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Mietminderung wegen Lärms und Erschütterungen von einer benachbarten Baustelle?

Update Real Estate & Public 04/2021

April 2021

Hintergrund

Mietminderungen aufgrund von Lärm und Erschütterungen, die von einer benachbarten Baustelle ausgehen, sind ein leidiges Thema. Der Vermieter kann die Baustelle nicht verhindern und ist für Beeinträchtigungen in der Regel nicht verantwortlich. Der Mieter seinerseits muss die Beeinträchtigungen hinnehmen, die je nach Umfang der Arbeiten zu einer enormen Belästigung und je nach Art der Nutzung zu erheblichen Umsatzeinbußen führen können.

Seit der Bolzplatzentscheidung des BGH (Urteil vom 29.04.2015 – VIII ZR 197/14) wird ein Mietminderungsanspruch als Mangel einer Mietwohnung in entsprechenden Fällen dann verneint, wenn der Vermieter selbst in seiner Eigenschaft als Eigentümer die Beeinträchtigungen nach § 906 BGB zu dulden hat, es sei denn, die Parteien haben eine anderweitige Beschaffenheitsvereinbarung getroffen, die im Zweifel durch ergänzende Vertragsauslegung zu ermitteln ist.

Es kommt darauf an, welche Regelung die Mietvertragsparteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als redliche Vertragspartner getroffen hätten, wenn ihnen bei Vertragsabschluss die von ihnen nicht bedachte Entwicklung in Gestalt der erhöhten Lärmbelastung bewusst gewesen wäre.

Der BGH hält einen Mangel der Mietsache insbesondere dann für möglich, wenn Ansprüche des Vermieters gegen den Dritten nach § 906 BGB bestehen. Umgekehrt soll dann kein Mangel vorliegen, wenn auch der Vermieter die Beeinträchtigungen nach § 906 BGB zu dulden hat.

Nun hat das Kammergericht mit Urteil vom 17.09.2020 – 8 U 1006/20 – entschieden, dass Lärm und Erschütterungen von einer benachbarten Baustelle im Hinblick auf den mietvertraglich vereinbarten Nutzungszweck einen Mangel der Mietsache begründen, ohne dass es auf Abwehr- oder Entschädigungsansprüche des Vermieters gegen den Bauherrn nach § 906 BGB ankommt.

Die Entscheidung

Die klagenden Mieter betrieben in den streitgegenständlichen Mieträumen einen Thai-Massage-Salon. Ab März 2018 wurde das Nachbargebäude abgerissen und dort ein Neubau errichtet. Die Bauarbeiten verursachten erhebliche Beeinträchtigungen durch Lärm und Schmutz, weshalb die Kläger Mietrückzahlungen und Feststellung einer Mietminderung um 20 % begehrten. Während das Landgericht die Klage abwies, sprach das KG den Klägern den begehrten Betrag zu.

Das KG hält es insbesondere für bedenklich, dass der VIII. Zivilsenat des BGH im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung einen Mangel der Mietsache aufgrund nachträglich erhöhter Geräuschimmissionen durch einen Dritten grundsätzlich verneint, wenn der Vermieter sie gemäß § 906 BGB ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeit als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss. § 906 BGB sei eine sachenrechtliche Vorschrift, die auf das Mietverhältnis der Parteien nicht anwendbar ist. Sie soll bei der Nutzung eines Grundstücks im Verhältnis zu benachbarten Grundstücken auftretende Konflikte in einen vernünftigen Ausgleich bringen und begründet zu diesem Zweck unter bestimmten Voraussetzungen eine Duldungspflicht.

Nach Ansicht des KG entspricht es der Verkehrsanschauung, dass sich eine erhebliche Lärmbelastung gemieteter Räume tendenziell mietsenkend auswirkt. Die ortsübliche Vergleichsmiete für Wohnraum hängt gemäß § 558 Abs. 2 BGB von der „Lage“ ab und damit auch von Beeinträchtigungen durch Lärm. Dementsprechend sehen die Orientierungshilfen für die Spanneneinordnung zu den Berliner Mietspiegeln 2017 und 2019 das negative Wohnwertmerkmal „besonders lärmbelastete Lage“ und das positive Wohnwertmerkmal „besonders ruhige Lage“ vor. Da vorliegend von erheblichen Immissionen durch die Baustelle, insbesondere durch Lärm und Erschütterungen, auszugehen war, die deutlich über das in einer Nebenstraße der Berliner City übliche Maß hinausgehen, hielt es der erkennende Senat für entscheidend, dass diese Einwirkungen der im Mietvertrag vereinbarten Nutzung als Thai-Massage-Salon, insbesondere einem Entspannungseffekt der Massagebehandlungen, sehr abträglich sind. Die vertragsgemäße Nutzung sei insoweit schwerer betroffen, als es bei den meisten Einzelhandelsgeschäften der Fall wäre, und die Beeinträchtigungen seien der bei einer Wohn- oder Büronutzung mindestens vergleichbar. Die Tauglichkeit der gemieteten Räume zum vertragsgemäßen Gebrauch sei unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben nach der Verkehrsanschauung daher deutlich gemindert.

Praxistipp

Dreh- und Angelpunkt der hier besprochenen Rechtsprechung ist die Frage der vereinbarten Beschaffenheit des Mietgegenstandes. In zentralen innerstädtischen Lagen (aber auch andernorts) sind Beeinträchtigungen durch Baulärm nie völlig auszuschließen. Um einer Interpretation durch die Gerichte und einer Auslegung der vereinbarten Beschaffenheit nach Treu und Glauben vorzugreifen, sollten die Vertragsparteien vorausschauend entsprechende Szenarien in ihre Vertragsverhandlungen aufnehmen bzw. sich zeitnah über eine mögliche Kompensation unterhalten.

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Autoren

Dr. Michael Nauta, Licencié en Droit