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Einzelhändler durfte vom Lieferanten auf einen niedrigen Wiederverkaufspreis angesprochen werden

Update Gewerblicher Rechtsschutz & Kartellrecht 11/2020

November 2020

Müssen Lieferanten, die ihre Einzelhändler auf deren aggressiv niedrige Wiederverkaufspreise ansprechen, zwangsläufig mit kartellrechtlichen Sanktionen rechnen? In einem neueren Fall hat das OLG Düsseldorf mehrere Äußerungen eines Lieferanten gegenüber einem Einzelhändler bezüglich dessen niedriger Wiederverkaufspreise geprüft  und entschieden, dass die Äußerungen nicht gegen das Kartellverbot (§ 1 GWB, Art. 101 AEUV) verstoßen und keine Drohung im Sinne des § 21 Abs. 2 GWB darstellen (OLG Düsseldorf, 8. Juli 2020 – VI-U [Kart] 3/20).

Dies ist das zweite Urteil des OLG Düsseldorf, das Lieferanten einen gewissen Spielraum zur Stellungnahme zur Preisgestaltung im Einzelhandel einräumt. In einem früheren Urteil hat das Gericht festgestellt, dass die bloße Aufforderung zur Berücksichtigung der eigenen wirtschaftlichen Interessen die Preishoheit des Einzelhändlers nicht verletzt (dazu Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht 02/2020: „OLG Düsseldorf: Gespräche über die Preisgestaltung des Handels im Einzelfall erlaubt“). Die jüngste Entscheidung liefert weitere Erkenntnisse dazu, wie Lieferanten mit ihren Einzelhändlern über niedrige Wiederverkaufspreise sprechen können.

Der Fall

Die Beklagte ist ein Großhandelsunternehmen im Bereich Modellbau und Spielwaren. Die Klägerin vertreibt diese Waren über das Internet. Im Zeitraum von 2016 bis 2018 bezog die Klägerin Waren von der Beklagten und verkaufte sie regelmäßig unterhalb des von der Beklagten angegebenen unverbindlichen Verkaufspreises.

Im Juni und Juli 2018 setzte sich die Beklagte per E-Mail mit der Klägerin in Verbindung und fragte sie, woher sie die Waren beziehe und warum „sie mit sehr aggressiven Preisen am Markt auftrete“. Weiter schrieb die Beklagte, dass sie die „Geschäftspraktiken [der Klägerin] als sehr zweifelhaft empfinde“, dass die Klägerin „ihre Preispolitik […] überdenken“ sollte und dass es „wohl das Beste [wäre], wenn Sie [die Klägerin] unsere Produkte komplett auslisten und sich auf andere Hersteller konzentrieren würden“. Ein weiterer Streitpunkt war der Umstand, dass die Klägerin in einem Gewährleistungsfall einen ihrer Kunden zwecks Regulierung fälschlicherweise direkt an die Beklagte verwiesen hatte und dass die Klägerin nicht alle beworbenen Waren der Beklagten vorrätig hielt. Im Juni 2018 stellte die Beklagte die Lieferung ihrer Produkte ein und sperrte das Händlerkonto der Klägerin.

In seiner Entscheidung stellte das OLG Düsseldorf fest, dass die Äußerungen der Beklagten nicht gegen das Kartellverbot (§ 1 GWB, Art. 101 AEUV) verstießen, da weder eine Vereinbarung noch abgestimmte Verhaltensweise vorlagen, denn die Klägerin hatte sich ausdrücklich geweigert, ihre Preispolitik anzupassen.

Darüber hinaus entschied das OLG Düsseldorf, dass die Äußerungen auch nicht gegen § 21 Abs. 2 GWB verstießen. Das Umgehungsverbot des § 21 Abs. 2 GWB beinhaltet, dass Unternehmen anderen Unternehmen keine Nachteile androhen oder zufügen oder Vorteile versprechen oder gewähren dürfen, um sie zu einem Verhalten zu veranlassen, das nicht Gegenstand einer vertraglichen Verpflichtung im Sinne des Wettbewerbsrechts sein darf. Preisbindung im Einzelhandel kann ein solches verbotenes Verhalten darstellen. Drohungen von Lieferanten, die darauf gerichtet sind, ihre Einzelhändler dazu zu bewegen, die Wiederverkaufspreise zu erhöhen, verstoßen regelmäßig gegen § 21 Abs. 2 GWB. Ein Lieferant kann mit seinen Einzelhändlern über die Wiederverkaufspreise sprechen, er muss sich dabei aber im Rahmen des wettbewerbsrechtlich Zulässigen bewegen. 

Im vorliegenden Fall stellte das OLG Düsseldorf fest, dass die Beklagte der Klägerin nicht mit der Beendigung der Geschäftsbeziehung gedroht hatte, um sie zu einer Erhöhung der Wiederverkaufspreise zu bewegen. Dabei stützte sich das OLG Düsseldorf auf eine E-Mail der Beklagten an die Klägerin, in der die Beklagte wörtlich schrieb „Wir haben uns … niemals in Ihre Preispolitik eingemischt“, und folgerte daraus, dass die Beklagte nicht die Absicht gehabt habe, die Preispolitik der Klägerin zu beeinflussen. 

Das OLG Düsseldorf hielt es für plausibel, dass die Beklagte ihre Geschäftsbeziehung mit der Klägerin deswegen beendete, weil sie Zweifel an der geschäftlichen Seriosität der Klägerin hatte. Die Klägerin hielt nicht alle beworbenen Waren vorrätig und bestellte sie auch nicht bei der Beklagten. Darüber hinaus riet die Klägerin einem ihrer Kunden fälschlicherweise, sich in einem Gewährleistungsfall direkt an die Beklagte zu wenden.

Letztlich bestätigte das OLG Düsseldorf sein Urteil aus dem Vorjahr (OLG Düsseldorf, 18. September 2019 – VI-U [Kart] 3/19) und stellte erneut fest: „Wer den Geschäftspartner bittet, seine Preisstrategie zu überdenken, respektiert dessen Preissetzungshoheit und wirkt – sofern wie hier keine gegenläufigen Umstände vorliegen – nicht in verbotener Weise auf die Preisbildung ein.“

Anmerkungen zum Urteil

Das OLG Düsseldorf scheint den § 21 Abs. 2 GWB etwas enger ausgelegt zu haben als der BGH (vgl. BGH, 6. November 2011 – KZR 13/12) und das Bundeskartellamt (vgl. Hinweise zum Preisbindungsverbot im Bereich des stationären Lebensmitteleinzelhandels, Rn. 88). Die Tatsachenfeststellungen des OLG Düsseldorf erscheinen auch nicht ganz widerspruchsfrei. Die Beklagte soll die Klägerin zwei Jahre lang beliefert haben, aber in ihrer E-Mail-Korrespondenz behauptet die Beklagte, die Klägerin nicht in ihrer Kundenliste gefunden zu haben. Diese Behauptung, keine Kundenbeziehung mit der Klägerin zu haben, war für das Gericht offenbar ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Beklagte nicht gedroht habe, die Kundenbeziehung zu beenden, wenn die Klägerin ihre Wiederverkaufspreise nicht erhöhen würde. Hinzu kam, dass die Beklagte die Kundenbeziehung aus legitimen Gründen endgültig beendete und damit nicht auf künftige Wiederverkaufspreise einwirkte. Im Falle einer von beiden Seiten behaupteten Lieferbeziehung käme es auf weitere Umstände an, um festzustellen, dass eine Preisdiskussion einen unangemessenen Druck begründe.

Konsequenzen für die Praxis

Die beiden jüngsten Entscheidungen des OLG Düsseldorf geben den Lieferanten zusätzliche Hinweise dazu, wie sie reagieren sollen, wenn sich ihre Einzelhändler ihrer Ansicht nach unangemessen verhalten (z. B. durch Werbung für Waren ohne ausreichenden Lagerbestand oder aggressive Preisgestaltung unterhalb des empfohlenen Verkaufspreises). Insbesondere folgende Dos und Don’ts lassen sich aus dem Urteil ableiten:

  • Einigen Sie sich nicht auf Einzelhandelspreise.
  • Tauschen Sie keine Informationen oder Meinungen aus, die zu einer abgestimmten Verhaltensweise bei der Preisgestaltung im Einzelhandel führen könnten. 
  • Fügen Sie den Einzelhändlern keine Nachteile zu oder drohen Sie ihnen bei Nichteinhaltung der Einzelhandelspreisempfehlungen nicht mit Nachteilen.
  • Versprechen oder gewähren Sie keine Vorteile für die Befolgung von Einzelhandelspreisempfehlungen.
  • Erwägen Sie ein Gespräch mit Einzelhändlern, wenn Ihnen deren Geschäftsgebaren, einschließlich aggressiver Preisgestaltung, nicht gefällt, aber  vermeiden Sie es, ihnen zu drohen. Machen Sie in schriftlicher Form (z. B. per E-Mail) deutlich, dass Sie nicht beabsichtigen, sich in die Preispolitik der Einzelhändler einzumischen. Ob Ihre Kommunikation als Bedrohung interpretiert wird, kann von Ihrer Marktmacht abhängen.
  • Erwägen Sie, Ihre Geschäftsbeziehungen zu einem Einzelhändler zu beenden, der Ihren Erwartungen nicht entspricht, aber beenden Sie die Geschäftsbeziehung ggf. endgültig; machen Sie die Beendigung nicht von dem zukünftigen Verhalten des Einzelhändlers abhängig. Informieren Sie andere Einzelhändler nicht über die Beendigung der Geschäftsbeziehung, denn dies könnte als unterschwellige Drohung verstanden werden. Begründen Sie die Beendigung – wenn überhaupt – nicht mit dem Preisverhalten des Einzelhändlers, sondern mit dessen zweifelhaften Geschäftspraktiken. 

In Einzelfällen können allerdings Ausnahmen gelten, etwa wenn ein Lieferant über beträchtliche Marktmacht verfügt.

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Autoren

Foto vonMarkus Schöner
Dr. Markus Schöner, M.Jur. (Oxford)
Partner
Hamburg