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Zwei BGH-Urteile zur Bildberichterstattung der BILD – mal verboten, mal erlaubt

Update Gewerblicher Rechtsschutz & Kartellrecht 06/2020

Juni 2020

Die Berichterstattung über aktuelle Gerichtsverfahren zählt zu den publizistischen Kernaufgaben der Medien. Dazu gehört grundsätzlich auch die Abbildung der an diesen Verfahren Beteiligten. Ob im Einzelfall eine identifizierende Bildberichterstattung erlaubt ist, weil an der Person oder am Verfahrensgegenstand ein hinreichendes Informationsinteresse besteht, oder ob sie zu unterbleiben hat, etwa weil Persönlichkeitsrechte oder (in Strafverfahren) die Unschuldsvermutung entgegenstehen, ist in jedem Einzelfall neu zu entscheiden. Die Abwägung der gegenläufigen Interessen ist oft schwierig. Das verdeutlichen zwei Entscheidungen des BGH zur Bildberichterstattung, die am gleichen Tage (17. Dezember 2019) verkündet worden sind und zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. In beiden Fällen geht es um eine Berichterstattung einer regionalen Ausgabe der BILD über ein Fehlverhalten von nichtprominenten Personen und sich anschließende gerichtliche Verfahren und Sanktionen. Im ersten Fall war die Abbildung des Betroffenen erlaubt, im zweiten Fall nicht. Wie erklärt sich das? Die nun vorliegenden Urteilsgründe geben Aufschluss.

Erlaubte Abbildung bei einem Bericht über Zweckentfremdung von Wohnraum

Der erste Fall (BGH Az. VI ZR 496/18) betrifft eine Berichterstattung über eine Gerichtsverhandlung in einem Verwaltungsverfahren. Die Kläger hatten gegen Bußgelder geklagt, die sie wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum kassiert hatten. Sie hatten im gewerblichen Umfang Immobilien in München angemietet und ohne Zustimmung des Vermieters an sog. Medizintouristen weitervermietet. Die BILD München hatte über den Gerichtstermin berichtet und dabei Fotos der Kläger veröffentlicht. Die Vorinstanz hatte die identifizierende Bildberichterstattung verboten. Der BGH hat diese Entscheidung aufgehoben. 

Die Abbildung der Kläger sei erlaubt, die Berichterstattung habe sich mit einem aktuellen Thema von hohem gesellschaftlichem Interesse beschäftigt, nämlich der Wohnungsnot in München und dem Kampf der Stadt gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum sowie den damit verbundenen illegalen Geschäften der Kläger. Deren Fehlverhalten sei zwar keine Straftat, aber von persönlichem Gewinnstreben getragen, eigennützig und gemeinschädlich. Die Bedeutung für die Öffentlichkeit liege darin, dass sie zu Lasten der Gesellschaft gegen die Rechtsordnung verstoßen hätten. Zwar gehe mit der Berichterstattung eine soziale Missbilligung der Kläger einher, allerdings handele es sich nur um ein Verwaltungsverfahren, was sich für die Kläger weniger belastend auswirke als ein Strafverfahren. Die Unschuldsvermutung greife hier nicht. Der Identifizierungsgrad sei überdies eingeschränkt, weil nur Vorname und Initial des Nachnamens genannt worden seien. Dass einer der Kläger sich mit einer abwehrenden Geste gegen die Aufnahmen gewandt hatte, spielte für den BGH übrigens keine Rolle, weil der Betroffene über die Frage der Zulässigkeit der Berichterstattung nicht disponieren kann. 

Unzulässige Abbildung bei einem Bericht über die Durchsuchung einer Kanzlei

Der zweite Fall (BGH Az. VI ZR 249/18) betrifft eine Berichterstattung über einen Rechtsanwalt, der Mitglied der lokalen Gemeindevertretung eines Orts mit 8.500 Einwohnern war und für die Kommunalwahlen in Hessen auf Listenplatz 1 der CDU kandidierte. Wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen hatte die Polizei seine Wohn- und Kanzleiräume durchsucht. Hierüber hatte die BILD Frankfurt unter voller Namensnennung und mit einem großformatigen Porträtfoto berichtet. Der Kläger ließ diese Berichterstattung untersagen. Darüber stritten die Parteien über zwei Instanzen. Während des Berufungsverfahrens erging gegen den Kläger wegen zweifachen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen ein Strafbefehl über 90 Tagessätze, der rechtskräftig wurde. Die Vorinstanzen hatten die Wort- und Bildberichterstattung verboten. Für die Zeit nach Rechtskraft des Strafbefehls (die hier allein interessieren soll) hielt der BGH zwar die Wortberichterstattung für zulässig, nicht aber die Bildberichterstattung. 

Im Ausgangspunkt zählten Straftaten zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien sei. Ob identifizierend berichtet werden dürfe, hänge maßgeblich von der Bedeutung der Straftat für die Öffentlichkeit ab, die sich u.a. aus der Schwere der Tat oder der Person oder Stellung des Täters ergeben könne. Bei einem rechtskräftig verurteilten Straftäter komme die Unschuldsvermutung zu seinen Gunsten allerdings nicht mehr zum Tragen. Im konkreten Fall habe zwar ein erhebliches öffentliches Interesse auch an einer Bildberichterstattung über die vom Kläger begangene Straftat bestanden. Es überwiege aber das Persönlichkeitsrecht des Klägers wegen der erheblichen Prangerwirkung der BILD-Veröffentlichung. Der Kläger sei großformatig im Porträt gezeigt worden und für jeden, der ihn vorher nicht kannte, ohne Weiteres erkennbar und mit der Straftat zu verbinden. Sein kommunalpolitisches Engagement habe sich auf das Gebiet seiner Wohnortgemeinde beschränkt. Durch die Verbreitung des Artikels sei er über seine Gemeinde hinaus in der Großstadt Frankfurt erheblich belastet worden. Die Verurteilung des Klägers sei per Strafbefehl und nicht etwa nach einem unter breiter Anteilnahme der Öffentlichkeit durchgeführten Strafprozess erfolgt. 

Ähnliche Verfehlungen – unterschiedliche Ergebnisse

Zwei BGH-Entscheidungen zu ähnlichen Berichten über ähnliches Fehlverhalten mit unterschiedlichen Ergebnissen: Wie passt das zusammen? Beiden Fällen ist gemein, dass die Berichterstattung ein Thema von erheblichem öffentlichem Interesse zum Gegenstand hatte, aber Personen betraf, die nicht in der breiteren Öffentlichkeit standen. Auch die Schwere der Verfehlungen war ähnlich (wenn auch ein Vergleich der Taten naturgemäß schwerfällt), was an den Sanktionen ablesbar ist: Einmal war ein Bußgeld wegen eines Verstoßes gegen das Zweckentfremdungsverbot verhängt worden, einmal ein Strafbefehl mit Geldstrafe. Letzterer ist beim Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen eine moderate Sanktion, bei der zudem eine öffentliche Hauptverhandlung vermieden wird. In beiden Fällen scheinen die Gewichte der gegenläufigen Interessen auf den ersten Blick also ähnlich zu liegen. Gleichwohl ist der BGH in der Abwägung zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Und das hat wohl mit weiteren Aspekten zu tun, in denen sich die beiden Fälle dann doch unterscheiden:

Zunächst sieht der BGH eine geringere Belastung des Betroffenen bei einer Berichterstattung über ein Verwaltungsverfahren gegenüber einer Berichterstattung über ein Strafverfahren. Das kann man in dieser Allgemeinheit durchaus in Frage stellen; in diesem Zusammenhang mag aber im ersten Fall auch eine Rolle gespielt haben, dass es die Kläger waren, die den Verwaltungsprozess angestrengt hatten, weil sie das Bußgeld wegen Zweckentfremdung nicht zahlen wollten. Vor allem aber ging es um wesentliche Belange der Gesellschaft wie hier den Kampf gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum. Hierzu hat der BGH festgestellt, dass das „Geschäftsmodell“ der Kläger sich nicht nur auf Einzelne, sondern auf die Gemeinschaft schädlich ausgewirkt habe, weil dringend benötigter Wohnraum dem Mietmarkt entzogen und damit die problematische Lage am Wohnungsmarkt verschärft wurde. Hinzu kam, dass die Kläger ihre illegale Praxis trotz Untersagungsbescheid nicht eingestellt hatten. So hatten sie das ohnehin hohe Informationsinteresse an ihren Geschäften und damit auch ihrer Person durch eigenes Verhalten noch gefördert. 

Ähnliche Belange der Gemeinschaft waren im zweiten Fall nicht berührt. Hier kam dann noch der besondere Verbreitungsgrad hinzu. Der Betroffene war Rechtsanwalt und Lokalpolitiker in einer kleinen Gemeinde. Die Berichterstattung hingegen machte ihn im gesamten Großraum Frankfurt identifizierbar, ohne dass ein Strafverfahren mit öffentlicher Hauptverhandlung stattgefunden hätte. Die Sanktion (Strafbefehl über 90 Tagessätze) deutet überdies darauf hin, dass sich die Verfehlung am unteren Rand des Strafwürdigen bewegt hat. All das sind dann doch wesentliche Unterschiede, die die ungleichen Ergebnisse erklären können. 

Praktische Folgen

Aber es sind eben nur Nuancen, und für die journalistische Praxis macht das die Dinge nicht einfacher. Tagesaktuell berichtende Medien müssen in kurzer Zeit entscheiden, ob eine Abbildung verwendet werden darf oder nicht. Hier jeweils eine Abwägung vorzunehmen, bei der eine Vielzahl von Umständen eine Rolle spielen kann, stellt hohe Anforderungen an die Redaktionen und ihre Berater. Sie können immer auch falschliegen. Die Rechtsprechung des BGH zum Bildnisschutz ist mittlerweile zwar ausdifferenziert, kann aber in immer wieder neuen Konstellationen auch nur eine erste Orientierung bieten. So wird es auch weiterhin regelmäßig zu Auseinandersetzungen mit Betroffenen kommen, die eine Berichterstattung über ihre Verfehlungen und sich anschließende Sanktionen nicht hinnehmen möchten. Gerade bei nichtprominenten Personen wird es für die Medien darum gehen, das Gewicht eines Fehlverhaltens richtig einzuschätzen. Und hier lassen sich die beiden BGH-Entscheidungen dann doch auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Je mehr durch einen Rechtsbruch des Betroffenen auch die Interessen der Allgemeinheit tangiert werden, desto größer ist das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und desto eher lässt sich eine identifizierende Berichterstattung rechtfertigen.

Dieser Artikel ist Teil des Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht, welches Sie hier abonnieren können.

Autoren

Foto vonMichael Fricke
Michael Fricke
Partner
Hamburg