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Haftungsvermeidung in der Unternehmenskrise

Update Gesellschaftsrechtliche Gestaltung 10/2020

Oktober 2020

Die besondere Corona-Rechtslage

Mit dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) hat der Gesetzgeber im März 2020 sowohl die Insolvenzantragspflicht (§ 15 a InsO) als auch das Zahlungsverbot (§ 64 Satz 1 GmbHG, § 93 Abs. 3 Ziff. 6 AktG, § 130 a Abs. 1 Satz 1 HGB) bis Ende September 2020 für solche Fälle ausgesetzt, in denen die Corona-Pandemie die maßgebliche Ursache für die Krise bzw. Insolvenz des Unternehmens darstellt. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der Liquiditätsengpass auf der gesetzlichen bzw. behördlichen Schließung eines Einzelhandels- oder Gastronomiebetriebes „beruht“.

Ausdrücklich hat der Gesetzgeber die Erleichterungen des COVInsAG im Frühjahr nur befristet eingeführt. Es war also von Anfang an klar, dass irgendwann wieder der Moment kommen würde, ab dem Antragspflicht und Zahlungsverbot in der früheren, also bis Februar 2020 geltenden, strengeren Form anzuwenden sein werden.

Nachdem in Praktikerkreisen zunächst vermutet worden war, dass die Geltung des COVInsAG um weitere sechs Monate (also bis März 2021) verlängert würde, hat der Gesetzgeber jetzt – schneller als erwartet – die Rückkehr zur früheren Rechtslage eingeleitet. Das gilt jedoch nicht für alle Fälle. Seit Anfang Oktober ist das konkrete Pflichtenspektrum für Geschäftsführer und Vorstände davon abhängig, welcher Insolvenzgrund im konkreten Fall vorliegt.

Welcher Insolvenzgrund ist einschlägig?

Ist die betroffene Gesellschaft zahlungsunfähig (§ 17 InsO), so sind die Insolvenzantragspflicht und das Zahlungsverbot seit Anfang Oktober wieder in der bereits bis Februar 2020 geltenden (schärferen) Form zu beachten.

Wenn der einschlägige Insolvenzgrund aber „lediglich“ die insolvenzrechtliche Überschuldung (§ 19 InsO) ist, so sind Antragspflicht und Zahlungsverbot um weitere drei Monate, also bis zum Jahresende, suspendiert – auch insoweit unter der bereits angesprochenen Voraussetzung, dass die Insolvenz der Gesellschaft auf der Corona-Pandemie „beruht“. Fehlt es dagegen am Merkmal des Beruhens – wäre die Gesellschaft also auch ohne die durch die Pandemie ausgelösten Marktverwerfungen insolvent (geworden) –, dann muss auch im Fall der Überschuldung ab Anfang Oktober wieder die frühere, härtere Rechtslage beachtet werden.

Damit hängt es jetzt von der Art des Insolvenzgrunds ab, ob Antragspflicht und Zahlungsverbot greifen. Die Rechtslage ist also zersplittert, was die Beachtung bzw. Anwendung des Rechts für die betroffenen Geschäftsführer und Vorstände keineswegs einfacher machen wird.

Hinter der nun teilweise vollzogenen Rückkehr zum schärferen Recht steckt die nachvollziehbare – und an sich richtige – Überlegung, dass der Gesetzgeber die allgemein erwartete Insolvenzwelle zeitlich strecken will. Statt eines drohenden „Tsunamis“ von Insolvenzverfahren soll als geringeres Übel ein möglichst langsam ansteigendes „Hochwasser“ bewältigt werden. Auf diese Weise können hoffentlich nicht nur die befürchteten sozialen und gesellschaftlichen Folgen einer deutlich ansteigenden Zahl von Insolvenzverfahren abgemildert bzw. besser gesteuert werden. Es geht auch rein praktisch darum, dass die Insolvenzgerichte nicht kurzfristig überlastet werden, sondern langfristig arbeitsfähig bleiben.

Unabhängig von der differenzierten Rechtslage müssen Geschäftsführer und Vorstände in jedem Fall dafür Sorge tragen, dass ihr Unternehmen zum jeweils maßgeblichen Stichtag wieder über hinreichend Liquidität und eine positive Fortführungsprognose verfügt.

Ausführliche Hinweise und Tipps zu den in der Krise zu beachtenden Pflichten und Haftungsrisiken sind in dem soeben erschienenen Praxisratgeber „Haftungsvermeidung in der Unternehmenskrise – Praxiswissen und Taktik für Geschäftsführer und Vorstände“ (Wiesbaden 2020) zusammengefasst.

Nachhaltige Sanierung durch ein Insolvenzverfahren?

Für langfristig denkende Unternehmer bzw. Manager wird sich wahrscheinlich früher oder später auch immer die (Grundsatz-)Frage stellen, ob nicht eine für ihr jeweiliges Unternehmen besonders nachhaltige Sanierung gerade in der aktiven, frühzeitigen Einleitung eines Insolvenzverfahrens besteht.

Insbesondere kann mit den Instrumenten der Eigenverwaltung und / oder des Insolvenzplans eine nachhaltige Restrukturierung eines Unternehmens unter dem Schutz des Insolvenzrechts angegangen werden, bei der für die bisherigen Inhaber bzw. Organvertreter ein geringeres Risiko hinsichtlich des Verlusts der juristischen bzw. wirtschaftlichen Kontrolle über ihr Unternehmen besteht. Die insoweit bei der Planung und Vorbereitung eines Insolvenzverfahrens vorzunehmende Abwägung aller im Einzelfall auf dem Spiel stehenden Aspekte geht über die Frage der Haftungsvermeidung weit hinaus. Die Erfahrung zeigt, dass langfristig erfolgreiche Sanierungen in der Regel dann realisiert werden können, wenn die Beteiligten das wirtschaftliche und juristische „große Ganze“ in den Blick nehmen und über den Tellerrand juristischer Einzelbausteine hinausblicken.

Ein Blick in die Zukunft

Zum Schluss ist noch darauf hinzuweisen, dass sich der Gesetzgeber auf dem Gebiet des Insolvenzrechts aktuell nicht nur mit den Folgen der Corona-Pandemie befassen muss. So steht 2021 auch die Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie in deutsches Recht an. Hierzu ist vor wenigen Tagen der Referentenentwurf zum „Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen“ (StaRUG) als Herzstück des geplanten „Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetzes“ (SanInsFoG) veröffentlicht worden. Der Entwurf wird aktuell in den Verbänden und Interessengruppen der Insolvenzverwalter und Restrukturierungsberater sowie von Wissenschaftlern und Praktikern intensiv diskutiert und soll dann zügig den Gesetzgebungsprozess durchlaufen. In absehbarer Zeit dürfte also ein modernes, vorinsolvenzliches Sanierungsrecht für das zeitliche und systematische Vorfeld eines Insolvenzverfahrens und insgesamt ein mehrstufiges Restrukturierungsrecht „aus einem Guss“ zur Verfügung stehen. Auch nach der Überwindung der Corona-Krise wird es also spannend bleiben.

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Dr. Christoph Poertzgen