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„Frühstückshotel“ innerhalb des Sicherheitsabstands eines Störfallbetriebs

Update Real Estate & Public 04/2021

April 2021

Hintergrund

Die EU-Richtlinie 2012/18/EU („Seveso-III-Richtlinie“) dient dem Zweck, Menschen und Umwelt vor schweren Industrieunfällen und ihren Folgen zu schützen. Die Richtlinie sieht u. a. vor, dass zwischen sog. Störfallbetrieben und öffentlich genutzten Gebäuden ein angemessener Sicherheitsabstand gewahrt bleiben muss (Art. 13 Abs. 2 Buchst. a Seveso-III-Richtlinie). Der Sicherheitsabstand dient nicht nur dem Schutz der Nutzer eines Bauvorhabens im Nahbereich eines Störfallbetriebs, sondern auch dem Recht des Störfallbetriebs auf Erhaltung und betriebliche Entwicklung. Baurechtlich findet die Regelung Niederschlag im Gebot der Rücksichtnahme.

Die Entscheidung

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (Beschluss vom 22.10.2020 – 4 W 1371/20) hatte in zweiter Instanz über den Eilantrag eines Störfallbetriebs zu entscheiden, der sich unter Berufung auf über das Gebot der Rücksichtnahme vermittelte nachbarrechtliche Abwehrrechte gegen die Baugenehmigung für ein Hotel mit einem Frühstücksangebot ausschließlich für Hotelgäste im angrenzenden Gewerbegebiet wandte.

Der VGH wies die Beschwerde zurück. Das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt, weil das Hotel kein öffentlich genutztes Gebäude i. S. d. Art. 13 Abs. 2 Buchst. a Seveso-III-Richtlinie sei. Kennzeichnend für ein öffentlich genutztes Gebäude sei, dass dort ein allgemeiner Publikumsverkehr stattfinde, d. h., dass es von einem unbegrenzten und wechselnden Personenkreis ohne Einschränkungen genutzt und aufgesucht werden könne, ohne dass die Besucher effektiv hinsichtlich des richtigen Verhaltens bei einem Störfall angehalten werden könnten. Ein solcher Publikumsverkehr finde jedoch nicht statt. Die Nutzung des Hotels hänge von dem vorherigen Abschluss eines Beherbergungsvertrags ab. Dabei könnten die Hotelgäste für Störfallrisiken sensibilisiert und auf Verhaltensregeln im Störfall hingewiesen werden. Zudem sei die Rezeption 24 Stunden am Tag besetzt und ein unkontrollierter Zugang deshalb nicht möglich, Frühstück werde lediglich für Übernachtungsgäste angeboten und das Hotel verfüge über keinen öffentlich zugänglichen Restaurantbereich oder Konferenzräume.

Praxistipp

Die Entscheidung zeigt abermals, dass „öffentlich genutzte Gebäude“ nicht einem öffentlichen Zweck dienen müssen, sondern es auf den unbeschränkten Nutzerkreis ankommt. Die Rechtsprechung hat bereits ein Gartencenter, einen Baumarkt mit „Drive-in“ und Verbraucher- und Möbelmärkte als öffentlich genutzte Gebäude eingestuft. Im Hinblick auf die unionsrechtliche Herkunft des Abstandsgebots wird tendenziell ein großzügiger Maßstab angelegt. Der VGH stellt darauf ab, dass Benutzer des Gebäudes vorher effektiv zum richtigen Verhalten im Störfall angehalten werden könnten. Dass sich Hotelgäste tatsächlich schon bei Vertragsschluss und damit vor Erreichen des Hotels mit den Verhaltensregeln in einem Störfall vertraut machen oder sie entsprechend informiert werden, dürfte die Ausnahme darstellen. Der VGH blendet zudem aus, dass auch Gäste ohne oder nur mit telefonischer Reservierung das Hotel aufsuchen können.

Die Rechtsprechung ist insoweit aber auch nicht einheitlich. So hält der VGH Mannheim (Beschluss vom 29.04.2015 – 3 S 2101/14) ein Fitnesscenter für ein öffentlich genutztes Gebäude, auch wenn zuvor eine Mitgliedschaft eingegangen werden müsse. Letztlich schärft die Entscheidung des Hessischen VGH die Voraussetzungen, unter denen von einem öffentlich genutzten Gebäude auszugehen ist. Sie zeigt aber auch, dass es immer auf den Einzelfall ankommt und nur der Gesetzgeber Klarheit schaffen kann.

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Autoren

Foto vonJan Gröschel
Jan Gröschel, LL.M.
Senior Associate
Hamburg