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Zusammenarbeit von Wettbewerbern – europäisches Kartellrecht wird überarbeitet

Update Gewerblicher Rechtsschutz & Kartellrecht 06/2020

Juni 2020

Die Kooperation von Wettbewerbern kann zu erheblichen Effizienzen durch Kosteneinsparungen und Angebotsverbesserungen führen. Das kann den allgemeinen Wohlstand fördern und dem einzelnen Verbraucher nützen. Die Kooperationen können aber auch dem Wettbewerb und damit den Verbrauchern schaden. Die Europäische Kommission („Kommission“) reformiert derzeit einen Teil der kartellrechtlichen Rahmenbedingungen, die die Grenzen und Freiräume von Kooperationen zwischen Wettbewerbern regeln. Die CMS Competition & EU Group ist dem Aufruf der Kommission gefolgt und hat Stellung dazu genommen, ob und inwieweit Änderungsbedarf besteht. Mehr dazu unter https://ec.europa.eu/competition/consultations/2019_hbers/index_en.html. Nachstehend fassen wir die wichtigsten Punkte zusammen:

Hintergrund

Horizontale Kooperationen unter Wettbewerbern können einen signifikanten wirtschaftlichen Nutzen und Vorteile für Verbraucher bringen. Zu denken ist an Einkaufskooperationen, Bieter- und Liefergemeinschaften, eine gebündelte Produktions-, Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit, Patentpools oder den Informations- und Datenaustausch. Die Zusammenarbeit unter Wettbewerbern kann ein Mittel sein, Risiken zu teilen, Kosten zu sparen, Investitionen zu steigern, Know-how zu bündeln, die Produktqualität und -vielfalt zu verbessern und die Innovation zu beschleunigen. 

Gleichzeitig bergen horizontale Kooperationen die Gefahr erheblicher Wettbewerbsbeschränkungen in sich. Preisvereinbarungen, Mengenbeschränkungen oder Marktaufteilungen dürfen ohne eine Freistellung vom Kartellverbot nicht einmal die mittelbare Folge horizontaler Kooperationen sein. Andernfalls begehen die beteiligten Unternehmen einen Kartellverstoß, der mit einem enormen Bußgeldrisiko verbunden ist.

Rechtsrahmen 

Um Unternehmen mehr Rechtssicherheit bei der Frage nach den kartellrechtlichen Grenzen horizontaler Kooperationen und ihrer Fähigkeit zur Freistellung vom Kartellverbot zu geben, hat die Kommission im Jahr 2011 die sog. Horizontal-Leitlinien erlassen. Daneben existieren zwei seit 2010 gültige EU-Verordnungen, die den wettbewerbsrechtlichen Spielraum ausgewählter Kooperationsformen erweitern (sog. Gruppenfreistellungsverordnungen): Die Spezialisierungsverordnung (Nr. 1218/2010) stellt Vereinbarungen über Spezialisierungen oder eine gemeinsame Produktion vom Kartellverbot frei, wenn die Wettbewerber auf dem relevanten Markt zusammen nicht mehr als 20 % Marktanteil besitzen. Die F&E-Verordnung (Nr. 1217/2010) stellt Vereinbarungen über die gemeinsame Forschung und Entwicklung vom Kartellverbot frei, wenn der gemeinsame Marktanteil nicht mehr als 25 % beträgt.

Am 31. Dezember 2022 laufen die genannten Verordnungen in ihrer heutigen Form aus. Deshalb evaluiert die Kommission derzeit die Verordnungen, um anschließend zu entscheiden, ob diese auslaufen, verlängert oder umfassend reformiert werden sollen. Die Reformpläne betreffen auch die Horizontal-Leitlinien, denen in der Praxis besondere Bedeutung für die wettbewerbliche Analyse horizontaler Vereinbarungen zukommt. 

CMS-Stellungnahme (Kurzfassung)

Rechtssicherheit

Sowohl die Verordnungen als auch die Horizontal-Leitlinien tragen grundsätzlich zur Rechtssicherheit für Unternehmen bei, da sie einen „safe harbour“ bzw. analytischen Rahmen und Orientierung liefern. Daher sollten sie in jedem Fall beibehalten und dabei so schlicht und konkret wie möglich gehalten werden. Die Rechtssicherheit könnte erweitert werden, indem die Verordnungen weitere Kooperationsformen erfassen und mehr Unternehmen zugutekommen, etwa durch höhere Marktanteilsschwellen.

Informationsaustausch

Es gibt legitime Gründe für Unternehmen, wettbewerblich relevante Informationen auszutauschen, auch unter Wettbewerbern. Denkbar ist dies im Rahmen von Einkaufsvereinbarungen, innerhalb von Gemeinschafts- oder Beteiligungsunternehmen, mit Blick auf M&A-Transaktionen, Patentpools oder im dualen Vertrieb. Die Voraussetzungen und Grenzen für einen legalen Informationsaustausch sollten aufgrund der erheblichen praktischen Bedeutung klarer gefasst werden. Bei einem indirekten Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern sollte etwa sinnvoll danach differenziert werden, ob die Informationen absichtlich über einen Dritten „gespielt“ werden („hub and spoke“) oder ob der Informationsfluss unbeabsichtigt über einen unabhängigen Dritten erfolgt, z. B. über einen Kunden im Rahmen von Verhandlungen. 

Einkaufskooperationen

Die Horizontal-Leitlinien werden neuartigen Formen von Einkaufskooperationen im internationalen Einzelhandel nicht gerecht. Einkaufskooperationen dienten ursprünglich dazu, kleineren Unternehmen ähnliche Einkaufskonditionen zu ermöglichen wie größeren Wettbewerbern, was im Grundsatz effizienzfördernd ist. Heute haben sich internationale Handelsallianzen mit jeweils großen (nationalen) Einzelhändlern formiert, die die Privilegierung durch die Leitlinien nicht unbedingt verdienen. Die Horizontal-Leitlinien sollten nicht nur den Verbraucherschutz als Leitbild ansehen, sondern – im Einklang mit der Rechtsprechung – auch den Schutz des Wettbewerbs als solchen. Die Horizontal-Leitlinien sollten daher auch klarer fassen, unter welchen Voraussetzungen Einkaufsvereinbarungen wettbewerbsbeschränkend sind. So können wettbewerbsbeschränkende Wirkungen etwa auch dann auftreten, wenn die Mitglieder einer Einkaufskooperation nur im Einkaufsmarkt (upstream), nicht jedoch zugleich im Verkaufsmarkt (downstream) Wettbewerber sind.

Umweltschutz und Nachhaltigkeit

Die heutigen Horizontal-Leitlinien befassen sich nicht mit dem Verhältnis zwischen den Wettbewerbsregeln und anderen Zielen der europäischen Verträge, etwa dem Umweltschutz, dem Tierschutz oder dem nachhaltigen Wirtschaften. Der Green New Deal der Kommission ist für diese ein wichtiges neues Ziel. Unklar ist, wie Unternehmen, die hierzu beitragen sollen und wollen, mit Wettbewerbern zusammenarbeiten können, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Bei schematischer Anwendung könnte das Kartellrecht der effizienten Koordination zwischen Wettbewerbern im Hinblick auf Nachhaltigkeit entgegenstehen. Die neuen Horizontal-Leitlinien sollten daher einen Abschnitt über Nachhaltigkeitsvereinbarungen enthalten, der sich etwa mit Initiativen zur Verbesserung der Produktions- und Vertriebsstandards befasst, z. B. zur Förderung des Tierschutzes, zur Fortentwicklung der umweltfreundlichen Produktion, zur Verringerung der Emissionen und des Energie- und Ressourcenverbrauchs, zur Vermeidung von Kinderarbeit und zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Landwirte. Wir schlagen vor, einen von Marktanteilsschwellen unabhängigen „safe harbour“ zu schaffen, da solche Initiativen notwendigerweise den gesamten Markt abdecken müssen.

Dieser Artikel ist Teil des Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht, welches Sie hier abonnieren können.

Autoren

Foto vonShaya Stender
Dr. Shaya Stender
Associate
Hamburg