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Privatklagerechte gegen Großvorhaben wegen Verletzung der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele?

Update Real Estate & Public 09/2020

September 2020

Der EuGH hat mit Urteil vom 28.05.2020 – C-535/18 – erneut eine wegweisende Entscheidung zu den Anforderungen des wasserrechtlichen Verschlechterungsverbots getroffen, insbesondere das deutsche System einer im Umweltrecht „modifizierten“ Verletztenklage bestätigt.

Hintergrund

Das BVerwG hatte dem EuGH aus Anlass einer Klage von Privatpersonen gegen den fernstraßenrechtlichen Planfeststellungsbeschluss für den Neubau der BAB 33 / B 61, Zubringer Ummeln, mehrere Fragen vorgelegt (BVerwG, Beschluss vom 25.04.2018 – 9 A 16/16). Die Kläger sind von der Enteignung betroffen, weil ihre Grundstücke für das Straßenbauvorhaben in Anspruch genommen werden sollen, oder betreiben private Trinkwasserbrunnen. Sie befürchten eine Verunreinigung ihrer Brunnen, weil das Niederschlagswasser der Straße in das Grundwasser eingeleitet wird, und beklagen eine unzureichende Prüfung. Eine umfassende Prüfung der Anforderungen der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) wurde erst während des Gerichtsverfahrens nachgereicht und war nicht Gegenstand der Öffentlichkeitsbeteiligung.

In Deutschland sind Individualklagen grundsätzlich nur zulässig, wenn der Kläger die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts rügen kann. Nach deutschem Rechtsverständnis sind z. B. die Vorgaben der WRRL nicht drittschützend. § 4 Abs. 1 UmwRG erweitert den Rechtsschutz im Umweltrecht zwar bei bestimmten Verfahrensfehlern, insbesondere einer fehlenden Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). In Bezug auf die hier relevanten Verfahrensfehler setzt § 4 Abs. 3 Satz 2 UmwRG aber voraus, dass dem Kläger die Beteiligungsmöglichkeit im Verfahren genommen wurde. Bislang war umstritten, ob dies mit EU-Recht vereinbar ist. 

Die Entscheidung

Der EuGH bestätigt, dass ein Mitgliedstaat die Klagemöglichkeit von einer individuellen Rechtsverletzung abhängig machen darf und einen Aufhebungsanspruch wegen Verfahrensfehlern davon, dass der Individualkläger durch diesen an einer Beteiligung im Verfahren der Vorhabenzulassung gehindert war. Allerdings müssten unmittelbar Betroffene auch die Verletzung von Umweltrechtsvorgaben geltend machen können, die kein subjektiv-öffentliches Recht vermitteln, also auch Verfahrensanforderungen. Maßgebend für die unmittelbare Betroffenheit sei die Zielsetzung der fraglichen Bestimmung. Art. 4 Abs. 1 b WRRL diene auch der Gewährleistung einer ausreichenden Grundwasserversorgung mit guter Qualität. Die Kläger, die das fragliche Grundwasser rechtmäßig nutzen, seien daher unmittelbar betroffen. Von der ebenfalls gerügten Einleitung von Niederschlagswasser in Oberflächengewässer seien die Kläger hingegen nicht betroffen. 
 
Im Übrigen stellt der EuGH fest, dass ein Vorhaben nur zugelassen werden darf, wenn die Behörde vor der Zulassung dessen Vereinbarkeit mit den Vorgaben der WRRL geprüft hat. Der Gerichtshof leitet dies aus der schon in früheren Entscheidungen vertretenen Auffassung ab, dass die Umweltziele der WRRL auch für einzelne Projekte verbindlich sind. Eine unterbliebene Prüfung könne im anschließenden Gerichtsverfahren nicht nachgeholt werden. Ob Unterlagen nachgereicht werden können, die nach Gegenstand, Systematik und Ermittlungstiefe nicht wesentlich über die bisherigen Untersuchungen hinausgehen, lässt der EuGH jedoch offen. Er überlässt es dem BVerwG zu bewerten, ob im Fall Ummeln trotz des Nachreichens umfangreicher wasserrechtlicher Unterlagen erst im Gerichtsverfahren die Anforderungen an die Prüfung des wasserrechtlichen Verschlechterungsverbots erfüllt sind. 

Praxistipp

Die Entscheidung dürfte den Diskurs über die differenzierten Klagerechte von Individualklägern und Verbänden im Umweltrecht beenden. Es bleibt dabei, dass sich Individualkläger auf die Verletzung umweltrechtlicher Vorschriften als solcher – anders als Umweltverbände – grundsätzlich nicht berufen können, sofern sie nicht „unmittelbar“ betroffen sind. Ob dies dem subjektiv-öffentlichen Recht nach unserem nationalen Rechtsverständnis entspricht, das z. B. durch ein Wassernutzungsrecht vermittelt wird, wird die Rechtsprechung zu klären haben. 

Problematisch ist die Feststellung, dass eine unterbliebene Prüfung der Anforderungen der WRRL nicht im Gerichtsverfahren nachgeholt werden kann. Richtig ist zwar, dass die Umweltziele der WRRL nicht nur für die wasserwirtschaftliche Planung, sondern auch für konkrete Vorhaben verbindlich sind. Dass die Prüfung aber bereits im Zulassungsverfahren stattfinden muss, lässt sich jedoch nicht aus Art. 4 der WRRL ableiten. Denn anders als die UVP-Richtlinie oder Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie enthält die WRRL keine verfahrensrechtlichen Anforderungen, sondern allein materiell-rechtliche Vorgaben. Besonders bedenklich ist, dass die Antwort auf die Vorlagefrage nicht auf UVP-pflichtige Vorhaben beschränkt ist und offenbar Geltung auch für Verfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung beansprucht. 

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Autoren

Foto vonUrsula Steinkemper
Dr. Ursula Steinkemper
Partnerin
Stuttgart