Home / Veröffentlichungen / Neun Ideen, wie Sie dem Fachkräftemangel effektiv...

Neun Ideen, wie Sie dem Fachkräftemangel effektiv begegnen können

Update Arbeitsrecht Q2/2023

Juni 2023

Viele Unternehmen stehen hinsichtlich des Fachkräftemangels weiterhin vor großen Herausforderungen. Denn wollen Arbeitgeber neue Mitarbeiter rekrutieren und alte Mitarbeiter halten, müssen Anreize – von neu definierten Unternehmenswerten, marktgerechten Vergütungen bis hin zu attraktiven Mitarbeiterbenefits – geschaffen werden. Zudem müssen neue Wege beschritten werden, um überhaupt noch Personal zu finden. Lesen Sie nachfolgend, was Unternehmen beachten sollten und welche weiteren Faktoren entscheidend für die Positionierung als attraktiver Arbeitgeber am Markt sind.

Und für diejenigen, die lieber hören als lesen, halten wir einen spannenden Podcast in unserer Serie „CMS To Go – Einfach Arbeitsrecht“ bereit: „Fachkräftemangel: Ursachen, Folgen und Lösungsansätze“.

(1)    Werben Sie neue Mitarbeiter mit Prämien an! 

War der so genannte Signing-Bonus oder „Willkommensbonus“ bislang vor allem bei Mitarbeitern in leitender Funktion ein häufig genutztes Incentive zur Anwerbung von Topleuten, lässt sich die damit verbundene Anziehungswirkung allgemein zur Gewinnung von Bewerbern nutzen. Aus arbeitsrechtlicher Sicht bietet dieses Instrument – bei entsprechender Ausgestaltung – eine vergleichsweise hohe Flexibilität, was die Gewährung und konkrete Bedingungen anbelangt.

Um die Mitarbeiterbindung zu erhöhen und der Sorge vor einer Zweckentfremdung des Willkommensbonus zu begegnen, ließe sich dessen tatsächlicher Erhalt so ausgestalten, dass der Mitarbeiter eine gewisse Haltedauer im Anstellungsverhältnis erfüllt haben muss. Da es sich im Grundsatz um eine nicht leistungsbezogene Vergütung handelt, wäre insbesondere die Verwendung so genannter Stichtagsklauseln oder Rückzahlungsklauseln im Fall eines frühzeitigen Ausscheidens zulässig. Flexibilität ist auch dahingehend möglich, dass der Signing-Bonus in Form einer Einmalzahlung gewährt oder aber gestaffelt ausgezahlt werden kann.

Wird der Signing-Bonus nicht nur individuell mit einzelnen Mitarbeitern ausgehandelt, sind gegebenenfalls Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beachten. 

(2)    Beschäftigen Sie sich mit zeitgemäßen Vergütungsmodellen und Zusatzleistungen! 

Neben den klassisch monetären Vergütungsbestandteilen bieten sich Arbeitgebern eine Vielzahl weiterer Incentives und Benefits, mit deren Verwendung sich die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens und damit die Attraktivität für umworbenes Personal insgesamt steigern lässt. Beispielhaft seien insoweit folgende Vergütungsvarianten genannt:

  • Teamboni, die die Zusammenarbeit fördern und damit die Produktivität steigern
  • Vergütungsmodelle der agilen Arbeitswelt, wie etwa das selbstbestimmte Entgelt oder die Entgeltfindung durch ein Vergütungskomitee
  • Mitarbeiterbeteiligungsprogramme, zum Beispiel durch Aktienbezugsoptionen
  • Die Überlassung eines Dienstwagens und / oder einer Tankkarte oder eines Job-Bikes, alles auch zur privaten Nutzung

Die Liste lässt sich beliebig fortführen. Noch viele weitere Inspirationen und zusätzliche Informationen finden Sie in diesem Blogbeitrag

(3)    Bieten Sie Ihren Mitarbeitern größtmögliche Flexibilität hinsichtlich Arbeitszeit und -ort! 

Die Bindung hochqualifizierter Mitarbeiter rein über monetäre Anreize stößt an Grenzen. Oft überzeugt stattdessen das Angebot mobiler Arbeitsformen. Insbesondere die Corona-Pandemie hat mobile Arbeit – auch Remote Work genannt – in vielen Bereichen zur neuen Normalität werden lassen. Für manch einen Bewerber ist ein Arbeitsplatz, an dem mobile Arbeit trotz geeigneter Tätigkeit nicht ermöglicht wird, ein No-Go. Einen Anspruch darauf gibt es aber bislang nicht – wenn auch die Ampelkoalition den Zugang zu dieser Arbeitsform für Arbeitnehmer vereinfachen möchte. 

Arbeitsschutz gilt auch beim mobilen Arbeiten

Wenn zur Gewinnung von Top-Kräften Beschäftigten örtlich flexibles Arbeiten ermöglicht werden soll, ist Folgendes wichtig: Auch beim mobilen Arbeiten gelten arbeitsschutzrechtliche Pflichten. Neben der Pflicht zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung trifft den Arbeitgeber zum Beispiel auch eine Unterweisungspflicht. Ratsam ist zudem, die Vorgaben der Arbeitsstättenverordnung zur Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen zu beachten. Als Arbeitgeber sollte man immer bedenken, dass intensives nicht ergonomisches Arbeiten eine ernsthafte Gesundheitsgefährdung für die Mitarbeiter darstellt, die zu langfristigen krankheitsbedingten Arbeitsausfällen führen kann.

Sonstige Rechte und Pflichten für die Beteiligten

Solange den Beschäftigten ein Arbeitsplatz im Betrieb zur Verfügung steht, entfällt eine Kostentragungspflicht für Arbeitsmittel durch das Unternehmen. Datenschutzrechtliche Vorgaben gelten gleichermaßen wie bei der Arbeit im Betrieb. Auch sollte der Schutz von Geschäftsgeheimnissen sichergestellt werden.

Umgekehrt gelten auch die Pflichten der Mitarbeiter bei mobiler Arbeit uneingeschränkt fort. So müssen beispielsweise Arbeitszeiten eingehalten werden und es muss sichergestellt sein, dass Geheimhaltungspflichten nicht verletzt werden, etwa dadurch, dass etwa Telefonate zu Betriebsinterna von Dritten mitgehört werden können oder Unterlagen für betriebsfremde Personen einsehbar sind. 

Zeitliche Flexibilität ist nur im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes möglich

In der Regel geht Remote Work mit größtmöglicher zeitlicher Flexibilität einher. Das Arbeitszeitgesetz gilt jedoch auch hier – und damit die Höchstarbeitszeitgrenze von grundsätzlich acht Stunden pro Tag. Ausnahmsweise kann die Arbeitszeit auf bis zu zehn Stunden pro Tag ausgeweitet werden, wenn diese Differenz innerhalb von sechs Monaten oder 24 Wochen ausgeglichen wird. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit beträgt 48 Stunden. Zu beachten ist zudem die in § 5 ArbZG vorgesehene Ruhezeit von mindestens elf Stunden nach Beendigung und vor Wiederaufnahme der Arbeit. Nach dem Gesetzeswortlaut würde eine spätabends gelesene E-Mail den Arbeitsstart am nächsten Morgen verhindern.

Nicht vergessen: Versetzungs-, Teilkündigungs- und Widerrufsklauseln

Wichtig ist, dass bei der Entscheidung, ob Mitarbeitern mobiles Arbeiten ermöglicht wird, immer das Ende mitgedacht wird: Wenn man einen Anspruch auf Remote Work arbeitsvertraglich verbrieft, muss an die Erweiterung des Direktionsrechts im Arbeitsvertrag gedacht werden. Wird diese Vergünstigung allen Mitarbeitern gewährt, ist gründlich zu prüfen, ob hierin eine betriebliche Übung oder Gesamtzusage liegen könnte – und für den Fall der Fälle sind entsprechende Vorkehrungen wie eine ausgewogene Versetzungs-, Teilkündigungs- bzw. Widerrufsklausel zu treffen. 

Betriebliche Mitbestimmung beachten

Auch die betriebliche Mitbestimmung muss im Blick behalten werden. Die Frage, inwieweit ein Unternehmen mobile Arbeitsplätze einführen möchte, ist eine unternehmerische Entscheidung, die nicht der Zustimmung des Betriebsrats unterliegt. Dieser kann also die Einführung von Remote Work weder verbieten noch erzwingen. Die Umsetzung im Einzelnen unterliegt jedoch durchaus der Mitbestimmung des Betriebsrats – und zwar auch der erzwingbaren von § 87 BetrVG

Flexibilität durch Teilzeit?

Auch Teilzeitangebote gehören grundsätzlich zum „Bausatz flexible Arbeitsbedingungen“. ABER: In Deutschland arbeiten zu viele gut qualifizierte Kräfte in Teilzeit, ganz überwiegend Frauen, und fehlen somit auf dem Arbeitsmarkt. Das Problem besteht häufig darin, dass Vollzeittätigkeit nicht in den Alltag mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen passt. Natürlich helfen hier auch die zuvor beschriebenen flexiblen Arbeitsbedingungen. Arbeitgeber sind darüber hinaus aber gut beraten, ihre Mitarbeiter bei der Suche nach Kinderbetreuung bzw. bei der Pflege Angehöriger zu unterstützen. Je nach Unternehmensgröße könnte auch eine Betriebskita eine sinnvolle Investition darstellen. Ganz besonders ist aber die Politik gefragt. Sie muss flexible Arbeitsmodelle rechtlich möglich machen, zum Beispiel, indem sinnvolle Ausnahmen von den Ruhezeitenregelungen im ArbZG gestattet werden. Zudem sind zuverlässige staatliche Lösungen für Kinderbetreuung und Betreuung alter und kranker Familienmitglieder gefragt.

In Führungspositionen, die einen sehr hohen zeitlichen Arbeitseinsatz erfordern, kann es aber durchaus auch hilfreich sein, wenn der Arbeitgeber ermöglicht, sie in Teilzeit (mit Doppelbesetzung) bzw. in echten Job-Sharing-Modellen auszuüben. So können derartige Positionen deutlich an Attraktivität gewinnen.

Lesen Sie mehr rund um flexibles Arbeiten in unserer Blogserie „Modernes Arbeiten“ und in unseren FAQ zur Remote Work. Informationen zur geplanten Änderung des Arbeitszeitgesetzes erhalten Sie hier.

(4)    Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, dass es noch schönere Arbeitsorte als das Homeoffice gibt?

Remote Work allein vom heimischen PC aus ist mitunter nicht Anreiz genug, um die besten Bewerber von sich zu überzeugen. Ein Trend in diesem Zusammenhang ist Workation: Damit ist die Arbeit von einem Urlaubsort außerhalb Deutschlands gemeint.

Wenn Mitarbeitern die Arbeit im Ausland ermöglicht werden soll, sind selbst bei nur kurzfristigen Aufenthalten einige Punkte zu beachten.

Geltendes Arbeitsrecht

Da der gewöhnliche Arbeitsort nicht wechselt, wenn die Arbeit nur vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet wird, gilt grundsätzlich auch während der Workation deutsches Arbeitsrecht. Nur in wenigen, dafür aber relevanten Punkten ist zusätzlich das Ortsrecht zu beachten. Das betrifft vor allem Arbeitszeit, Arbeitsschutz und gesetzliche Feiertage. Daneben können vor Ort Meldepflichten gelten, die praktisch für rein mobile Tätigkeit, teilweise jedoch schwierig zu erfüllen sind, da diese an die Tätigkeit in einem lokalen Betrieb anknüpfen und moderne Arbeitsformen noch nicht widerspiegeln.

Empfehlenswert ist es, die Bedingungen und Grenzen, etwa die Beschränkung auf eine bestimmte Adresse oder zumindest ein bestimmtes Land der Workation, in einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag festzuhalten. Besteht schon eine Vereinbarung zum mobilen Arbeiten, kann auf diese verwiesen werden, die Anforderungen dürften identisch sein. Wenn die Workation länger als vier Wochen dauern soll, ist eine schriftliche Vereinbarung nach Maßgabe des Nachweisgesetzes sogar zwingend.

Aufenthaltsrecht

Grundsätzlich ist das Arbeiten im Ausland auch dann von einer Arbeitserlaubnis abhängig, wenn es nach außen nicht in Erscheinung tritt. Dank Freizügigkeit kann Workation aber innerhalb der EU, der Schweiz, Liechtensteins, Norwegens und Islands angeboten werden, sofern der Mitarbeiter Staatsangehöriger eines dieser Länder ist. Daneben ist natürlich auch Workation im jeweiligen Heimatland aufenthaltsrechtlich unproblematisch. 

Sozialversicherungsrecht

In sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht sieht die Verordnung VO (EG) Nr. 883/2004 bei grenzüberschreitender Tätigkeit innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten, der EWR-Staaten und der Schweiz vor, dass jeder Arbeitnehmer nur einem Sozialversicherungssystem unterfallen soll.

In der Regel ist dies das Sozialversicherungsrecht am Tätigkeitsort. Ausnahmen gelten für Entsendungen. Auch wenn Workation mangels arbeitgeberseitiger Veranlassung keine klassische Entsendung ist, wird sie von den Krankenkassen so behandelt. In den Ausstrahlungsrichtlinien zur Entsendung nach SGB IV wird die Weitergeltung des deutschen Sozialversicherungsrechts auch dann bejaht, wenn der Arbeitgeber dem Auslandseinsatz lediglich zustimmt. Die DVKA übernimmt diesen Ansatz gemäß ihren FAQ für die Entsendung nach Europarecht, sodass auch für Workations A1-Bescheinigungen ausgestellt werden.

Mit etwas Vorlauf lässt sich eine Workation innerhalb der EU, des EWR und der Schweiz also durchaus rechtssicher gestalten und stellt dann ein gutes Mittel zur Mitarbeiterbindung dar.

Weitere Infos zum Trendthema Workation finden Sie hier.

(5)    Beschäftigen Sie Ihre älteren Mitarbeiter über die Regelaltersgrenze hinaus! 

Der demographische Wandel verändert unsere Arbeitswelt und verstärkt den Fachkräftemangel zunehmend. Ein vermehrter Einsatz von Mitarbeitern über die Regelaltersgrenze hinaus kann dabei helfen, den Fachkräftemangel in Ihrem Unternehmen aufzufangen. 

Erreichen der Regelaltersgrenze führt nicht automatisch zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Das Wichtigste vorweg: Das Erreichen der Regelaltersgrenze führt nicht automatisch zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Wollen die Arbeitsvertragsparteien das Arbeitsverhältnis über diese Grenze hinaus unbefristet fortsetzen, besteht kein Handlungsbedarf. Das Arbeitsverhältnis kann dann – wie sonst auch – durch Kündigung oder Aufhebungsvertrag beendet werden. Nach § 41 Satz 1 SGB VI stellt der Anspruch auf Altersrente keinen Grund dar, der eine arbeitgeberseitige Kündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz rechtfertigt.

Um eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeizuführen, sobald der Mitarbeiter das Regelrentenalter erreicht, sind in der Regel arbeitsvertragliche, betriebliche oder tarifvertragliche Befristungen auf diesen Zeitpunkt vereinbart. Zwingend zu beachten ist, dass nach § 14 Abs. 4 TzBfG für eine wirksame Befristung die Schriftform erforderlich ist. Ist das Arbeitsverhältnis auf das Regelrentenalter befristet und wird ein Mitarbeiter – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – weiterbeschäftigt, obwohl er die Regelaltersgrenze erreicht hat, entsteht nach § 15 Abs. 5 TzBfG ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. 

Weiterbeschäftigung unmittelbar nach Erreichen der Regelaltersgrenze

Soll das Arbeitsverhältnis zwar über die Regelaltersgrenze hinaus fortgesetzt, aber auf einen bestimmten Zeitpunkt befristet werden, können die Arbeitsvertragsparteien durch eine Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt gemäß § 41 Satz 3 SGB VI (auch mehrfach) hinausschieben (so genannte „Hinausschiebensvereinbarung“). Das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts ist möglich, wenn

  • das Arbeitsverhältnis auf das Regelrentenalter befristet ist,
  • während des laufenden Arbeitsverhältnisses eine schriftliche Verlängerungsvereinbarung getroffen wird und
  • die Weiterbeschäftigung sich nahtlos an das ursprüngliche Arbeitsverhältnis anschließt.
  • Beschäftigung ehemaliger Mitarbeiter und sonstiger Rentner

Dem Fachkräftemangel kann auch durch die Wiedereinstellung ehemaliger Mitarbeiter aus der Altersrente oder die Neueinstellung sonstiger Rentner entgegengewirkt werden. Hierbei gibt es arbeitsrechtlich keine Sonderregelungen. Für eine Befristung ist grundsätzlich ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 TzBfG erforderlich. Eine Befristung ohne Sachgrund nach § 14 Abs. 2 TzBfG wird in der Regel nur bei der Neueinstellung sonstiger Rentner in Frage kommen, weil bei der Wiedereinstellung ehemaliger Mitarbeiter eine Vorbeschäftigung vorliegt, die eine sachgrundlose Befristung grundsätzlich ausschließt. 

Auch der Mitarbeiter hat Vorteile

Personen, die die Regelaltersgrenze erreicht haben, können unbeschränkt hinzuverdienen. Vor Erreichen dieser Grenze – also v. a. bei Bezug einer Altersrente für (besonders) langjährig Versicherte und für schwerbehinderte Menschen – können Rentner nach § 34 Abs. 3 SGB VI EUR 6.300,00 im Jahr hinzuverdienen, ohne dass die Rente reduziert wird. Zudem müssen Mitarbeiter nach Ablauf des Monats, in dem sie die Regelaltersgrenze erreicht haben, keine Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge mehr zahlen (§ 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI, § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III).

(6)    Versuchen Sie, ausländische Arbeitnehmer zu rekrutieren! 

Auch die Politik reagiert derzeit auf den akuten Fachkräftemangel und schafft Erleichterungen für ausländische Arbeitnehmer, damit diese auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen können: Das geltende Einwanderungsrecht wird reformiert. Neben der viel diskutierten Chancenkarte soll künftig die Einkommensschwelle (bislang EUR 56.400,00 Bruttojahresgehalt) für die Blaue Karte EU, den Aufenthaltstitel für ausländische Fachkräfte, gesenkt werden. Zudem sollen Fachkräfte, die inzwischen 24 % der ausländischen Arbeitskräfte ausmachen, nicht mehr verpflichtet sein, in ihrem speziellen Berufsfeld Arbeit zu finden. Auch an den Nachweis der gleichwertigen Qualifikation des ausländischen Abschlusses sollen künftig geringere Anforderungen gestellt werden. Sofern der Ausländer ein Jobangebot in Deutschland vorweisen kann, sollen ihm bereits die Einreise und die Aufnahme der Tätigkeit auch ohne den vollen Nachweis erlaubt werden, vorausgesetzt, er holt innerhalb von drei Jahren die erforderliche Anerkennung nach.

Der gemeinsam vom Innen- und Arbeitsministerium vorgelegte Entwurf des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung wurde Ende April 2023 vom Bundestag beraten sowie zur weiteren Beratung in den Ausschuss für Inneres und Heimat überwiesen. Dies dürfte die innerhalb der letzten zehn Jahre bereits verdreifachte Zahl der auf Grundlage einer befristeten Aufenthaltserlaubnis in Deutschland beschäftigten Ausländer weiter vorantreiben. In 2021 waren dies 295.000 Arbeitnehmer. 

Relevante Aufenthaltstitel

Aber auch aufgrund der bisherigen Aufenthaltstitel können ausländische Arbeitnehmer bereits heute nach Deutschland einwandern. Die Blaue Karte EU kann für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren ausgestellt werden, erlaubt jedoch – abgesehen von den üblichen Geschäftsreisen – nur den Einsatz im Beantragungs- und Ausstellungsland.

Vorausgesetzt, der Arbeitnehmer stammt aus einer ausländischen Niederlassung, die Ihrem Unternehmen oder Ihrer Unternehmensgruppe angehört, erlaubt eine Entsendung von Führungskräften und Spezialisten auf der Basis einer ICT-Karte („intra-corporate transfer“) einen deutlich flexibleren innereuropäischen Einsatz: Die ICT-Karte wird für mindestens 90 Tage und maximal drei Jahre für den Einsatz in Deutschland ausgestellt, gestattet aber darüber hinaus für bis zu 90 Tage (innerhalb von 180 Tagen, „kurzfristige Mobilität“) einen unternehmensinternen Transfer auch in andere EU-Länder.

Als alternative Form der unternehmensinternen Entsendung kommt zudem der – zur Entlastung des deutschen Arbeitsmarktes vorgesehene – internationale Personalaustausch in Betracht. Für jeden einzusetzenden ausländischen Arbeitnehmer in Deutschland ist dann ein Arbeitnehmer des inländischen Unternehmensteils ins Ausland zu entsenden.

Abwehr von Gefahren der illegalen Ausländerbeschäftigung

Gut informierte Arbeitgeber können ihre zukünftigen ausländischen Mitarbeiter bei der Beantragung des passenden Aufenthaltstitels unterstützen. Zur Verfahrensbeschleunigung kann der Arbeitgeber die Beantragung sogar selbst vornehmen („fast track procedure“). Zusatzkenntnisse in diesem Bereich sind für Arbeitgeber aber auch vor dem Hintergrund der rechtlichen Gefahren der illegalen Ausländerbeschäftigung wichtig. Die Beschäftigung eines Ausländers, der keinen entsprechenden Aufenthaltstitel in Deutschland hält, ist verboten und wird mit hohen Geldbußen (bis zu EUR 500.000,00) sanktioniert. Vor Eintritt in ein Arbeitsverhältnis ist demnach stets sicherzustellen, dass ein gültiger Aufenthaltstitel besteht oder zumindest rechtszeitig vor Arbeitsaufnahme vorgelegt werden kann. Zudem sind weitere Pflichten des Arbeitgebers bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer, wie etwa eine Mitteilungspflicht gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde im Falle der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, zu beachten. 

Employer of Record

Sollen ausländische Arbeitnehmer in deutschen Unternehmen eingesetzt werden, die ihren Lebensmittelpunkt im Ausland nicht aufgeben möchten, schafft ein derzeit viel diskutiertes Modell auf dem Arbeitsmarkt Abhilfe: Service-Agenturen bieten an, als formaler Arbeitgeber („Employer of Record“) den Arbeitnehmer über ihre lokale Gesellschaft im Ausland einzustellen und in dieser Funktion sämtliche Vertragsangelegenheiten, insbesondere die Steuer- und Gehaltsabwicklung, zu übernehmen. Für den tatsächlichen Einsatz steht der Arbeitnehmer dann im deutschen Unternehmen zur Verfügung und unterliegt insoweit auch den dortigen Weisungen, ohne dass dadurch – bei richtiger Gestaltung – eine dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) unterfallende Arbeitnehmerüberlassung entsteht. Durch dieses Modell wird dem Arbeitnehmer ermöglicht, weiterhin vom Ausland, zum Beispiel aus dem Homeoffice, zu arbeiten, ohne den Arbeitgeber mit den hohen administrativen Anforderungen einer solchen Auslandstätigkeit zu belasten.

Weitere Infos hierzu finden Sie hier

(7)    Denken Sie auch über agile Arbeitsformen nach! 

Mit Hilfe agiler Arbeitsmethoden lassen sich fehlende Fachkräfte unter Umständen leichter rekrutieren. Aber was versteht man darunter eigentlich? Und wie kommt man auf diese Weise an Arbeitskräfte? 

Insbesondere das so genannte „Crowdworking“ ist eine Möglichkeit, bestimmte Aufgaben bzw. Aufträge gezielt auszulagern. Beim Crowdworking schreiben Unternehmen Arbeitsaufträge über webbasierte Plattformen weltweit aus. So erreichen sie eine Vielzahl potenzieller Auftragnehmer („Crowd“). Diese können sich das passendste bzw. vielversprechendste Angebot heraussuchen. Ausgeschrieben werden von den Unternehmen vor allem Tätigkeiten, die keine besonderen Kenntnisse der Unternehmensstruktur voraussetzen, beispielsweise Textkorrekturen, Programmiertätigkeiten, das Entwerfen von Produkttexten, App-Testungen oder auch Foto-Aufträge. Aufträge werden im Netz weltweit rund um die Uhr in Sekundenschnelle abgeglichen. Zudem sind Bewertungsmöglichkeiten vorhanden. Wegen der zahlreichen Angebote und des weltweit unterschiedlichen Lohnniveaus für vergleichbare Tätigkeiten besteht ein harter Preiskampf. Ökonomisch kann der Einsatz von Crowdworkern also sinnvoll sein. Juristisch gilt es zu beachten, dass Scheinselbstständigkeit unbedingt zu vermeiden ist. Werden Auftraggeber oder Plattformen als Arbeitgeber der Crowdworker eingestuft, laufen sie Gefahr, Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge zzgl. Säumniszuschlag nachzahlen zu müssen. Im Regelfall allerdings handelt es sich bei Plattformarbeitern mangels Weisungsrecht und betrieblicher Eingebundenheit in die Strukturen der Plattform und des Auftraggebers nach deutschem und europäischem Recht nicht um Arbeitnehmer.

Ausführliche Hinweise zu den Risiken der Scheinselbstständigkeit in der Gig Economy finden Sie in unseren Blogbeiträgen hier, hier und hier sowie in diesem Video.

(8)    Trennung von Mitarbeitern war gestern – setzen Sie lieber auf Coaching, Weiterqualifizierung und Umbau! 

Die Digitalisierung schreitet weiter voran und bringt einschneidende Veränderungen für die so genannte Arbeitswelt 4.0 mit sich. Angesichts der rasanten Entwicklungen in der digitalen Industrie wird angenommen, dass 65 % der Arbeitsplätze, die im Jahr 2035 zu besetzen sind, heute noch gar nicht existieren. Zugleich entfallen bereits jetzt zahlreiche Arbeitsplätze – der Bedarf an Arbeitskräften für Routineaufgaben, die sich durch Computer erledigen lassen können, sinkt kontinuierlich. Viele Unternehmen streichen demensprechend Stellen, suchen aber gleichzeitig nach geeignetem Fachpersonal für Positionen mit neu zugeschnittenen Anforderungsprofilen. In vielen Fällen mangelt es gerade an geeigneten Fachkräften.

Kluge Qualifizierungskonzepte minimieren das Bedarfsproblem

In der Diskussion um den Fachkräftemangel bleibt die Weiterqualifizierung bestehender Mitarbeiter oft unberücksichtigt. Dabei ist dies einer der wichtigsten Lösungsansätze: Mit klugen Qualifizierungskonzepten für eigene Arbeitnehmer rund um Digitalisierung und Automatisierung von Arbeitsprozessen werden diese Mitarbeiter auch für künftige Aufgaben befähigt und wird das Bedarfs¬problem minimiert. Umso wichtiger wird es deshalb auch, dass Berufs- und Karrieregrenzen durchlässiger werden. Eine systematische Stärkung des Quereinstiegs in die digitale Wirtschaft ist ein wirksames Mittel gegen den Fachkräftemangel. „New Work“ braucht – ebenfalls neudeutsch – „New Education“. Dazu gehört zum Beispiel eine stärkere Arbeitgeberförderung für praxisnahe Coding-Kurse (so genannte „IT-Bootcamps“), in denen das Programmieren erlernt und technische Fähigkeiten ausgebaut werden können. 

Massenentlassungen, Freiwilligenprogramme und Transfergesellschaften waren gestern

Sind Reorganisations- / Transformationsmaßnahmen im Unternehmen unumgänglich, werden die herkömmlichen Instrumente wie Massenentlassungen, Freiwilligenprogramme und Transfergesellschaften dem Fachkräftebedarf häufig nicht gerecht. Bestandsmitarbeiter könnten stattdessen organisatorisch in einer Qualifizierungseinheit gebündelt werden, innerhalb derer eine Qualifizierung erfolgt. Dies kann über punktuelle Maßnahmen, wie etwa durch entsprechende Regelungen zu Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen in Sozialplänen, oder durch Einrichtung von Betrieben zur Qualifizierung und Weiterbildung erfolgen (so genannte Qualifizierungsbetriebe). Hierbei werden an sich freizusetzende Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse nicht betriebsbedingt beendet werden können oder sollen, in einer neuen betrieblichen Einheit zusammengefasst, dort weitergebildet und im Anschluss innerhalb des Unternehmens eingesetzt bzw. konzernintern oder extern „verliehen“. Möglich ist sowohl eine gesellschaftsrechtliche Verselbstständigung solcher Einheiten als auch die Bildung im bestehenden Unternehmen. 

Kostenersparnis, Mitarbeiterakzeptanz und Imagegewinn

Das Unternehmen spart so langfristig Kosten, da das Budget etwa nicht für – dann ehemalige – Mitarbeiter innerhalb einer Transfergesellschaft verwendet wird, sondern in die Zukunft der vorhandenen Mitarbeiter investiert wird. Zugleich wird die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern auf dem umkämpften Fachkräftemarkt umgangen. Nicht zuletzt dürften Qualifizierungseinheiten im Vergleich zu klassischen Umstrukturierungsmaßnahmen eine höhere Mitarbeiterakzeptanz haben und einen Imagegewinn mit sich bringen.

  • Förderung durch die Arbeitsagentur

Ein Qualifizierungsbetrieb kann zudem auf Basis des Qualifizierungschancengesetzes nach § 82 Abs. 1 und 3 SGB III durch staatliche Weiterbildungszuschüsse seitens der Agentur für Arbeit gefördert werden. Bezuschusst werden sowohl die Weiterbildungskosten als auch das Arbeitsentgelt für die zu qualifizierenden Mitarbeiter. Die Höhe der Bezuschussung ist abhängig von der Unternehmensgröße. 

Sind die Weiterqualifizierung der Beschäftigten und die Transformation des Unternehmens erfolgreich, ergibt sich eine Win-win-Situation mit Vorbildcharakter. 

Weitere Informationen finden Sie hier.

(9)    Denken Sie über Ihre Unternehmensphilosophie nach – sie ist für Recruitment und Retention das Zünglein an der Waage! 

In Zeiten des Fachkräftemangels haben Arbeitnehmer in Deutschland nahezu freie Auswahl, wem sie ihre Arbeitskraft verkaufen möchten. Bewarben sich früher viele Arbeitnehmer auf wenige passende Stellen im Unternehmen, scheinen sich viele Unternehmen heutzutage bei wenigen passenden Arbeitnehmern bewerben und behaupten zu müssen. Verstärkt rücken daher Faktoren in Recruitment- und Retention-Prozessen in den Vordergrund, denen in arbeitgeberfreundlicheren Arbeitsmärkten lange nur eine geringe Bedeutung beigemessen wurde. Unternehmensphilosophie, -werte und -kultur sind hierfür Paradebeispiele.

Die Philosophie eines Unternehmens beeinflusst dessen Wahrnehmung nach außen und innen maßgeblich. Sie ist nicht nur für Bewerber, sondern auch für die Bestandsarbeitnehmer von großer Bedeutung. Je ausgeprägter sich die Unternehmensphilosophie in der gelebten Unternehmenskultur zeigt und je größer die Übereinstimmung in den Wertevorstellungen zwischen Unternehmen und Bewerbern / Bestandsarbeitnehmern ist, desto eher entscheiden sich diese für das Unternehmen: Bewerber, weil sie ein erhöhtes Interesse an einer Beschäftigung bei dem Unternehmen im Vergleich zu Konkurrenzunternehmen entwickeln; Bestandsarbeitnehmer, weil sie bleiben. In Verbindung mit attraktiven Arbeitsbedingungen können Unternehmensphilosophie, -werte und -kultur das Zünglein an der Waage für erfolgreiche Retention- und Recruitment-Bemühungen sein. 

Unternehmen sollten ihre Unternehmensphilosophie daher zunächst beleuchten. Das kann beispielsweise in Form einer simplen Bestandsanalyse sowie einer Gap-Analyse im Anschluss erfolgen: Was macht Arbeiten für das Unternehmen aus? Für welche Werte steht das Unternehmen, für welche Werte möchte man stehen? Wie werden diese gelebt, wie werden diese gefördert? Nicht selten wird festgestellt, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine Lücke besteht, die es zu schließen gilt. Unternehmen stoßen professionelle Werteprozesse an. Ist dies der Fall, ist zentral, dass eine Umsetzung nicht bloß „pro forma“ erfolgt. Vielmehr sollte ein besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, dass die Entwicklung und Implementierung einer Neuausrichtung oder Anpassung der Unternehmenswerte und damit der Unternehmensphilosophie für Bewerber und Arbeitnehmer spür-, greif- und wahrnehmbar wird. Eine transparente, authentische Darstellung sowie die Begleitung eines solchen Kulturwandels in einem professionell gesteuerten Change-Prozess sind also ebenso wichtig wie die Anpassung der Unternehmensphilosophie selbst.

Das Weg vom Alten und in vielerlei Hinsicht Bewährten hin zu einer neuen oder anders gewichteten Unternehmensphilosophie und -kultur kann Überwindung kosten. Gleichwohl lohnt es sich, den Schritt als einen Baustein auf dem Weg zu einem Top-Arbeitgeber zu gehen. Denn der Fachkräftemangel dürfte vielen Prognosen zufolge den Angebotsüberschuss an Arbeitsplätzen zu einem Dauerzustand machen. Der Druck bleibt dauerhaft erhöht, als Top-Arbeitgeber zum Finden und Binden von Personal wahrgenommen zu werden. Angelehnt an den Grundsatz „survival of the fittest“ werden nur Unternehmen, die sich diesem Wandel der Arbeitswelt geschickt anpassen, ihm erfolgreich begegnen.


Dieser Artikel ist Teil des Update Arbeitsrecht, das Sie hier abonnieren können. Bei Fragen zum Artikel kontaktieren Sie gerne das Redaktionsteam Arbeitsrecht (Dr. Alexander Bissels, Dr. Stefanie Klein-Jahns, Dr. Franziska Reiß und Sören Seidel) unter: Update-Arbeitsrecht@cms-hs.com

Autoren

Foto vonBoris Alles
Dr. Boris Alles
Partner
Frankfurt
Foto vonMarion Bernhardt
Prof. Dr. Marion Bernhardt
Partnerin
Berlin
Foto vonSebastian Beckerle
Dr. Sebastian Beckerle, LL.M. (Washington DC)
Foto vonDennis Fromm
Dennis Fromm
Foto vonDela Herr
Dela Herr
Associate
Frankfurt
Foto vonPatricia Jares
Patricia Jares
Principal Counsel
Köln
Foto vonStefanie Klein-Jahns
Dr. Stefanie Klein-Jahns
Counsel
Köln
Foto vonLuca Michilli
Luca Michilli
Foto vonJulia Tänzler-Motzek
Julia Tänzler-Motzek
Counsel
Köln
Foto vonFranziska Reiß
Dr. Franziska Reiß
Senior Associate
Düsseldorf
Foto vonHannah Vahlefeld
Hannah Vahlefeld, LL.B.
Senior Associate
Berlin
Mehr zeigen Weniger zeigen