Home / Veröffentlichungen / Deutsche Unternehmensmitbestimmung hält vor dem EuGH...

Deutsche Unternehmensmitbestimmung hält vor dem EuGH stand

Arbeitsrecht – schnell notiert …

Juli 2017

Seitdem das Kammergericht in Berlin im Oktober 2015 dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt hatte, ob es mit europarechtlichen Vorgaben vereinbar ist, dass nur die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer berechtigt sind, an der Wahl der Arbeitnehmervertreter für den Aufsichtsrat teilzunehmen, hat die Praxis gespannt nach Luxemburg geblickt und auf eine Antwort des EuGH gewartet.

Diese liegt nun vor und dürfte zu einem merklichen „Aufatmen“ der Praxis führen. Der EuGH hat am 18. Juli 2017 entschieden, dass bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat die Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf Arbeitnehmer, die in Betrieben in Deutschland beschäftigt sind, nicht ge-gen europäisches Recht verstößt (Rechtssache Erzberger ./. TUI AG – C-566/15).

1. Zur Entscheidung des EuGH

a) Zugrunde liegender Sachverhalt

Der Kläger Herr Erzberger ist Aktionär der TUI AG. Er hatte im Ausgangsverfahren geltend gemacht, dass der Aufsichtsrat der TUI AG nicht richtig zusammengesetzt sei. In dem Umstand, dass die deutschen Vorschriften über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer das aktive und passive Wahlrecht für die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat auf Arbeitnehmer beschränken, die in Betrieben in Deutschland beschäftigt werden, sah Herr Erzberger einen Verstoß gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot wegen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) sowie gegen die europarechtliche Garantie der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV).

In der Tat gingen Rechtsprechung und herrschende Literaturmeinung bislang davon aus, dass im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer nicht an der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat teilnehmen. Diese Einschränkung wurde mit dem sogenannten „Territorialitätsprinzip“ begründet, wonach sich die deutsche Unternehmensmitbestimmung nicht auf das Hoheitsgebiet anderer Staaten erstrecken könne.

Während das Landgericht Berlin in der ersten Instanz einen Verstoß gegen europarechtliche Normen noch verneint hatte, hielt das Kammergericht einen solchen für denkbar und legte diese Frage daher dem EuGH zur Entscheidung vor.

b) Inhalt des EuGH-Urteils

Der EuGH verneint mit knapper Begründung einen Verstoß gegen europarechtliche Normen.

Ein Verstoß gegen das allgemeine Verbot von Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit liege schon deswegen nicht vor, da bei solchen arbeitsrechtlichen Fallgestaltungen nur die speziellere und damit vorrangige Garantie der Arbeitnehmerfreizügigkeit einschlägig sei.

Bei der Prüfung einer etwaigen Behinderung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch die deutschen Mitbestimmungsgesetze bildet der EuGH zwei Gruppen von Arbeitnehmern und verneint jeweils eine Behinderung der Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Hinsichtlich der Arbeitnehmer, die nie in Deutschland, sondern immer im EU-Ausland gearbeitet und damit auch nie von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätten oder Gebrauch machen wollten, fehle es schon an einem grenzüberschreitenden Element. Damit europarechtliche Grundfreiheiten eingreifen könnten, sei aber stets ein grenzüberschreitendes Element erforderlich. Innerstaatliche Sachverhalte erfassten die europarechtlichen Grundfreiheiten grundsätzlich nicht, sodass in Bezug auf diese Arbeitnehmer ein Eingriff in die Arbeitnehmerfreizügigkeit ausscheide.

Hinsichtlich der Arbeitnehmer, die zunächst in Deutschland gearbeitet hätten und dann eine Stelle im EUAusland annähmen („Wechsel ins EU-Ausland“), sei zwar ein grenzüberschreitendes Element gegeben. Allerdings liege keine Behinderung der Arbeitnehmerfreizügigkeit vor. Das Europarecht garantiere einem Arbeitnehmer nicht, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedsstaat in sozialer Hinsicht „neutral“ sei. Daher verleihe die Garantie der Arbeitnehmerfreizügigkeit Arbeitnehmern auch nicht das Recht, sich im Aufnahmemitgliedsstaat auf die Arbeitsbedingungen zu berufen, die ihnen im Herkunftsmitgliedsstaat nach den dortigen nationalen Rechtsvorschriften zugestanden hätten. Deutschland sei insofern nicht gehindert, den Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze im Hinblick auf das aktive und passive Wahlrecht auf die Arbeitnehmer zu beschränken, die in Betrieben in Deutschland beschäftigt würden.

2. Folgen der Entscheidung für die Praxis

Das Urteil des EuGH ist zu begrüßen. Es wäre nur schwer nachzuvollziehen, warum die Arbeitnehmerfreizügigkeit behindert werden sollte, nur weil im EU-Ausland beschäftigte Arbeitnehmer nicht an Aufsichtsratswahlen in Deutschland teilnehmen dürfen. Es ist kaum vorstellbar, dass das „Herausfallen“ aus der Mitbestimmung Arbeitnehmer von einem Wechsel von einem Arbeitsplatz in Deutschland auf eine Stelle im EU-Ausland abhalten kann.

a) Keine EU-weiten Neuwahlen von Aufsichtsräten erforderlich

Mit seiner Entscheidung hat der EuGH eine wichtige Klärung vorgenommen. An den Wahlen der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat nehmen im EU Ausland beschäftigte Arbeitnehmer (unabhängig von ihrer Nationalität) nicht teil. Unternehmen, die Arbeitnehmer im EU-Ausland beschäftigen, sind damit nicht verpflichtet, EU-weite (Neu-)Wahlen der Arbeitnehmervertreter in ihrem Aufsichtsrat durchzuführen. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats bleibt bis zur nächsten regulären Wahl unverändert. Auch bei der nächsten regulären Wahl der Arbeitnehmervertreter sind – wie bisher auch – nur die in Betrieben in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer zu beteiligen.

b) Übertragbarkeit auf mitbestimmungsrechtliche Schwellenwerte wohl geboten

Noch nicht abschließend geklärt ist hingegen, ob die Entscheidung des EuGH auch auf die mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerte übertragen werden kann. Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer bei der Prüfung des richtigen Mitbestimmungsstatuts mitzuzählen sind oder nicht. So kann die paritätische Mitbestimmung erst Anwendung finden, wenn in der Regel 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt werden (§1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG). Ab einer Beschäftigtenzahl von in der Regel 500 Arbeitnehmern ist der Aufsichtsrat zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen (§1 Abs. 1 DrittelbG).

Das OLG Frankfurt /Main hatte ein die Deutsche Börse AG betreffendes Verfahren, in dem es um die Anwendung des richtigen Mitbestimmungsstatus geht, bis zur Entscheidung des EuGH ausgesetzt (Beschluss vom 17.06.2016 – 21 W 91/15). Angesichts des nun vorliegenden Urteils des EuGH ist wohl zu erwarten, dass das OLG Frankfurt /Main den gegenteiligen Beschluss der Vorinstanz aufheben und entscheiden wird, dass auch bei der Berechnung der maßgeblichen mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerte grundsätzlich auf die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen ist. Auch wenn letzte Sicherheit erst nach der gerichtlichen Entscheidung besteht, steht nicht zu befürchten, dass insbesondere Unternehmen, die in Deutschland derzeit in der Regel knapp unter 2.000 Arbeitnehmern beschäftigen, „urplötzlich“ der paritätischen Mitbestimmung unterfallen, weil noch die im EU-Ausland beschäftigten Arbeitnehmer zusätzlich zu berücksichtigen sind. Ungeachtet dieser guten Nachricht kann es für Unternehmen, die an den mitbestimmungsrechtlich relevanten Beschäftigtenzahlen auch innerhalb Deutschlands „kratzen“, sinnvoll sein, Überlegungen anzustellen, ob ggf. durch gruppeninterne Umstrukturierungen das Eingreifen der (paritätischen) Mitbestimmung vermieden werden kann. Bei solchen Überlegungen unterstützen wir Sie gern.

Newsletter
Arbeitsrecht - schnell notiert: Deutsche Unternehmensmitbestimmung hält vor dem EuGH stand
Download
PDF 340,2 kB

Autoren

Foto vonMichael Rein
Dr. Michael Rein
Principal Counsel
Stuttgart