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Update Commercial 04/2023

April 2023

In dieser Ausgabe unseres Updates informieren wir Sie unter anderem über zwei spannende neue Urteile aus dem Bereich des Vertriebsrechts: Der BGH hat sich mit der Frage befasst, wann eine unzulässige Einschränkung des Kündigungsrechts des Handelsvertreters besteht, und das OLG Frankfurt hatte zu prüfen, ob Hersteller Margenbestandteile und Boni gegenüber Vertragshändlern einseitig festlegen dürfen. 

Weiterhin geben wir einen Überblick über anstehende produktbezogene Neuregelungen. Die EU-Kommission hat ihren lange erwarteten Richtlinienentwurf zum „Recht auf Reparatur“ vorgelegt, mit dem erreicht werden soll, dass defekte Produkte künftig häufiger repariert und seltener ersetzt werden. Bereits weiter fortgeschritten ist die Reform des europäischen Produktsicherheitsrechts. Das Parlament hat Ende März die neue Produktsicherheitsverordnung gebilligt, die zahlreiche Änderungen für den Non-Food-Bereich mit sich bringt. 

Die Umsetzung der europäischen Verbandsklagenrichtlinie in nationales Recht hätte schon vor einiger Zeit erfolgen sollen, nun hat die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgestellt. Dieser sieht mit der sog. Abhilfeklage eine neue kollektive Verbandsklage vor, mit der Unternehmen direkt zu einer Leistung an betroffene Verbraucherinnen und Verbraucher verurteilt werden können. 

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre. 


Inhalt

Im Folgenden finden Sie die Themen des Newsletters.

Aktuelle Rechtsprechung

Mittelbare Nachteile als unzulässige Kündigungserschwernis für Handelsvertreter
Gesetzlichkeitsfiktion der Muster-Widerrufsbelehrung nur bei unveränderter Übernahme
Hersteller können Margenbestandteile und Boni auch gegenüber Vertragshändlern einseitig festlegen
Bei Streichpreisen keine erläuternde Angabe zum Referenzpreis erforderlich

Gesetzgebung und Trends

Richtlinienentwurf der EU-Kommission zum „Recht auf Reparatur“ 
Produktsicherheitsverordnung vom Parlament beschlossen 
Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie sieht neue Abhilfeklagen vor
Widerrufs-Button bald für den gesamten E-Commerce?

Bei Interesse können Sie das Update Commercial hier abonnieren.


Aktuelle Rechtsprechung

Mittelbare Nachteile als unzulässige Kündigungserschwernis für Handelsvertreter

(BGH, Urteil v. 19. Januar 2023 – VII ZR 787/21)

  • Der BGH hat Anfang des Jahres in einem Urteil zum Handelsvertreterrecht die Voraussetzungen einer unzulässigen Einschränkung der Kündigungsfreiheit des Handelsvertreters i. S. v. § 89 a Abs. 1 S. 2 HGB konkretisiert. Diese – zwingende – Vorschrift zum Schutz der im Allgemeinen wirtschaftlich schwächeren Handelsvertreter besagt, dass das Recht zur fristlosen Kündigung des Handelsvertretervertrags aus wichtigem Grund nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden darf. Entsprechende Vereinbarungen sind unwirksam. 
  • Im vom BGH zu entscheidenden Fall hatte die Prinzipalin dem Handelsvertreter zunächst Vorauszahlungen auf die Provision gewährt, die die vom Handelsvertreter tatsächlich erwirtschafteten Provisionen überstiegen. Nach einer gewissen Zeit vereinbarten die Parteien, das aufgelaufene Saldo in ein Darlehen umzuwandeln. Zudem sollte der Handelsvertreter weiterhin monatliche Zahlungen in fester Höhe als verzinsliches Darlehen erhalten, das mit der Provision verrechnet werden sollte. Im Falle der Beendigung des Handelsvertretervertrags sollte die Restschuld des Darlehens sofort fällig werden. Als es zur Beendigung des Vertrages kam, war infolge dieser Regelung ein Saldo von rund EUR 55.000,00 zulasten des Handelsvertreters aufgelaufen. Das Berufungsgericht hatte den Handelsvertreter zur Rückzahlung dieser Summe verurteilt, da es davon ausging, dass es sich bei der Darlehensrückzahlungsverpflichtung nicht um eine unzulässige Kündigungserschwernis handele. Die Fälligkeit der Restschuld sei die Folge des Wegfalls der Provisionseinnahmen, die zur Tilgung des Darlehens dienten, und damit ein bloßer Reflex auf die Beendigung des Handelsvertretervertrags. 
  • Der BGH sah dies jedoch anders und verwies den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück. Eine unzulässige Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Handelsvertreters könne nicht nur unmittelbar (z. B. durch eine entsprechende vertragliche Abrede) erfolgen, sondern auch durch mittelbare Erschwernisse in Form von finanziellen oder sonstigen Nachteilen im Falle der Kündigung entstehen, wie etwa die Zahlung einer Vertragsstrafe oder die Verpflichtung zur sofortigen Rückzahlung langfristiger Vorschusszahlungen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen an die Vertragsbeendigung vertraglich geknüpfte Nachteile von solchem Gewicht sind, dass eine unzulässige, mittelbare Beschränkung des Kündigungsrechts des Handelsvertreters vorliegt, sei jeweils im Einzelfall zu entscheiden und hänge insbesondere von der Höhe der ggf. zurückzuerstattenden Zahlungen und dem Zeitraum, für den sie zu erstatten sind, ab. Dabei betont der BGH, dass auch nur mittelbare Kündigungsfolgen eine Rolle spielen, wenn aufgrund der Gestaltung des Vertrags die Vertragsbeendigung für den Handelsvertreter mit erheblichen Nachteilen verknüpft ist, die seine Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Frage, ob er das Vertragsverhältnis auflöst, einschränken können. Auch solche mittelbaren Auswirkungen der Vertragsgestaltung seien stets am Maßstab des § 89 a Abs. 1 S. 2 HGB zu prüfen und könnten nicht unter Hinweis darauf, es handele sich um einen bloßen „Reflex“, von vornherein von dieser Prüfung ausgenommen werden. 
  • Das im konkreten Fall gewährte Darlehen stelle ein unzulässiges Umgehungsgeschäft dar. Die Gewährung eines variablen Darlehens, das monatlich mit Provisionsforderungen verrechnet werden soll, sei, sofern dieses nicht zur Deckung eines besonderen Kreditbedarfs des Handelsvertreters diene, der Gewährung eines monatlichen Provisionsvorschusses mit entsprechender Verrechnungsabrede gleichzustellen. Der Handelsvertreter werde hierdurch vergleichbar mit einer entsprechenden Abrede über Provisionsvorschüsse, die bei Vertragsende zurückzuzahlen sind, in seiner Entscheidungsfreiheit, das Vertragsverhältnis zum Unternehmer aufzulösen, beschränkt. 
  • Erweise sich eine vereinbarte Vorschusszahlung auf zu erwartende Provisionseinnahmen als unzulässige Kündigungsbeschränkung, könne der Unternehmer die gewährten Vorauszahlungen auch nicht nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zurückfordern. Die Nichtigkeit des gegen § 89 Abs. 1 S. 2 HGB verstoßenden Rechtsgeschäfts betreffe im vorliegenden Fall nur die Vereinbarung, dass bei Beendigung des Handelsvertretervertrags ein Unterverdienst vom Handelsvertreter auszugleichen sei. Der Vertrag im Übrigen bleibe dagegen wirksam und bilde den Rechtsgrund für die erfolgten monatlichen Zahlungen, die dem Handelsvertreter – wie eine monatliche Festvergütung oder Garantieprovision – verblieben. Denn würde man die Vereinbarung über die Provisionszahlungen insgesamt als unwirksam ansehen und einen Rückzahlungsanspruch des Unternehmers nach dem Bereicherungsrecht annehmen, liefe dies dem Zweck des Verbots der Kündigungserschwernis zuwider. 
  • Ob die Rückzahlungsverpflichtung im konkreten Fall so schwer wiege, dass von einer unzulässigen Kündigungserschwernis auszugehen sei, müsse vom Berufungsgericht erneut unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls geprüft werden.

Praxistipp: Der BGH bestätigt mit der Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung, dass auch mittelbare Nachteile im Zusammenhang mit der Beendigung des Handelsvertretervertrags eine unzulässige Kündigungserschwernis darstellen können. Die Frage, ab wann derartige Nachteile so schwer wiegen, dass von einer solchen unzulässigen Einschränkung auszugehen ist, überlässt er aber weiterhin den Instanzgerichten. Der BGH stellt jedoch klar, dass das Risiko, dass bestimmte Faktoren eine solche Kündigungserschwernis begründen, nicht allein durch eine vertragliche „Umbenennung“ ausgeschlossen werden kann, sondern letztendlich die wirtschaftliche Betrachtung entscheidend bleibt. Im Falle der Gewährung von Darlehen an Handelsvertreter, die mit den Provisionen verrechnet werden sollen, kommt es dabei nach den Grundsätzen des BGH darauf an, ob diese einer dauerhaften Vorfinanzierung der vom Handelsvertreter zu erwirtschaftenden Provisionen dienen oder einen besonderen Kreditbedarf des Handelsvertreters decken sollen. Ist letzteres der Fall, verbleibt es grundsätzlich bei der Rückzahlungspflicht des Handelsvertreters. Wir durch diese eine unzulässige Kündigungserschwernis angenommen, soll in der Regel nur die sofortige Fälligkeit der Rückzahlungspflicht bei Kündigung nichtig sein, so dass die Rückzahlung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen kann. Für Unternehmer empfiehlt es sich in diesem Fall, den Zweck der Darlehensgewährung ausdrücklich vertraglich festzuhalten und – abhängig von der Höhe und der Laufzeit des Darlehens – gegebenenfalls schon im Vorfeld eine längerfristige Rückzahlungsvereinbarung auch im Falle der Vertragsbeendigung zu treffen. Dienen Zahlungen einer dauerhaften Vorfinanzierung von Provisionen, besteht hingegen nach der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung und nun auch dem BGH das Risiko, dass die gewährten Beträge vom Handelsvertreter bei Vertragsbeendigung nicht zurückgezahlt werden müssen. Dieses Risiko steigt dabei an, je länger derartige Vorschusszahlungen geleistet werden und je höher der Saldo zulasten des Handelsvertreters ausfällt. Letztendlich dürfte der BGH den Handelsvertretern allerdings einen Bärendienst erwiesen haben, da Unternehmer in Anbetracht der Entscheidung künftig sehr sorgfältig prüfen sollten, ob und in welcher Höhe sie zur Zahlung von Provisionsvorschüssen an ihre Handelsvertreter bereit sind. Entscheidet sich ein Unternehmer gleichwohl zur Zahlung von Vorschüssen, kann es sich zur Risikominimierung möglicherweise ebenfalls empfehlen, bereits im Vorfeld Alternativen zu einer Gesamtfälligkeit der Rückzahlung bei Vertragsbeendigung festzulegen, die den Handelsvertreter wirtschaftlich nicht überfordern, um der Annahme einer unzulässigen Kündigungserschwernis vorzubeugen. Verallgemeinerungsfähige Rechtsprechung dazu, inwieweit dies einer etwaigen Beschränkung der Entscheidungsfreiheit des Handelsvertreters entgegenwirken kann, existiert allerdings bislang nicht.

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Gesetzlichkeitsfiktion der Muster-Widerrufsbelehrung nur bei unveränderter Übernahme

(BGH, Urteil v. 1. Dezember 2022 – I ZR 28/22)

  •  Der BGH hat Ende 2022 in einer ausführlich begründeten Entscheidung noch einmal klargestellt, dass die Schutzwirkung der sog. „Gesetzlichkeitsfiktion“ der im Gesetz enthaltenen Muster-Widerrufsbelehrung nur Unternehmern zugutekommt, die das Muster unverändert verwenden und richtig ausfüllen. Diese auch „Musterschutz“ genannte Fiktion bedeutet, dass bei Verwendung des Mustertextes davon ausgegangen wird, dass die Informationspflichten tatsächlich in der gebotenen Weise eindeutig und umfassend erfüllt wurden. 
  • Es besteht aber keine Verpflichtung zur Verwendung des gesetzlichen Mustertextes, Unternehmer können ihre Informationspflichten auch durch eine Belehrung erfüllen, die von der Musterbelehrung abweicht, solange diese inhaltlich die gesetzlichen Anforderungen der einschlägigen Verbraucherschutzvorschriften erfüllt. Entscheidet sich ein Unternehmer hierfür, trägt er laut BGH allerdings das Risiko, dass seine Informationen den allgemeinen Anforderungen an eine umfassende, unmissverständliche und nach dem Verständnis eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbrauchers eindeutige Belehrung genügen. 
  • Dies gilt dem BGH zufolge auch bei nur geringfügigen Abweichungen vom gesetzlichen Mustertext: Im zu entscheidenden Fall hatte der Unternehmer in seiner Widerrufsbelehrung unter anderem die Formulierung „Vertragsschluss“ statt – wie in der gesetzlichen Muster-Widerrufsbelehrung vorgesehen – „Vertragsabschluss“ verwendet und, ebenfalls abweichend vom Mustertext, zwei mögliche Adressen für den Empfang des Widerrufs statt nur einer vorgesehen (was der BGH letztendlich als irreführend ansah). 
  • Als Begründung für diese sehr strenge Auslegung führt der BGH aus, dass sich, würde man Abweichungen vom Mustertext zulassen, aufgrund der Vielgestaltigkeit möglicher individueller Veränderungen keine verallgemeinerungsfähige bestimmte Grenze ziehen ließe, bei deren Einhaltung eine Schutzwirkung noch gelten und ab deren Überschreitung sie entfallen solle. Für die Zulassung gewisser individueller Änderungen durch den Unternehmer bestehe auch kein schutzwürdiges Bedürfnis. Dem Unternehmer stehe es frei, auf die Schutzwirkung der Musterverwendung zu verzichten und seine Informationspflichten durch eine individuell gestaltete Belehrung zu erfüllen.

Praxistipp: Unternehmer, die ihren Informationspflichten durch einen von der gesetzlichen Muster-Widerrufsbelehrung abweichenden Text nachkommen wollen, sollten dies sehr genau abwägen, da auch (vermeintlich) kundenfreundliche Änderungen dazu führen, dass die Gesetzlichkeitsfiktion entfällt und die gesamte Belehrung dadurch gerichtlich überprüfbar wird. Im Zweifel empfiehlt sich daher die Verwendung des gesetzlichen Mustertextes. 

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Hersteller können Margenbestandteile und Boni auch gegenüber Vertragshändlern einseitig festlegen

(OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 14. Februar 2023 – 11 U 9/22 Kart)

Der Kläger ist ein Fachverband von Vertragshändlern, der befugt ist, Kartell- und AGB-Rechtsverstöße geltend zu machen. Die Beklagte stellt Fahrzeuge her und vertreibt sie über Vertragshändler im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems. Die Vertragshändler sind Mitglieder des Klägers. Der neue Händlervertrag der beklagten Fahrzeugherstellerin sieht vor, dass Margenbestandteile und Boni nicht Gegenstand des Händlervertrags sind, sondern diese von ihr einseitig mit jährlichen Rundschreiben festgelegt werden. Dagegen wandte sich die Klage, der das LG Frankfurt mit Urteil v. 16. Dezember 2021 - 2-03 O 410/20, stattgegeben hatte. 

Genau gegenteilig hat nunmehr das OLG Frankfurt entschieden: Eine einseitige jährliche Festlegung der Grundmargen und Boni durch einen Kfz-Hersteller gegenüber seinen Vertragshändlern ist im Grundsatz weder kartellrechtlich noch AGB-rechtlich zu beanstanden. 

Das Urteil des OLG Frankfurt überrascht nicht. Es gibt der Privatautonomie der Parteien und der Vertriebsgestaltungsfreiheit des Herstellers den Vorrang vor einer kartellrechtlichen Billigkeitskontrolle und einer AGB-rechtlichen Angemessenheitsprüfung. Maßgeblich ist dabei die Trennung zwischen dem Inhalt des Vertragshändlervertrages als Rahmenvertrag und den darunter abgeschlossenen Kaufverträgen über einzelne Fahrzeuge. Die Margen der Händler ergeben sich dabei aus den Ein- und Verkaufspreisen für die einzelnen Fahrzeuge. Einkaufspreisbezogene Margenbestandteile können einseitig vom Hersteller festgelegt werden. Sie sind ebenso wenig wie die nachträglich ermittelten und auf die Einkaufspreise bezogenen Boni eine Gegenleistung für Pflichten des Händlers aus dem Rahmenvertrag. Dazu hat das OLG Frankfurt insbesondere Folgendes ausgeführt:

  • Kartell- und AGB-rechtliche Prüfung zur Grundmarge 

    Die Herstellerin ist Normadressatin der §§ 19, 20 GWB, weil ihre Vertragshändler von ihr unternehmensbedingt abhängig sind. Sie haben sich basierend auf vertraglichen Grundlagen in erheblichem Umfang auf die Produkte der Herstellerin ausgerichtet und entsprechende Investitionen getätigt. 

    Die einseitige jährliche Festlegung der sog. Grundmargen und Boni durch die Herstellerin stellt indes keine unbillige Behinderung der Händler dar. Zwar kann sich eine Unbilligkeit der Behinderung auch daraus ergeben, dass sich der Normadressat für das gerügte Verhalten auf eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung beruft, die nach der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle zu beanstanden ist, die Gewährung der Grundmarge ist im Verhältnis der Herstellerin zu ihren Vertragshändlern aber nicht im Händlervertrag geregelt, so dass dieser insoweit nicht AGB-rechtlich zu beanstanden ist. Die Beklagte hat sich lediglich das Recht vorbehalten, die Grundmarge einmal jährlich, im letzten Quartal des Kalenderjahres für das folgende Kalenderjahr festzulegen. Damit weiß der Händler im betreffenden Kalenderjahr bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags über das Fahrzeug, in welcher Höhe die Herstellerin ihm für das betreffende Fahrzeugmodell einen Grundrabatt gewährt, der von der UVP des Fahrzeugs abgezogen wird und so den Händlereinkaufspreis bestimmt.

    Es handelt sich auch nicht um ein AGB-rechtlich problematisches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht. Denn in dem Zeitpunkt, in dem die Beklagte die Grundmarge jährlich festlegt, hat der Vertragshändler den relevanten Vertrag, für den die Grundmarge einen regelungsbedürftigen Vertragsbestandteil darstellt, noch nicht geschlossen. 

    Im Übrigen ist das Interesse des Herstellers nach einer flexiblen Anpassung der Preise zu berücksichtigen, das durch mögliche Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gerechtfertigt ist. Die sog. Grundmarge ist weder tatsächlich erzielbare Handelsspanne noch garantierte Gewinnmarge der Händler, da die UVP wegen der üblichen Nachlässe nicht den tatsächlich vom Händler bei den Endkundinnen und Endkunden erzielbaren Endverkaufspreis darstellt. Die Befugnis des Herstellers zu einer flexiblen Anpassung der Grundmarge steht nicht der Konzeption des Händlervertrags entgegen, weil dieser die Befugnis der Beklagten, auf Marktveränderungen zu reagieren, nicht ausschließt.
     
  • Zur einseitigen Festlegung der Boni 

    Auch die jährliche einseitige Festlegung der Boni durch die Herstellerin ist keine unbillige Behinderung. Es handelt sich bei den Boni um zusätzliche freiwillige Leistungen, die kein Äquivalent für eine besondere, vom Händler geschuldete Leistung darstellen und zu deren Gewährung die Beklagte nicht verpflichtet ist. Daher kann die Herstellerin deren Inhalt und Umfang frei ausgestalten, ohne hierdurch ihre Händler unangemessen zu benachteiligen. Das gilt insbesondere für den Zielerfüllungsbonus und auch für den Kundenzufriedenheitsbonus.

Praxistipp: Zunächst bestätigt das Urteil die bewährte Praxis, Rahmenverträge nicht zu ausführlich zu gestalten und Aspekte, die regelmäßigen Änderungen unterliegen, der laufenden Geschäftsbeziehung und den unter dem jeweiligen Rahmenvertrag abgeschlossenen Kaufverträgen zuzuordnen. Damit verschafft sich der Hersteller die notwendige Freiheit, seine Preise und auch sonstige Liefer- und Zahlungsbedingungen in regelmäßigen Abständen einseitig anzupassen. Dieser Praxistipp gilt ganz unabhängig von einer etwaigen kartellrechtlichen Problematik schon wegen der AGB-rechtlichen Implikationen einseitiger Änderungsvorbehalte. Was laufenden Änderungen unterliegt, sollte also möglichst nicht Gegenstand eines Rahmenvertrags sein. 

Allerdings können Hersteller und Händler auch das gleichgerichtete Interesse haben, dass der Händler erheblich zu Gunsten des Herstellers in das Geschäft investiert. Im Gegenzug sollte er vom Hersteller eine gewisse Margensicherheit erhalten, z. B. mittels eines fixen Funktionsrabatts im Rahmenvertrag und leistungsbezogener und ggf. auch einseitig änderbarer Leistungsboni. Wenn sich Hersteller und Händler vor Gericht über die Vergütung streiten, mag es einen juristischen Sieger geben, aber für eine gute Geschäftsbeziehung ist so ein Streit nicht hilfreich.

Sofern ein Hersteller gleichwohl dem kartellrechtlichen Missbrauchsverbot unterliegt, bleibt es bei einer Interessenabwägung, die dem Hersteller erhebliche Freiheiten lässt. Im Grundsatz darf auch der marktmächtige oder marktbeherrschende Hersteller seine Konditionen frei verhandeln, sofern er legitime Interessen verfolgt und nicht willkürlich handelt. 

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Bei Streichpreisen keine erläuternde Angabe zum Referenzpreis erforderlich

(OLG Hamburg, Beschluss v. 12. Dezember 2022 – 3 W 38/22)

  • Am 28. Mai 2022 ist eine Änderung der deutschen Preisangabenverordnung (PAngV) in Kraft getreten, die unter anderem eine Neuregelung zur Werbung mit Preisermäßigungen mit sich gebracht hat (wir berichteten zuletzt im Update Commercial 12 / 2021). Der reformierte § 11 PAngV, der auf einer Vorgabe der europäischen Preisangaben-Richtlinie beruht, besagt, dass bei der Bekanntgabe einer Preisermäßigung gegenüber Verbraucherinnen und Verbrauchern (z. B. mittels eines „Streichpreises“) grundsätzlich der niedrigste Gesamtpreis anzugeben ist, der von dem jeweiligen Händler innerhalb der letzten 30 Tage vor der Anwendung der Preisermäßigung verlangt wurde.
  • Teilweise wurde diese neue Vorgabe so verstanden, dass beim Einsatz derartiger „Streichpreise“ auch ein ausdrücklicher Hinweis erfolgen müsse, dass es sich bei dem Referenzpreis um den niedrigsten, innerhalb der letzten 30 Tage geforderten Preis handelt. Dies führte teilweise zu Abmahnungen von Händlern, die auf einen derartigen Hinweis verzichteten. Das OLG Hamburg hat nun allerdings entschieden, dass ein solcher ausdrücklicher Hinweis nicht erforderlich ist. Die bloße Angabe des (niedrigsten) Referenzpreises genüge grundsätzlich den Anforderungen des § 11 PAngV. 
  • Zweck der Regelung sei die Verbesserung der Verbraucherinformation in den Fällen, in denen eine Preisermäßigung zu Werbezwecken genutzt werde; insbesondere solle verhindert werden, dass bei der Werbung mit Preisermäßigungen als Referenzpreise „Mondpreise“ angegeben werden, die so zuvor nicht verlangt oder kurzzeitig zuvor angehoben wurden. Der Wortlaut der Vorschrift mache – wie auch die Preisangaben-Richtlinie – keine Vorgaben, wie der Referenzpreis angegeben werden solle. Auch die Gesetzesbegründung sehe eine zusätzliche Informationspflicht ausdrücklich nur vor, wenn durch weitere Angaben (z. B. weitere Preise) bei der Preisauszeichnung unklar werde, dass es sich bei dem durchgestrichenen Preis um einen Referenzpreis handele. 
  • Ebenso hat das LG Düsseldorf Ende 2022 entschieden, dass § 11 PAngV den Unternehmer nicht zu mehr als der (rein betragsmäßigen) Angabe des niedrigsten Preises der letzten 30 Tage verpflichte (LG Düsseldorf, Urteil v. 11. November 2022 – 38 O 144/22). Eine ausdrückliche Bezeichnung oder Erläuterung des „vorherigen Preises“ im Sinne des niedrigsten Preises der letzten 30 Tage böte keinen Mehrwert für Verbraucherinnen und Verbraucher, da sie nicht mehr als ein Selbstbekenntnis des Werbenden beinhalte, für den Streichpreis die vorgeschriebene Bezugsgröße gewählt zu haben. 

Praxistipp: Die Entscheidungen bringen Klarheit für den Handel und überzeugen auch inhaltlich. Denn die verpflichtende Aufnahme eines Hinweises, dass es sich bei dem Referenzpreis – wie gesetzlich vorgeschrieben – um den niedrigsten, innerhalb der letzten 30 Tage geforderten Preis handelt, dürfte für Verbraucherinnen und Verbraucher in der Tat keine Hilfestellung bieten, sondern eher zu Verdruss ob noch mehr Kleingedrucktem führen. Allerdings sollte in Einzelfällen, in denen (beispielsweise durch die Nennung mehrerer Preise) Unklarheit bestehen kann, ob es sich bei dem angegebenen Preis um einen Referenzpreis handelt, ein entsprechender Hinweis in Erwägung gezogen werden, um dem Grundsatz der Preisklarheit zu entsprechen. 

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Gesetzgebung & Trends

Richtlinienentwurf der EU-Kommission zum „Recht auf Reparatur“ 

(Pressemitteilung der EU-Kommission vom 22. März 2023)

  • Die EU-Kommission hat am 22. März 2023 einen Vorschlag für eine Richtlinie über gemeinsame Vorschriften zur Förderung der Reparatur von Waren vorgestellt, mit dem für Verbraucherinnen und Verbraucher ein „Recht auf Reparatur“ eingeführt werden soll.
  • Innerhalb der Gewährleistungsfrist soll danach durch eine Änderung der Warenkauf-Richtlinie künftig der Reparatur (bzw. Nachbesserung) Vorrang vor der Ersatzlieferung eines neuen Produktes eingeräumt werden, sofern die Nachbesserung nicht teurer ist als ein Ersatz. Bislang haben die Verbraucherinnen und Verbraucher hier grundsätzlich die Wahl zwischen einer Reparatur und der Lieferung eines neuen Produktes. 
  • Außerhalb der Gewährleistung sollen Hersteller von Produkten, für die nach den europäischen Ökodesign-Vorschriften technische Vorgaben zur Reparierbarkeit bestehen, für fünf bis zehn Jahre nach dem Kauf – abhängig von der Art des Produkts – selbst oder über Dritte eine (kostenpflichtige) Reparatur dieser Produkte anbieten und die Verbraucherinnen und Verbraucher in angemessener Weise hierüber informieren müssen. Dies betrifft zunächst Haushaltswaschmaschinen und -trockner, Haushaltsgeschirrspüler, Kühlgeräte, elektronische Displays, Schweißgeräte, Staubsauger sowie Server und Datenspeicherungsvorrichtungen. Mobiltelefone, Schnurlostelefone und Tablets sollen als nächstes in die Liste aufgenommen werden. 
  • Die Mitgliedstaaten sollen verpflichtet werden, nationale Online-Matchmaking-Reparaturplattformen bereitzustellen, die Verbraucherinnen und Verbrauchern die Kontaktaufnahme zu Reparaturbetrieben und Verkäufern instandgesetzter Waren in ihrer Region ermöglichen sollen. Reparaturbetriebe sollen zudem künftig verpflichtend ein einheitliches europäisches Formular für Reparaturinformationen nutzen, das Transparenz in Bezug auf Reparaturbedingungen und Preise schaffen soll. Zudem will die EU-Kommission einen – freiwilligen – europäischen Qualitätsstandard für Reparaturdienstleistungen entwickeln. 
  • Der Kommissionsvorschlag muss noch vom Europäischen Parlament und vom Rat angenommen werden. Nach dem Inkrafttreten der Richtlinie ist für die Umsetzung der neuen Vorgaben durch die Mitgliedstaaten eine Übergangsfrist von zwei Jahren vorgesehen, nach der die entsprechenden Regelungen angewendet werden müssen. 

Praxistipp: Der lange erwartete Vorschlag der EU-Kommission zum Recht auf Reparatur ist ein weiterer Baustein im Rahmen der europäischen Bestrebungen, Produkte nachhaltiger und dabei vor allem langlebiger zu machen. Er ergänzt die geplante Neugestaltung der europäischen Ökodesign-Vorschriften, indem sichergestellt werden soll, dass Produkte nicht nur reparierbar gestaltet werden, sondern Verbraucherinnen und Verbrauchern auch die Möglichkeit gewährt wird, Reparaturen unkompliziert durchführen zu lassen. 

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Produktsicherheitsverordnung vom Parlament beschlossen 

Am 30. März 2023 hat das EU-Parlament die überarbeitete EU-Produktsicherheitsverordnung gebilligt, auf die sich das Parlament, der Europäische Rat und die EU-Kommission im Rahmen der Trilog-Verhandlungen geeinigt hatten. Die Produktsicherheitsverordnung soll die Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit aus dem Jahr 2001 (RL 2001/95/EG) ersetzen. Bevor die Verordnung in Kraft treten kann, muss auch der Rat dem Text noch förmlich zustimmen. Die neuen Vorschriften sollen nach einer Übergangsfrist von 18 Monaten gelten. 

Einen Überblick darüber, worauf sich Unternehmen beim Inverkehrbringen von Verbraucherprodukten einstellen sollten, geben wir in unserem Blogbeitrag Die 16 wichtigsten Änderungen, die Unternehmen zur neuen Produktsicherheitsverordnung kennen sollten.

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Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie sieht neue Abhilfeklage vor

(Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz – VRUG))

  • Die Bundesregierung hat Ende März einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der europäischen Verbandsklagenrichtlinie (Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz – VRUG) vorgelegt. Entsprechend der Vorgaben der Richtlinie enthält dieser Regelungen zur Einführung einer neuen kollektiven Verbandsklage, mit der Unternehmen direkt zu einer Leistung an betroffene Verbraucherinnen und Verbraucher verurteilt werden können sollen – die Abhilfeklage. Diese Regelungen hierzu sollen künftig in dem sog. Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) gebündelt werden, in das auch die bereits bestehenden Regelungen über die Musterfeststellungsklage integriert werden sollen.
  • Die Abhilfeklage soll künftig von bestimmten zugelassenen Verbraucherschutzverbänden erhoben werden können, um gleichartige Ansprüche von mindestens 50 Betroffenen (Verbraucherinnen und Verbraucher sowie kleine Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von unter EUR 10 Mio.) vor den Oberlandesgerichten geltend zu machen. Die Ansprüche sollen innerhalb von zwei Monaten nach dem ersten gerichtlichen Termin zur Eintragung in das Verbandsklageregister angemeldet werden können. Der Anwendungsbereich der Abhilfeklage ist dabei nicht (wie von der Verbandsklagenrichtlinie als Mindeststandard gefordert) auf Verletzungen bestimmter EU-Verbraucherschutzvorschriften begrenzt, sondern umfasst alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Bei auf Zahlung gerichteten Abhilfeklagen kann entweder unmittelbar Zahlung an namentlich benannte Personen beantragt werden oder die Verurteilung zur Zahlung eines (auch durch richterliche Schätzung ermittelbaren) kollektiven Gesamtbetrags, der von dem beklagten Unternehmen im Fall der Klagestattgabe in einen Umsetzungsfonds einzuzahlen ist, aus dem dann die einzelnen Verbraucheransprüche befriedigt werden.
  • Das Verfahren nach Erhebung einer Abhilfeklage soll verschiedene Stufen umfassen: Zunächst prüft das Gericht die geltenden gemachten Ansprüche dem Grunde nach und erlässt ein Abhilfegrundurteil. Auf dessen Basis soll dann zunächst der Versuch einer gütlichen Einigung unternommen werden. Gelingt dies nicht, wird das Verfahren fortgesetzt und das Gericht entscheidet durch Abhilfeendurteil. Anschließend prüft im sog. Umsetzungsverfahren ein Sachwalter die einzelnen angemeldeten Ansprüche und erfüllt berechtigte Ansprüche ggf. aus dem Umsetzungsfonds. Sofern Ansprüche vom Sachwalter im Umsetzungsverfahren zurückgewiesen werden, verbleibt die Möglichkeit, anschließend Individualklage zu erheben. 
  • Der Entwurf muss noch das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. Das Gesetz soll entsprechend den Vorgaben der Verbandsklagenrichtlinie am 25. Juni 2023 in Kraft treten. 

Praxistipp: Aufgrund des weiten Anwendungsbereiches und der EU-weiten Dimension der neuen Verbandsklagemöglichkeit sollten sich insbesondere Unternehmen, die innerhalb der EU im B2C-Bereich tätig sind, mit den neuen Regelungen der Abhilfeklage vertraut machen und prüfen, an welchen Stellen sich hieraus für sie neue Risiken ergeben können. Potenzielle Anwendungsfelder für die neue Kollektivklage können beispielsweise in den Bereichen Produkthaftung, Datenschutz und AGB-Recht entstehen. Aber auch ESG-Themen, wie insbesondere Supply-Chain-Compliance, können hier relevant werden. So sieht die geplante EU-Lieferkettenrichtlinie eine international zwingende zivilrechtliche Haftung für Sorgfaltspflichtverstöße vor, die künftig – sollte hierdurch eine Vielzahl von Verbrauchern zu Schaden kommen – auch im Wege der Abhilfeklage kollektiv durchgesetzt werden könnte.


Widerrufs-Button bald für den gesamten E-Commerce?

Nach einem aktuellen Vorschlag der EU sollen zukünftig alle Online-Shops einen Widerrufs-Button einrichten müssen. Mehr zu den Hintergründen und Auswirkungen lesen sie in unserem Blog in dem Beitrag Kommt jetzt der Widerrufs-Button für den gesamten E-Commerce?! 

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