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Mut zur Planungsbeschleunigung? - Ampelparteien legen Koalitionsvertrag vor

26/11/2021

Zu den größten Hindernissen für die Erreichung der Klimaziele gehören die langen Genehmigungsverfahren für Stromnetze, Wind- und Solarparks und Bahntrassen. Die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP haben das Ziel ausgerufen, die Dauer von Genehmigungsverfahren mindestens zu halbieren. Mit dem gestern vorgelegten Koalitionsvertrag haben sie dafür nun ein Maßnahmenpaket zur Planungsbeschleunigung vorgestellt.

Auszug aus dem Koalitionsvertrag

  • Wir werden die personellen und technischen Kapazitäten bei Behörden und Gerichten erhöhen. Für eine Personal- und Weiterbildungsoffensive sowie die Digitalisierung auf allen Ebenen streben wir einen verlässlichen und nachhaltigen Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung mit den Ländern an. Die Inhouse-Beratungskapazitäten der öffentlichen Hand werden zu Beschleunigungsagenturen ausgebaut, auf die auch Länder und Kommunen einfach zugreifen können. Die Einsatzmöglichkeiten für private Projektmanagerinnen und Projektmanager werden ausgedehnt. Für Angelegenheiten des Planungsrechts schaffen wir die Voraussetzungen für zusätzliche Senate am Bundesverwaltungsgericht. Die Bundesregierung verstärkt ihre Kompetenz zur Unterstützung dialogischer Bürgerbeteiligungsverfahren.
     
  • Die Digitalisierung von Planungs- und Genehmigungsprozessen werden wir priorisiert umsetzen. Wir werden Behörden mit notwendiger Technik ausstatten, IT-Schnittstellen zwischen Bund und Ländern standardisieren und das digitale Portal für Umweltdaten zu einem öffentlich nutzbaren zentralen Archiv für Kartierungs- und Artendaten ausbauen. Bereits erhobene Daten sind, ggf. durch Plausibilisierungen, möglichst lange nutzbar zu machen. Planungsprozesse werden mit Gebäudedatenmodellierung (Building Information Modeling) effizienter, kostengünstiger und transparenter gestaltet. Die digitalen Möglichkeiten des Planungssicherstellungsgesetzes werden wir nahtlos fortsetzen und insbesondere im Hinblick auf die Bürgerbeteiligung weiterentwickeln.
     
  • Wir werden möglichst frühe Stichtage für die anzuwendende Sach- und Rechtslage vorsehen. Wir wollen klarstellen, dass wiederholte Auslegungs-, Einwendungs- und Erwiderungsschleifen vermieden werden können, indem bei Planänderungen nach Bürgerbeteiligung nur noch neu Betroffene zu beteiligen und Einwendungen nur mehr gegen Planänderungen zulässig sind. Wir werden verwaltungsinterne Fristen und Genehmigungsfiktionen bei Beteiligung weiterer Behörden ausweiten.
     
  • Bei besonders prioritären Vorhaben soll der Bund künftig nach dem Vorbild des Bundesimmissionsschutzgesetzes kurze Fristen zum Erlass des Planfeststellungsbeschlusses vorsehen.
     
  • Wir wollen große und besonders bedeutsame Infrastrukturmaßnahmen auch im Wege zulässiger und unionsrechtskonformer Legalplanung beschleunigt auf den Weg bringen und mit hoher politischer Priorität umsetzen. Unter solchen Infrastrukturmaßnahmen verstehen wir systemrelevante Bahnstrecken, Stromtrassen und Ingenieursbauwerke (z. B. kritische Brücken). Für die Ausgestaltung werden wir uns eng mit der Europäischen Kommission abstimmen, die erforderliche Umweltprüfung durchführen und durch den Zugang zum Bundesverwaltungsgericht den Rechtsschutz und die Effektivität des Umweltrechts sicherstellen. Für geeignete Fälle kommt auch eine Übernahme des Raumordnungsverfahrens durch den Bund in Betracht. Beginnen werden wir mit Schienenprojekten aus dem Deutschlandtakt – dem Ausbau/Neubau der Bahnstrecken Hamm-Hannover-Berlin, Korridor Mittelrhein, Hanau-Würzburg/Fulda-Erfurt, München-Kiefersfelden-Grenze D/A, Karlsruhe-Basel, „Optimiertes Alpha E+“, Ostkorridor Süd, Nürnberg-Reichenbach/Grenze D-CZ, die Knoten Hamburg, Frankfurt, Köln, Mannheim und München – sowie mit für die Energiewende zentralen Hochspannungs Gleichstrom-Übertragungsleitungen SüdLink, SüdOstLink und Ultranet. Weitere Vorhaben werden hinzukommen.
     
  • Wir werden eine engere Verzahnung zwischen Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren ermöglichen, um Doppelprüfungen zu vermeiden. Wir wollen das Instrument der Plangenehmigung, insbesondere bei Unterhaltungs-, Sanierungs-, Erneuerungs-, Ersatz- und Ergänzungsmaßnahmen im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit existierenden Infrastrukturen innerhalb des europäischen Rechtsrahmens stärker nutzbar machen. Wir streben an, Sonderregeln für einzelne Gebiete der Fachplanung in das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht zu überführen, soweit dies möglich und sinnvoll ist. Wir wollen den Planerhalt stärken, indem wir die Planerhaltungsnormen und Zielabweichungsverfahren ausweiten.
     
  • Verwaltungsgerichtsverfahren werden wir beschleunigen durch einen „frühen ersten Termin“ sowie durch ein effizienteres einstweiliges Rechtsschutzverfahren, in dem Fehlerheilungen maßgeblich berücksichtigt werden und auf die Reversibilität von Maßnahmen abgestellt wird. Klägerinnen und Kläger, deren Rechtsbehelfe zur Fehlerbehebung beitragen, werden die Verfahren ohne Nachteil beenden können.
     
  • Wir wollen die Rechtssicherheit im Artenschutzrecht durch bundeseinheitliche gesetzliche Standardisierung (insb. Signifikanzschwellen) erhöhen, ohne das Schutzniveau insgesamt abzusenken.
     
  • Für unsere gemeinsame Mission, die Planung von Infrastrukturprojekten, insbesondere den Ausbau der Erneuerbaren Energien drastisch zu beschleunigen, wollen wir das Verhältnis von Klimaschutz und Artenschutz klären. Zur Erreichung der Klimaziele liegt die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung oder zum Transport von Strom aus Erneuerbaren Energien sowie der Ausbau elektrifizierter Bahntrassen im öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit. Dies werden wir gesetzlich festschreiben und für solche Projekte unter gewissen Voraussetzungen eine Regelvermutung für das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen des Bundesnaturschutzgesetzes schaffen. Wir werden uns für eine stärkere Ausrichtung auf den Populationsschutz, eine Klärung des Verhältnisses von Arten- und Klimaschutz sowie mehr Standardisierung und Rechtssicherheit, auch im Unionsrecht, einsetzen.
     
  • Ähnliche Prüfungen im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens wollen wir, wo möglich, in einer integrierten Prüfung zusammenführen, ohne das Schutzniveau abzusenken. Wir wollen, gegebenenfalls durch Öffnungsklauseln, dafür sorgen, dass das Zusammenwirken zwischen Gemeinden und Ländern bei der Sicherstellung der Versorgung mit Erneuerbaren Energien gelingt. Diese Maßnahmen werden begleitet durch projektbezogene und gesamtbilanzierende Ausgleichsmaßnahmen, die einen hohen Umwelt- und Naturschutz sicherstellen.
     
  • Zur schnellen und qualitativ hochwertigen Umsetzung unserer Beschleunigungsvorhaben werden wir eine ressortübergreifende Steuerungsgruppe unter Einbeziehung der Länder einrichten.

Viele der vorgesehenen Maßnahmen wie eine bessere Personalausstattung der Behörden und Gerichte, Ausweitung des Einsatzes von Projektmanagern sowie die stärkere Digitalisierung von Planungs- und Genehmigungsprozessen sind sicherlich sinnvoll. Gleiches gilt für kürzere verwaltungsinterne Fristen im Verfahren – wenn sie denn in der Praxis eingehalten werden können. Regelmäßig führen nämlich die hohen inhaltlichen Anforderungen, die an die Vorhaben gestellt werden, zu einer Komplexität, die Vorhabenträger und Behörden nicht in kurzer Zeit bewältigen können. Kürzere Fristen für Fachbehörden, die ihren Sachverstand in die Verfahren einbringen sollen, helfen dann nicht unbedingt weiter. Korrekt bearbeitet werden müssen die Anforderungen nämlich trotzdem.

Immer strengere Anforderungen der Gerichte, insbesondere des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), lassen Umfang der Antragsunterlagen und Umweltgutachten, die eingereicht werden müssen, ständig weiter anwachsen. Bei komplexen Verfahren sind tausende, manchmal zehntausende Seiten Antragsunterlagen keine Seltenheit. Häufig dauert es viele Jahre, bis ein Genehmigungsverfahren überhaupt beginnen kann. Entsprechend aufwendig sind die Verfahren selbst. Der geforderte Begründungsaufwand lässt wiederum die Genehmigungen auf hunderte oder tausende Seiten anwachsen. Probleme bereiten vor allem das europäische Natur- und Artenschutzrecht, aber auch das europäische Wasserrecht.

Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass sich die Ampelparteien auch an das materielle Recht heranwagen wollen. Dazu eine erste Kommentierung:

  • Zutreffend adressiert der Koalitionsvertrag den Zielkonflikt zwischen Klimaschutz und Artenschutz. Die beabsichtigte Stärkung des Populationsbezugs ist sehr sinnvoll. Nach geltender Rechtslage kann schließlich schon die unbeabsichtigte, aber als Folge des Vorhabens nicht auszuschließende Tötung eines einzigen Exemplars einer geschützten Art gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot des Unionsrechts verstoßen. Der Prüfaufwand reduziert sich erheblich, wenn die individuenbezogene durch eine populationsbezogene Betrachtung ersetzt wird. Zusätzlich entfallen viele zeitaufwändige Diskussionen bei der Unterlagenerstellung und im behördlichen und gerichtlichen Verfahren, wenn es gelingt, die Standards für Umweltuntersuchungen allgemeingültig bundesweit zu vereinheitlichen. Auch die vorgesehene Regelvermutung kann zur Beschleunigung beitragen, wobei eine wirkliche Beschleunigung nur erzielt werden kann, wenn tatsächlich alle Ausnahmevoraussetzungen von der Vermutung erfasst werden. Dies betrifft insbesondere die erforderliche artenschutzrechtliche Alternativenprüfung. Über die vorgeschlagenen Maßnahmen hinaus gibt es freilich weiteres Beschleunigungspotential. Wünschenswert wäre insbesondere, dass das Artenschutzrecht insgesamt auf die wirklich gefährdeten Arten beschränkt wird.
     
  • Echtes Beschleunigungspotential liegt in der geplanten Einführung einer Stichtagsregelung. Nach geltender Rechtslage müssen Antragsunterlagen bis zum Zeitpunkt der Genehmigung oder Planfeststellung aktuell sein. Häufig ändern sich die rechtlichen und fachlichen Anforderungen, oder die Datengrundlage veraltet im Laufe der langen Verfahren. Dann müssen die Unterlagen nachgebessert und Umweltuntersuchungen aktualisiert, oft die Öffentlichkeit erneut beteiligt werden. Der Koalitionsvertrag lässt offen, welcher konkrete Verfahrenszeitpunkt als Stichtag gewählt werden soll. Bestenfalls wäre dies die Antragstellung. Ebenso denkbar wäre aber beispielsweise der Abschluss der Öffentlichkeitsbeteiligung. Auch das Unionsrecht fordert keine Aktualisierung bis zum Tag der Genehmigung. Aufgabe der kommenden Monate wird sein, den bestehenden Spielraum unionsrechtskonform auszugestalten.
     
  • Das Ziel, die materielle Präklusion wieder einzuführen, wird bei Vorhabenträgern und Zulassungsbehörden auf viel Gegenliebe stoßen. Gegenwind kommt allerdings vom EuGH, der diesem Ziel auf der Grundlage geltender unionsrechtlicher Richtlinien eine Absage erteilt hat. Wenn es gelänge, diese Bestimmungen zu ändern, wäre viel gewonnen. 
     
  • Das Bestreben, wiederholte Auslegungs-, Einwendungs- und Erwiderungsschleifen bei Planänderung zu vermeiden, ist richtig. Der Koalitionsvertrag suggeriert, dass dies allein dadurch erreicht werden kann, dass sich nur von der Änderung Betroffene beteiligen dürfen. Bei der Änderung UVP-pflichtiger Vorhaben müssen aber nach den Vorgaben des Unionsrechts in vielen Fällen die Verbände und die Öffentlichkeit unabhängig von ihrer Betroffenheit beteiligt werden. Diese Beteiligungsrechte kann nur der Unionsgesetzgeber beschränken. Ob dies unter Akzeptanzgesichtspunkten durchsetzbar ist, steht auf einem anderen Blatt.
     
  • Für eine verfassungskonforme Ausgestaltung ist für eine Planung durch Gesetz ein vorgelagertes Verwaltungsverfahren mit Öffentlichkeits- und Verbändebeteiligung erforderlich. Daher sieht auch das schon existierende Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz, das für bestimmte Neu- und Ausbauprojekte für Schienenwege und Bundeswasserstraßen die Planung durch Gesetz erlaubt, ein umfangreiches vorbereitendes Verwaltungsverfahren vor. Der Beschleunigungseffekt darf bezweifelt werden. Zwar hat sich das Instrument der Legalplanung in Dänemark bewährt. Dies stand sicher auch den Koalitionsparten vor Augen. Die positiven dänischen Erfahrungen sind aber in weiten Teilen auf die dortige Planungskultur und gesellschaftliche Akzeptanz von Infrastrukturvorhaben zurückzuführen. Das sieht hierzulande anders aus.
     
  • Bedauerlich ist, dass sich die Ampelparteien nicht an das FFH-Recht herangewagt haben. Fast alle Projekte werden nämlich im Umfeld europäischer Schutzgebiete, der sog. Natura-2000-Gebiete, realisiert. Der EuGH verlangt, dass in einer Verträglichkeitsprüfung mit wissenschaftlicher Sicherheit nachgewiesen wird, dass das Vorhaben nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen solcher Gebiete führen kann. Dabei geht es meistens gar nicht darum, ob es tatsächlich zu Beeinträchtigungen kommt, sondern darum, auch fernliegende, nicht völlig auszuschließende Risiken zu ermitteln und zu bewerten. Der dafür erforderliche Prüf- und Gutachtenauftrag würde erheblich verringert, wenn anstelle dieses Prüfungsmaßstabs der praxisnähere Maßstab des Gefahrenabwehrrechts eingeführt würde: Eine Beeinträchtigung wäre dann nur relevant, wenn sie aufgrund konkreter Anhaltspunkte wahrscheinlich ist.

Noch eine Bemerkung zur geplanten Digitalisierung der Verfahren: Das ist überfällig und würde zur Beschleunigung beitragen. Die Aussagen des Koalitionsvertrages bleiben aber vage. Sinnvoll wäre es z.B., die physische Auslegung von Antragsunterlagen ganz durch die in der Praxis bereits weitgehend gehandhabte Veröffentlichung im Internet zu ersetzen. Die Ampelparteien setzen auf die Möglichkeiten des Planungsbeschleunigungsgesetzes und wollen sie „im Hinblick auf die Bürgerbeteiligung weiterentwickeln“. Das dürfte kaum zur Beschleunigung beitragen, zumal sich das Instrument der Online-Konsultation in der Praxis als sperrig und rechtsunsicher erwiesen hat. Es sollte stattdessen ernsthaft erwogen werden, auf Erörterungstermine (und damit auch auf die Online-Konsultation) ganz zu verzichten. Unionsrechtlich sind sie nicht gefordert. Die Erfahrung zeigt, dass sie gerade bei kontroversen Projekten meistens nicht zur Klärung und Befriedung beitragen, sondern für alle Beteiligten frustrierend sind.

Fazit

Es gibt viele Stellschrauben, Verfahren zu beschleunigen. Der Koalitionsvertrag enthält gute, wenn auch teilweise noch nicht sehr konkrete Vorschläge. An einigen Stellen hätte man sich noch mehr Mut gewünscht. Für den großen Wurf ist eine Änderung der europäischen Umweltrichtlinien und deren wenig praktikabler Auslegung durch den EuGH dringend erforderlich. Die geltende Rechtslage erfordert aufwendige Prüfungen ohne echten Mehrwert für den Umweltschutz. Das Umweltrecht der EU muss in der Praxis wieder handhabbar werden. Das damit erreichbare Beschleunigungspotential liegt in der Größenordnung von vielen Monaten bis zu mehreren Jahren. Dies hat die Ampelkoalition im Ansatz erkannt. Der Handlungsspielraum des deutschen Gesetzgebers ist allerdings beschränkt. Das zeigen die vielen EuGH-Urteile, in denen der Gerichtshof deutsche Rechtsnormen beanstandet oder eine sehr viel strengere Handhabung verlangt hat. Klar ist, dass das Unionsrecht nur mit Unterstützung der Europäischen Kommission und der anderen Mitgliedstaaten geändert werden kann. Der Weg ist steinig. Wenn die Klimaziele nicht schon an den langen Genehmigungsverfahren scheitern sollen, führt am Versuch aber kein Weg vorbei.

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Dr. Neele Ann Christiansen
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