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Der Regierungsentwurf des Verbandssanktionengesetzes

Update Gesellschaftsrechtliche Gestaltung 10/2020

Oktober 2020

Die Bundesregierung hat am 16. Juni 2020 den Regierungsentwurf (RE) eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ beschlossen, dessen Kern das „Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten“ (Verbandssanktionengesetz = VerSanG) ist. De facto soll damit in Deutschland ein „Unternehmensstrafrecht“ eingeführt und eine deutliche Verschärfung der Rechtslage geschaffen werden.

Verfolgung von Verbandstaten

Der VerSanG-RE findet Anwendung auf juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts, nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist (§ 1 VerSanG-RE). Auch kann er auf durch Verbände mit Inlandssitz im Ausland begangene Taten anwendbar sein, die nicht dem Geltungsbereich des deutschen Strafgesetzes unterfallen (§ 2 Abs. 2 VerSanG-RE).

Verfolgt werden sogenannte Verbandstaten, die bei Begehung von Straftaten vorliegen, durch die den Verband treffende Pflichten verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte (§ 2 Abs. 1 Ziff. 3 VerSanG-RE). Dies können zum Beispiel Korruptionsdelikte, Steuerdelikte, Umweltdelikte oder strafrechtsrelevante Wettbewerbsverstöße sein. Den Verband trifft die Verantwortlichkeit für Verbandstaten

  • einer Leitungsperson des Verbandes oder
  • einer sonstigen Person in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes, wenn Leitungspersonen des Verbandes die Straftat durch angemessene Vorkehrungen (insbesondere Organisation, Auswahl, Anleitung und Aufsicht) hätten verhindern oder wesentlich erschweren können (§ 3 Abs. 1 VerSanG-RE).

Letzteres stellt eine deutliche Verschärfung im Vergleich zur gegenwärtigen Gesetzeslage dar, da eine Verantwortlichkeit bereits bei objektiven Pflichtverstößen von Leitungspersonen vorliegt, ohne dass diese eine Schuld treffen muss. Zugleich verdeutlicht dies, dass ein Verband diesem Risiko durch ein angemessenes Compliance-System vorbeugen kann und sollte.

Eine weitere wesentliche Verschärfung der Rechtslage besteht in der Abkehr vom bislang im Verbandsbußgeldverfahren geltenden Opportunitätsprinzip und der Einführung des Legalitätsprinzips (§§ 3 Abs. 1, 24 Abs. 1 VerSanG-RE). Danach ist die zuständige Verfolgungsbehörde (im Regelfall die Staatsanwaltschaft) bei Vorliegen eines Anfangsverdachts für eine Verbandstat verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. 

Der Verfolgungszwang gilt aber nicht ausnahmslos. Der Gesetzesentwurf sieht in den §§ 35, 36 VerSanG-RE Möglichkeiten zur Einstellung des Verfahrens vor, beispielsweise wegen Geringfügigkeit, unter Auflagen und Weisungen. Auch bei der Prüfung, ob danach die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verfolgung vorliegen, können Compliance-Maßnahmen an Bedeutung gewinnen.

Verbandssanktionen

Als Verbandssanktionen sieht der Regierungsentwurf die Möglichkeiten der Verhängung einer Verbandsgeldsanktion (§ 9 VerSanG-RE) sowie der Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt (§ 10 VerSanG-RE) vor. Der VerSanG-RE sieht einen empfindlichen (Straf-)Rahmen für Geldsanktionen vor. So kann gegen Verbände mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als EUR 100 Mio. bei vorsätzlichen Taten eine Verbandsgeldsanktion von bis zu 10 % (bei fahrlässigen Taten bis zu 5 %) des durchschnittlichen weltweiten (Konzern-)Jahresumsatzes verhängt werden (§ 9 Abs. 2 VerSanG-RE). Die Bemessung der Höhe der Verbandsgeldsanktion ist von verschiedenen Aspekten abhängig. Hervorzuheben ist die strafschärfende oder strafmildernde Wirkung des (Nicht-)Vorhandenseins oder der nachträglichen Einführung von Compliance-Systemen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten (§ 15 Abs. 3 Ziff. 6 und 7 VerSanG-RE).

Ist die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion nach Gesamtwürdigung aller Umstände (auch hier sind Compliance-Maßnahmen von Bedeutung) nicht erforderlich, kann das Gericht stattdessen auch eine Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt (§ 10 VerSanG-RE) aussprechen und den Verband zudem mit Auflagen (§ 12 VerSanG-RE) oder Weisungen (§ 13 VerSanG-RE) belegen, um ihn zur künftigen „Rechtstreue“ anzuhalten.

Bei einer großen Zahl von Geschädigten kann das Gericht neben der Verhängung der Verbandsgeldsanktion die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes anordnen (§ 14 VerSanG-RE). 

Compliance-Maßnahmen

All dies zeigt, dass die Bedeutung von Compliance-Systemen zukünftig noch weiter zunehmen wird.

Welche Anforderungen an ein sich strafmildernd auswirkendes Compliance-System zu stellen sind, wird durch den Gesetzgeber nicht definiert. Die Gesetzesbegründung verweist lediglich darauf, dass sich der Umfang der „angemessenen“ Vorkehrungen nach den Umständen des Einzelfalls richtet, insbesondere der Art, Größe und Organisation eines Unternehmens, der Gefährlichkeit des Unternehmensgegenstandes, der Anzahl der Mitarbeiter, den zu beachtenden Vorschriften sowie dem Risiko ihrer Verletzung. Rechtssicherheit schafft dies nicht. Entsprechend den Kriterien der bisherigen Rechtsprechung mögen bei kleinen und mittleren Unternehmen mit geringem Risiko von Rechtsverletzungen einfache Maßnahmen (beispielsweise internes Regelwerk und regelmäßige Mitarbeiterschulungen) ausreichen. Bei großen und komplexen Unternehmen ist hingegen zukünftig eine Enthaftung ohne die Einführung eines ausgearbeiteten Compliance-Systems ausgeschlossen.

In Anbetracht der beschriebenen „Privilegierungswirkungen“ ist daher von den Unternehmen zu prüfen, ob die bestehenden Compliance-Systeme ausreichen bzw. ob solche eingeführt werden müssen. Ein Unterlassen einer solchen Prüfung bzw. etwaiger notwendiger Maßnahmen durch die Geschäftsleitungsorgane kann überdies zu einem erheblichen persönlichen Haftungsrisiko der Geschäftsführer oder Vorstände werden, wenn zukünftig aufgrund entsprechender Vorfälle hohe Verbandsstrafen zu Lasten des Unternehmens ausgesprochen werden. 

Internal Investigations

Ein Novum im deutschen Recht sind die Regelungen zu Internal Investigations (§§ 16 f. VerSanG-RE), mit denen Anreize für die Durchführung von internen Untersuchungen zur Aufdeckung und Ermittlung von Straftaten geschaffen werden sollen.

Trägt die durch den Verband selbst oder durch einen beauftragten Dritten durchgeführte Untersuchung wesentlich dazu bei, dass die Verbandstat und die Verbandsverantwortlichkeit aufgeklärt werden kann, „soll“ das zuständige Gericht die Verbandsgeldsanktion auf die Hälfte des vorgesehenen Höchstmaßes mildern (§§ 17, 18 VerSanG-RE). Auch die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung ist dann ausgeschlossen (§ 18 VerSanG-RE). Zudem liegt es im Interesse des Verbandes, dass in diesem Fall die Verbandsgeldsanktion durch Sanktionsbescheid verhängt wird und eine öffentliche Hauptverhandlung unterbleibt (§ 50 Abs. 3 VerSanG-RE). Voraussetzung ist allerdings die Beachtung des strikten rechtlichen Rahmens des § 17 VerSanG-RE, wonach beispielsweise die „uneingeschränkte und ununterbrochene“ Zusammenarbeit mit den Verfolgungsbehörden unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens und (gemäß Gesetzesbegründung) der geltenden Gesetze erforderlich ist. Die Untersuchung darf nicht durch einen Verteidiger des Verbandes erfolgen. Aufgrund des dadurch begründeten Spannungsverhältnisses zwischen strafmildernder Aufklärung und effektiver Verteidigung wird sich für Verbände die Frage stellen, wann eine solche Form der Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden sinnvoll ist.

Praxistipp

Das Gesetz soll nach jetziger Fassung zwei Jahre nach seiner Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten. Der Bundesrat hat den Gesetzesentwurf bereits befürwortet, nicht jedoch, ohne mehrere Änderungen vorzuschlagen. Tritt das Gesetz ohne wesentliche Änderungen in Kraft, wird durch den eingeführten Strafverfolgungszwang die Anzahl der Verfahren steigen – zugleich aber auch die Anreize für ein Compliance-Management und interne Untersuchungen. Unternehmen sollten die verbleibende Zeit daher nutzen und ihr Compliance-Management optimieren.

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