist, dass er das wirtschaftliche Risiko des Vorgehens nicht selbst trägt. Ein Missbrauch ist im Zweifel auch anzunehmen, wenn ein Mitbewerber den Streitwert unangemessen hoch ansetzt oder eine offensichtlich überhöhte Vertragsstrafe vereinbart oder fordert oder auch wenn eine vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht. Diese Vermutungsregel zwingt zu besonderer Vorsicht bei der Formulierung der Abmahnung. Das abmahnende Unternehmen mag noch so redlich handeln: Wenn der den Abmahngebühren zugrunde gelegte Gegenstandswert zu hoch angesetzt oder die geforderte Unterlassungserklärung zu weit formuliert ist, droht ein Gegenangriff wegen missbräuchlicher Abmahnung. 

Neue Vorgaben für eine Abmahnung

Vorsicht bei der Formulierung der Abmahnung ist auch deshalb geboten, weil das Abmahnschreiben zukünftig bestimmte inhaltliche Anforderungen erfüllen muss. So muss es nicht nur Angaben zur Identität des Abmahnenden, zur Rechtsverletzung, zum geforderten Kostenersatz und zur Anspruchsberechtigung enthalten. Der Abmahnende muss auch darauf hinweisen, wenn in bestimmten Fällen ein Anspruch auf Ersatz von Abmahnkosten ausscheidet.

Das ist zukünftig immer dann der Fall, wenn es um einen Verstoß gegen Datenschutzrecht durch ein Unternehmen oder einen gewerblichen Verein mit weniger als 250 Mitarbeitern geht oder wenn ein Verstoß gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten im Internet gerügt wird. Der Gesetzgeber hatte hier vor allem Bagatellverstöße im Online-Handel vor Augen, die durch Crawler automatisiert aufgefunden werden und leicht abgemahnt werden können, wie z. B. Verstöße gegen die Impressumspflicht oder die Pflicht zur vollständigen und korrekten Widerrufsbelehrung. Die gesetzliche Regelung geht nun aber weit darüber hinaus. Der Begriff „Informations- und Kennzeichnungspflichten“ umfasst nämlich auch alle obligatorischen Angaben, die z. B. zum Schutz der Gesundheit vorgeschrieben sind, wie etwa die Pflichtangaben nach § 4 HWG bei der Werbung für Arzneimittel, oder das Zutatenverzeichnis und die Nährwertangaben bei Lebensmitteln. Weshalb das Verfolgen von Verstößen gegen diese Informationspflichten keinen Anspruch auf Kostenersatz nach sich ziehen darf, ist nicht nachvollziehbar. Nur Warnhinweise sollen nach der Gesetzesbegründung von dem Ausschluss nicht erfasst sein, was sich aus dem Wortlaut der Vorschrift allerdings nicht ergibt.

Gegenanspruch des Abgemahnten auch bei nicht missbräuchlichen Abmahnungen

Schon bisher hat der Abgemahnte im Falle einer missbräuchlichen Abmahnung einen Gegenanspruch auf Erstattung seines Kostenaufwands. Dieser Gegenanspruch wird nun aber stark erweitert, und zwar auch auf Fälle, in denen nach der gesetzlichen Regelung gar kein Rechtsmissbrauch gegeben ist, die Abmahnung unter Umständen sogar völlig berechtigt ist: Verlangt der Abmahnende Kostenersatz, obwohl es um einen jener Verstöße geht, bei denen er keinen Ersatzanspruch hat (also bei einem Datenschutzverstoß durch ein kleineres Unternehmen oder bei einem Verstoß gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten im Internet), hat der Abgemahnte einen Gegenanspruch auf Ersatz seiner Anwaltskosten. Das Gleiche gilt, wenn der Inhalt der Abmahnung nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt oder wenn die Abmahnung unberechtigt ist. Damit wird auch im Lauterkeitsrecht faktisch das Institut der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung eingeführt. Der Ersatzanspruch ist allerdings beschränkt auf die Höhe der Abmahnkosten, die der Abmahnende geltend macht, wobei unklar ist, was gilt, wenn der Abmahnende gar keine Abmahnkosten verlangt. Hier ist vermutlich auf die potentiell gerechtfertigten Abmahnkosten abzustellen. Der Abmahnende entkommt dieser Erstattungspflicht, wenn er nachweist, dass für ihn objektiv nicht erkennbar war, dass die Abmahnung unberechtigt war. 

Vorgaben für die Vertragsstrafe

Schließlich enthält das Gesetz neue Regelungen für das Vertragsstrafeversprechen. So kodifiziert es die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien, um zu beurteilen, ob eine Vertragsstrafe angemessen ist. Vor allem aber verbietet es, eine Vertragsstrafe zu vereinbaren, wenn ein Mitbewerber erstmals einen Verstoß gegen Datenschutzrecht durch ein Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern oder gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten im Internet abgemahnt hat. Bei geringfügigen Verstößen darf die vereinbarte Vertragsstrafe maximal EUR 1.000 betragen. Zudem kann der Schuldner einer Vertragsstrafe, der eine (aus seiner Sicht) unangemessen hohe Vertragsstrafe vereinbart hat oder von dem der Gläubiger im Falle einer Vertragsstrafe-Regelung nach Hamburger Brauch eine (aus seiner Sicht) zu hohe Strafe verlangt, eine Einigungsstelle anrufen.

Fazit

Auch wenn Abmahnungen wegen Bagatellverstößen für Unternehmen sehr leidig und missbräuchliche Abmahnungen ein echtes Problem sind: Das Gesetz schießt an vielen Stellen über das Ziel hinaus. Dies ist umso bedauerlicher, als die Datengrundlage zum Phänomen des Abmahnmissbrauchs äußerst dürftig ist. Ein Gesetz, das die Missbrauchsgefahr eindämmen soll, muss die Balance zwischen dem Schutz vor unberechtigten oder unangemessenen Abmahnungen einerseits und der bewährten effektiven Selbstregulierung im Wettbewerbsrecht andererseits finden. Diese Balance wahrt das Gesetz zur Förderung des fairen Wettbewerbs leider nicht. Es schränkt die Möglichkeiten der Rechtsverfolgung unangemessen ein und benachteiligt dadurch redliche Unternehmen, die sich zu Recht gegen Wettbewerbsverstöße von Mitbewerbern zur Wehr setzen. 

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Autoren

Foto vonNikolas Gregor
Dr. Nikolas Gregor, LL.M. (Boston Univ.), Maître en droit
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Hamburg