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EURIBOR, LIBOR und Co. ‒ Sterbeglöckchen oder Reformation?

04/12/2019

Referenzzinssätze finden in zahlreichen Finanzprodukten Verwendung. Darlehensverträge, Bonds oder Derivate mit einem Volumen von mehreren Billionen Euro rekurrieren insbesondere auf die bekannten Zinssätze LIBOR, EURIBOR oder EONIA. 2020 könnte zum Schicksalsjahr für den Fortbestand dieser Referenzzinssätze werden. Nie waren ihre Zukunft und die Funktionsfähigkeit zahlloser Finanzkontrakte gefährdeter als aktuell. Im Folgenden stellen wir den wesentlichen Diskussionsstand und Handlungsempfehlungen für Marktteilnehmer und die verschiedenen Zinssätze dar:

LIBOR ‒ dunkle Wolken am Horizont

Der 27. Juli 2017 läutete den Beginn einer Diskussion ein, die Banken, Darlehensnehmer, Emittenten von Bonds sowie Vertragsparteien von Derivaten nachhaltig beschäftigt. Die Financial Conduct Authority (FCA) kündigte an, dass der Referenzzinssatz LIBOR mit Ablauf des Jahres 2021 durch alternative Referenzzinssätze ersetzt werden soll.

Die FCA ist seit längerer Zeit in die Reformierung des LIBOR als Reaktion auf Manipulationsvorfälle involviert. Trotz erheblicher Verbesserungen attestierte die FCA dem LIBOR weiterhin eine entscheidende Schwäche. Demnach fehlt es an einem funktionierenden Markt für ungesicherte Interbanken-Kredite mit einer bestimmten Laufzeit, also dem Markt, auf dem der LIBOR gerade beruhen soll. In mehreren Stellungnahmen, zuletzt im Juli 2019, unterstrich die FCA daher, dass sich Marktteilnehmer auf einen baldigen Wegfall des LIBOR einstellen und dies in ihren Vertragsbeziehungen umgehend berücksichtigen sollten.

Dies hat eine entscheidende und einschneidende Bedeutung für alle Verträge, die auf den LIBOR rekurrieren. Insbesondere bei Darlehensverträgen ist das übliche Instrumentarium der Fallback-Klauseln zur Ersetzung des Zinssatzes häufig nicht für einen dauerhaften Wegfall des Referenzzinssatzes konzipiert. Dies kann im Extremfall zur Folge haben, dass keine Regelung besteht oder sich ein variables Darlehen ungewollt in ein festverzinsliches Darlehen wandelt.

Marktteilnehmer sollten im Jahr 2020 die Entwicklung der Diskussion daher sehr genau verfolgen. Für Neuverträge sollte zudem die Ersetzung des LIBOR durch alternative Referenzzinssätze (z. B. SOFR oder SONIA) trotz struktureller Unterschiede geprüft und sollten zumindest detaillierte Fallback-Klauseln eingearbeitet werden.

EURIBOR ‒ Verschnaufpause oder dauerhafte Rettung?

Die Diskussion um die Zukunftsfestigkeit des LIBOR machte auch vor seinem Pendant EURIBOR nicht Halt. Im Zentrum stehen die Auswirkungen der sogenannten Benchmark-Verordnung (Verordnung (EU) 2016/1011). Diese erfordert insbesondere eine robuste, widerstandsfähige und transparente Ermittlung von Referenzzinssätzen, die nicht mehr vorwiegend auf professionellen Einschätzungen beruht. Grundlage sollen – soweit möglich – tatsächliche Transaktionsdaten sein.

Das für die Publizierung verantwortliche European Money Markets Institute (EMMI) hat unlängst eine Konsultation zur Modernisierung der Berechnungsmethode durchgeführt. Diese stützt sich primär auf Transaktionen, anschließend auf interpolierte Zinssätze und Transaktionen, die nur knapp außerhalb des relevanten Bewertungszeitraumes liegen. Abschließend können auch weitere Informationen, wie die Markteinschätzung der Panel-Banken, Berücksichtigung finden. 

Auf Basis dieser modernisierten Berechnungsmethodik hat die belgische Finanzmarktaufsicht (FSMA) dem EMMI am 2. Juli 2019 die Zulassung gemäß Artikel 34 der Benchmark-Verordnung als Administrator für den als kritische Benchmark eingestuften EURIBOR erteilt.

Das bedeutet, dass der EURIBOR weiterhin in Verträgen Verwendung finden kann. Zugleich ist deutlich, dass sich auch die reformierte Fassung des EURIBOR Bedenken ausgesetzt sieht, da die Ermittlung weiterhin nicht allein auf Marktdaten beruht. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass ein Wegfall des LIBOR eine negative Ausstrahlungswirkung auf den EURIBOR entfaltet. Marktteilnehmer sollten die Diskussion um die Zukunftsfähigkeit daher weiterhin verfolgen und Risiken durch eine proaktive Vertragsgestaltung und Fallback-Klauseln begegnen.

EONIA ‒ Abgesang auf Raten

Neben dem EURIBOR publiziert das EMMI den Euro OverNight Index Average (EONIA). Hierbei handelt es sich um einen Tagesgeld-Referenzzinssatz für den Euro. Am 2. Oktober 2019 wurde die schrittweise Ersetzung des EONIA durch die neue Euro Short-Term Rate (€STR) eingeläutet. Demnach beruht EONIA bereits auf der €STR plus einem von der EZB fixierten Spread (Zinsaufschlag) in Höhe von 0,085 %. Ab Januar 2022 soll die Veröffentlichung des EONIA eingestellt werden.

Marktteilnehmer müssen sich in ihren Verträgen hierauf einstellen. Daraus ergeben sich die folgenden Handlungsempfehlungen:

  • Neuverträge mit einer Laufzeit bis in das Jahr 2022 sollten keine Referenz auf den EONIA als primären Referenzzinssatz enthalten.
  • Neuverträge, die gleichwohl EONIA als Referenzzinssatz verwenden, sollten detaillierte Bestimmungen für eine Ersetzung des Referenzzinssatzes und mögliche Fallback-Regelungen enthalten. Dies gilt insbesondere für Verträge, deren Laufzeit bis in das Jahr 2022 hineinreicht.
  • In Altverträgen, die eine Referenz auf den EONIA enthalten und eine Laufzeit bis in das Jahr 2022 aufweisen, sollte der EONIA als Referenzzinssatz schnellstmöglich ersetzt werden.

Dieser Artikel ist Teil unserer Mandanteninformation "2020 - Themen, die Sie bewegen werden", welche Sie hier einsehen können.

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Dr. Markus M. Pfaff
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