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Brexit und die Erschöpfung von IP-Rechten – welche Änderungen ergeben sich für Rechteinhaber und Händler?

Update Gewerblicher Rechtsschutz & Kartellrecht 04/2021

April 2021

Zum 1. Januar 2021 wurde der Brexit endgültig vollzogen. Bis dahin galt das Unionsrecht im Vereinigten Königreich fort. Produkte, an denen gewerbliche Schutzrechte bestehen, konnten aufgrund des Erschöpfungsgrundsatzes aus UK in die übrigen EU- und EWR-Staaten verbracht werden, ohne Marken-, Urheber-, Patent- oder andere Schutzrechte zu verletzen. Doch was gilt nun und in Zukunft?

Grundsatz der EWR-weiten Erschöpfung

Immaterialgüterrechte, wie z. B. das Urheber- und Designrecht, das Marken- oder das Patentrecht gewähren dem Inhaber ein ausschließliches Recht, über das Inverkehrbringen einer geschützten Ware zu bestimmen. Dieses Recht findet seine Grenze in der Warenverkehrsfreiheit und dem Erschöpfungsgrundsatz: Ist die Ware (die beispielsweise die Marke des Herstellers trägt) einmal vom Rechteinhaber oder mit seiner Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) auf den Markt gebracht, kann der Rechteinhaber die Weiterverbreitung im EWR nicht mehr untersagen.  

Brexit und Übergangszeitraum

Mit Wirkung zum 1. Februar 2020 trat das Vereinigte Königreich aus der EU aus. Das Austrittsabkommen sah zunächst einen Übergangszeitraum vor, der am 31. Dezember 2020 endete. Während dieses Zeitraums galt das Unionsrecht im Vereinigten Königreich fort. Markenrechtlich blieb es zunächst beim Grundsatz der regionalen Erschöpfung: Waren, die vor dem 1. Januar 2021 im Vereinigten Königreich vom Rechteinhaber oder mit seiner Zustimmung in Verkehr gebracht worden waren, galten weiterhin auch im Rest der EU als erschöpft.

Dabei bleibt es auch: Art. 61 des Austrittsabkommens vom Oktober 2019 sieht ausdrücklich vor, dass Rechte des geistigen Eigentums, die während des Übergangszeitraums, d. h. zwischen dem 1. Februar 2020 und vor dem 1. Januar 2021, sowohl in der Union als auch im Vereinigten Königreich erschöpft waren, in der Union und im Vereinigten Königreich erschöpft bleiben. Die Regelung war erforderlich, denn wird eine Ware in einem Land außerhalb der EU / des EWR erstmals in Verkehr gebracht – und Großbritannien ist seit dem 1. Februar 2020 eigentlich ein solches Drittland –, ist ein Import in die EU / den EWR ohne Zustimmung des Rechteinhabers nicht erlaubt.

Stichtag

Doch welche Änderungen ergeben sich mit dem Ablauf der Übergangsperiode zum 1. Januar 2021, dem sogenannten „Exit“ oder „Stichtag“?

Fest steht: Die EU-Vorschriften zum freien Warenverkehr finden keine Anwendung mehr in Bezug auf das Vereinigte Königreich. Der zum. 1. Januar 2021 in Kraft getretene Partnerschaftsvertrag zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich hat die Erschöpfungsfrage bewusst offengelassen und den Vertragsparteien diesbezüglich in Artikel IP 5 Gestaltungsfreiheit eingeräumt.

Der britische Gesetzgeber hat die Frage für Ware, die in der EU / im EWR erstmals in den Verkehr gebracht wird, vorläufig mit den „Intellectual Property (Exhaustion of Rights) (EU Exit) Regulations 2019“ geklärt. Eine langfristige Regelung des Erschöpfungsregimes wurde für Anfang 2021 angekündigt, bislang aber noch nicht veröffentlicht. Auf Seiten der Europäischen Union wurde bislang nur die jetzige Rechtslage bekanntgegeben – ob die EU diese in Zukunft ändern oder mit dem Vereinigten Königreich über eine bilaterale Erschöpfungsregelung verhandeln wird, ist derzeit nicht bekannt. Daher gilt vorerst eine „asymmetrische regionale Erschöpfung“:

Immaterialgüterrechte an Waren, die ab dem 1. Januar 2021 durch den Rechteinhaber oder mit dessen Zustimmung auf den EU- bzw. EWR-Markt gebracht werden, gelten im Vereinigten Königreich weiterhin als erschöpft.

Umgekehrt können Waren, die nach der Übergangszeit vom Rechteinhaber oder mit dessen Zustimmung auf den britischen Markt gebracht werden, nicht mehr als in der EU erschöpft angesehen werden. Importe aus dem Vereinigten Königreich in die EU gelten nunmehr als Drittlandimporte. Unternehmen, die immaterialgüterrechtlich geschützte Waren aus dem Vereinigten Königreich in den EWR importieren, werden daher nun die Zustimmung des Rechteinhabers für den (Weiter-)Vertrieb benötigen.

Vor diesem Hintergrund sollten Händler ihre Geschäftsvereinbarungen, ihre Geschäftsmodelle und Lieferketten genaustens überprüfen. Die Rechteinhaber sollten wiederum überprüfen, ob ihre Ware für den UK-Markt bestimmt war oder (auch) für die EU bzw. den EWR. Sollte dies nicht der Fall sein, können sie den Weitervertrieb untersagen und entsprechende Ansprüche wegen einer Schutzrechtsverletzung geltend machen.

Folgen für Parallelimporte von Arzneimitteln

Große Bedeutung hat die Erschöpfung von Markenrechten insbesondere bei der Änderung von Verpackungen von Arzneimitteln im Rahmen von Parallelimporten. Der Erschöpfungseinwand gilt im Grundsatz dann nicht mehr, wenn die Ware verändert wird, z. B. wenn zum Zwecke des Imports in ein anderes Land die Verpackung angepasst wird. Da bei regulierten Produkten wie Arzneimitteln oder Medizinprodukten ein Umverpacken häufig aus regulatorischen Gründen notwendig ist, hat der EuGH in der Leitentscheidung „Bristol-Myers Squibb“ fünf Kriterien (sogenannte „BMS-Kriterien“) aufgestellt, die kumulativ erfüllt sein müssen, um Parallelhändlern zu erlauben, veränderte Markenware zu vertreiben:

  • Es würde zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten beitragen, wenn der Markeninhaber sich auf seine Rechte berufen würde. Mit anderen Worten: Das Umpacken ist erforderlich, um das Arzneimittel im Einfuhrmitgliedstaat vermarkten zu können.
  • Der Originalzustand der Produkte darf nicht beeinträchtigt werden.
  • Auf der Parallelimportware müssen der Hersteller und das Unternehmen, das die Ware umverpackt hat, angegeben werden.
  • Durch das Umpacken darf der gute Ruf des Markenrechtsinhabers nicht gefährdet werden.
  • Der Markenrechtsinhaber ist vom Parallelimporteur vor dem Inverkehrbringen der umgepackten Ware informiert worden und ihm wurde auf Verlangen ein Muster der neuen Verpackung vorgelegt.

Ob es auf diese BMS-Kriterien künftig auch im Hinblick auf umverpackte Arzneimittel ankommen wird, die aus der EU in das Vereinigte Königreich parallel importiert werden, ist derzeit noch offen. Nach der vorläufigen asymmetrischen Regelung gelten Immaterialgüterrechte an Waren, die ab dem 1. Januar 2021 durch den Rechteinhaber oder mit dessen Zustimmung auf den EU- bzw. EWR-Markt gebracht werden, auch im Vereinigten Königreich als erschöpft. Auch in UK gilt aber weiterhin der Grundsatz, dass sich der Rechteinhaber dem Parallelimport aus berechtigten Gründen widersetzen darf, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem ersten Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert wurde.

Es bleibt also abzuwarten, ob die britischen Gerichte bei der Auslegung dieses Grundsatzes die zu Parallelimporten ergangene EuGH-Rechtsprechung weiterhin anwenden werden. Das UK-Austrittsgesetz von 2018 bestimmt in Art. 5(2), dass der Vorrang des EU-Rechts weiterhin gilt, soweit EU-Regeln bei der Auslegung von Vorschriften, die vor dem Austritt in Kraft getreten sind, relevant sind – z. B. also bei der Anwendung des britischen Markengesetzes, soweit dieses auf der EU-Markenrechtsrichtlinie beruht. Und nach Art. 6 (3) des Austrittsgesetzes ist die EuGH-Rechtsprechung bei nach dem Austritt beibehaltenen EU-Vorschriften weiterhin zu beachten. Gleichwohl sollen der Supreme Court und mit Einschränkung der High Court of Justiciary an die bisherige EuGH-Rechtsprechung nicht gebunden sein (Art. 6[4] des UK-Austrittsgesetzes). Bei der Entscheidung darüber, ob von einer EU-Rechtsprechung abgewichen werden soll, muss der Supreme Court oder der High Court of Justiciary allerdings denselben Maßstab anlegen, der maßgeblich ist, wenn von der eigenen nationalen Rechtsprechung abgewichen werden soll.

Viel spricht also dafür, dass die UK-Gerichte die BMS-Rechtsprechung erst einmal beibehalten werden. Änderungen durch den Supreme Court sind aber nicht ausgeschlossen.

Fazit

Die gemeinschaftsweite Erschöpfung als eines der Kernelemente innerhalb des europäischen Wirtschaftsverkehrs entfällt nun für Waren, die aus dem Vereinigten Königreich stammen. Ein Inverkehrbringen im Vereinigten Königreich bewirkt keine Erschöpfung im EWR. Unklar ist, welche wirtschaftlichen Auswirkungen diese Handelsbarriere langfristig haben wird. Denn das asymmetrische Modell scheint britische Händler gegenüber den im EWR ansässigen Händlern einseitig zu begünstigen. So sind Parallelimporte aus dem EWR in das Vereinigte Königreich vom Brexit faktisch nicht betroffen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die Rechtsprechung des EuGH vor den britischen Gerichten weiterhin Beachtung finden wird oder nicht. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Grundsätze relevant, die der EuGH hinsichtlich des Umverpackens von Arzneimitteln aufgestellt hat. 

Dieser Artikel ist Teil des Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht, welches Sie hier abonnieren können.

Autoren

Foto vonNikolas Gregor
Dr. Nikolas Gregor, LL.M. (Boston Univ.), Maître en droit
Partner
Hamburg
Lisa Wernecke