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EU-Kartellrecht bekommt umfassendes Update

09/12/2020

Im Jahr 2021 steht eine Reihe wichtiger kartellrechtlicher Normen auf dem Prüfstand der Kommission. Die Kommission überprüft insbesondere, ob und wie die kartellrechtlichen Regeln für Vereinbarungen zwischen Lieferanten und Abnehmern („vertikale Vereinbarungen“) und zwischen Wettbewerbern („horizontale Vereinbarungen“) modernisiert werden müssen. Daneben hat sie auch eine Reform der EU-Fusionskontrolle angekündigt. 

Reform der Vertikal-GVO 

Im Rahmen der Evaluierung der am 31. Mai 2022 auslaufenden Vertikal-GVO hat die Kommission im September 2020 ein „staff working document“ mit den vorläufigen Ergebnissen veröffentlicht. Kernfeststellung: Online-Handel, Plattformen und Internet-Marktplätze haben die Vertriebsmodelle erheblich beeinflusst. Anpassungsbedarf besteht daher bei den Regelungen zu

  • Werbebeschränkungen und „dual pricing“,
  • der Unterscheidung zwischen aktiven und passiven Verkäufen,
  • Online-Handel in selektiven Vertriebssystemen und
  • Internet-Marktplätzen.

Das „staff working document“ zählt eine Reihe weiterer Punkte auf, bei denen die aktuellen Regeln zu unklar, zu kompliziert und in der Praxis schwierig anzuwenden seien. Hier nennt die Kommission Preispflege (RPM), Wettbewerbsverbote und Vertriebsmodelle wie z. B. Franchising und deren Kombination (z. B. gleichzeitiger exklusiver und selektiver Vertrieb).

Die Reform ist nun in der Folgenabschätzungsphase, die im vierten Quartal 2021 abgeschlossen werden soll. 

Reform der Regeln für horizontale Kooperationen

Die für Kooperationen zwischen Wettbewerbern wichtige Forschungs- und Entwicklungs-GVO und die Spezialisierungs-GVO laufen am 31. Dezember 2022 aus. Zur Überprüfung der beiden GVOs sowie der allgemeinen Leitlinien für Kooperationen zwischen Wettbewerbern hat die Kommission im Frühjahr 2020 eine öffentliche Konsultation zum Reformbedarf durchgeführt. Die Stakeholder nannten insbesondere folgende Themen: 

  • Zulässigkeit von Kooperationen im Kontext Sustainability
  • Digitale Wirtschaft: Einfluss von Daten auf Wettbewerb, Datenpooling, Datenverbünde und Algorithmen
  • Plattformen
  • Umgang mit Standard Essential Patents (SEP)
  • Zunahme von Einkaufsallianzen

Ein „staff working document“ mit Ergebnissen der Evaluierung soll im ersten Quartal 2021 folgen.

Reform der Kfz-GVO

Besondere Regelungen für Vereinbarungen im Kraftfahrzeugsektor sieht die Kfz-GVO vor, die im Mai 2023 ausläuft. Die Kommission hat im Dezember 2018 einen Evaluationsprozess gestartet und am 12. Oktober 2020 eine öffentliche Konsultation. Diese endet am 25. Januar 2021.

Reform der Europäischen Fusionskontrolle

Weiter hat die Kommission wichtige Änderungen für die EU-Fusionskontrolle angekündigt

Die erste geplante Änderung betrifft den Anwendungsbereich der EU-Fusionskontrolle. Die Kommission ist mit dem System der Umsatzschwellenwerte, nach dem Brüssel die „großen Fälle“ von Unternehmen mit hohen Umsätzen prüft, weiter zufrieden. Sie sieht aber die Gefahr, dass bestimmte problematische Transaktionen – z. B. der Erwerb von Start-ups in konzentrierten digitalen Märkten – unterhalb der Umsatzschwellenwerte liegen und damit nicht von ihr geprüft werden können. Die Einführung eines Transaktionswert-Schwellenwerts hält sie für keine praktikable Lösung. Stattdessen soll das Zusammenspiel mit den Mitgliedstaaten bei der Fusionskontrolle an einem entscheidenden Punkt modifiziert werden: So sollen die Mitgliedstaaten zukünftig die Möglichkeit erhalten, auch Zusammenschlüsse an die Kommission zu verweisen, die weder die Schwellenwerte der EU-Fusionskontrolle noch die der Fusionskontrolle des verweisenden Mitgliedstaates überschreiten. Dies wäre eine deutliche Änderung der Praxis und könnte den Anwendungsbereich der EU-Fusionskontrolle stark erweitern. Details hierzu, insbesondere zu den Voraussetzungen, sollen Mitte 2021 folgen.

Weiter will die Kommission die Verfahrensregeln vereinfachen, insbesondere durch eine Reduzierung der von den Unternehmen zu liefernden Informationen und eine Verkürzung des informellen Vorverfahrens, das sich in der Praxis über Monate hinziehen kann und so die Verfahren erheblich verlängert. Im Blick hat die Kommission auch eine Nachschärfung der materiellen Zusammenschlusskontrolle, um die Folgen der Digitalisierung und der zunehmenden Konzentration besser zu erfassen. 

Reform der Marktabgrenzung 

Die Kommission prüft außerdem die Marktabgrenzungsbekanntmachung (aus dem Jahr 1997) auf Anpassungsbedarf im Hinblick auf Digitalisierung und Globalisierung. Was nach einer sehr technischen Angelegenheit klingt, kann erhebliche Auswirkungen auf die Zulässigkeit von Kooperationen und Zusammenschlüssen haben, da die Feststellung des relevanten Marktes maßgeblich bestimmt, ob Unternehmen als Wettbewerber gelten und wie hoch ihre Marktanteile sind. Der Evaluationsprozess läuft, die Kommission hat angekündigt, im ersten Quartal 2021 erste Ergebnisse zu veröffentlichen. 


Dieser Artikel ist Teil unserer Mandanteninformation "2021 - Themen, die Sie bewegen werden", welche Sie hier einsehen können.

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