06/12/2023
Mindestharmonisierung der Insolvenzanfechtung in Europa
Das Fehlen harmonisierter Insolvenzrechte wird seit Langem als eines der größten Hindernisse für den freien Kapitalverkehr in der EU angesehen. Am 7. Dezember 2022 veröffentlichte die EU-Kommission daher einen Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts mit dem Ziel, die Unterschiede zwischen den nationalen Insolvenzvorschriften zu verringern und somit das Problem der geringeren Effizienz der Insolvenzvorschriften einiger Mitgliedstaaten anzugehen und die Berechenbarkeit von Insolvenzverfahren im Allgemeinen zu erhöhen. Der Vorschlag befindet sich aktuell im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren. Uneinheitliches Insolvenzrecht behindert freien EU-Kapitalverkehr Bislang unterscheiden sich die nationalen Insolvenzregelungen der 27 EU-Mitgliedstaaten zum Teil massiv. Grundsätzlich gilt, dass Investoren ineffizienten Insolvenzrechten mit einer Risikoprämie Rechnung tragen. Je geringer die Effizienz der nationalen Insolvenzregelung, desto höher fällt diese Risikoprämie aus. Eine Hochrisikoprämie erhöht die Kapitalkosten, was wiederum die Auswahl an Finanzierungsmöglichkeiten einschränkt. Divergierende Insolvenzanfechtungsrechte Die Unterschiede der einzelnen Insolvenzrechte machen sich besonders bemerkbar bei den Insolvenzanfechtungsrechten. Dies beginnt damit, dass nicht jede Rechtsordnung die gleichen Anfechtungstatbestände kennt. Beispielsweise ist die Befriedigung durch Zwangsvollstreckung in Deutschland, Frankreich, Portugal, Polen und Schweden anfechtbar, nicht aber in England, den Niederlanden, Spanien, Malta, Tschechien und der Slowakei. Auch die Tatbestandsvoraussetzungen weichen erheblich voneinander ab: in England, Frankreich, der Slowakei und Tschechien wird bei der Schenkungsanfechtung die materielle Insolvenz des Schuldners im Moment der Schenkung vorausgesetzt, in den meisten anderen Rechtsordnungen nicht. Die zeitliche Begrenzung der Anfechtung könnte ebenfalls kaum unterschiedlicher sein: der Anfechtungszeitraum bei der Vorsatzanfechtung beläuft sich in Slowenien auf ein Jahr, in Kroatien und Deutschland auf zehn Jahre, England, Portugal, Dänemark und Finnland kennen dagegen keine zeitliche Begrenzung. In grenzüberschreitenden Insolvenzen kommt es daher nicht selten zu Situationen, in denen die betreffende Rechtshandlung nach dem Recht des Eröffnungsstaates anfechtbar ist, nach dem Recht des anderen (involvierten) Mitgliedstaates jedoch nicht. Nach Art. 16 EuInsVO kann der Anfechtungsgegner dann nachweisen, dass sich die anfechtbare Rechtshandlung nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates als dem des Eröffnungsstaates richtet und dass die Handlung nach diesem Recht nicht anfechtbar ist. Die richtige Einschätzung der Rechtslage bzw. der Erfolgsaussichten eines Prozesses gestaltet sich in solchen Fällen nachvollziehbar schwierig. Vorschlag für eine Richtlinie zur Harmonisierung des Insolvenzrechts Der Richtlinienentwurf sieht in den Art. 4 bis 12 Mindestvorgaben in Bezug auf die Nichtigkeit, Anfechtbarkeit oder Nichtdurchsetzbarkeit von Rechtshandlungen, die die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen, vor. Die Mitgliedstaaten verhandeln derzeit intensiv über den Entwurf. Wie bei allen europäischen Gesetzgebungsprozessen, die die Angleichung unterschiedlicher Rechtsordnungen bezwecken, besteht die Schwierigkeit darin einen „gemeinsamen Nenner“ zu finden. Zwar stellen die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Regelungen nur eine Mindest- und keine Vollharmonisierung dar. Dennoch hat sich im Verlauf der Debatte bereits gezeigt, dass es einigen Mitgliedstaaten durchaus schwer fällt, von ihren fest verankerten insolvenzrechtlichen Grundsätzen abzurücken. Dennoch besteht kaum ein Zweifel daran, dass der Vorschlag der Kommission angenommen wird. In welcher Form, bleibt jedoch abzuwarten. Für die nationalen Regelungen der deutschen Insolvenzordnung dürfte nur mit wenigen Änderungen zu rechnen sein. Einblicke in ein weiteres wichtiges Thema der Harmonisierungsrichtlinie gibt unser Blogbeitrag Pre-pack-Verfahren – ein neues Sanierungsinstrument?. Weitere Harmonisierung des Insolvenzrechts zu erwarten Darüber hinaus sind in naher Zukunft weitere Harmonisierungsversuche der EU-Kommission von Themen, die durch die Harmonisierungsrichtlinie noch weitestgehend ausgespart wurden, zu erwarten. Dies gilt insbesondere für die Definition der Eröffnungsgründe. Nach dem derzeitigen Stand des Unionsrechts entscheidet über die Definition der Insolvenz das Recht der Mitgliedstaaten. Auch hier findet sich – ähnlich wie bei den Anfechtungsrechten – eine große Heterogenität.
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