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Fünf Jahre nach Huawei / ZTE – auf dem Weg zur weiteren Klärung der FRAND-Pflichten bei standardessenziellen Patenten

Update Gewerblicher Rechtsschutz & Kartellrecht 04/2021

April 2021

Das Landgericht Düsseldorf hat am 26. November 2020 ein Patentverletzungsverfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zentrale Fragen zur kartellrechtlichen Zwangslizenz an standardessenziellen Patenten (SEP) vorgelegt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde wurde nun zurückgenommen. Der EuGH wird sich daher erneut mit den kartellrechtlichen Zwangslizenzpflichten von SEP-Inhabern befassen.

Das Landgericht Düsseldorf strebt mit seinem Vorlagebeschluss eine Konkretisierung der rechtlichen Anforderungen aus der Entscheidung Huawei / ZTE an. In dieser Entscheidung hatte der EuGH im Jahr 2015 erstmals Verhaltenspflichten für SEP-Inhaber und SEP-Benutzer aufgestellt. Vor dem Hintergrund der Standardessenzialität hat der SEP-Inhaber regelmäßig eine marktbeherrschende Stellung und muss seine SEP unter fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden (englisch: FRAND) Bedingungen lizenzieren. Diese FRAND-Lizenzpflicht ist aber kein Selbstzweck, sondern der SEP-Benutzer muss ebenfalls angemessen an dem zügigen Abschluss einer FRAND-Lizenz mitwirken, insbesondere tatsächlich lizenzwillig sein.

Der Vorlagebeschluss umfasst zwei Fragenkomplexe zur Bewertung der Lizenzbereitschaft eines SEP-Benutzers einerseits und zum FRAND-konformen Verhalten des SEP-Inhabers bei mehrstufigen Lieferketten andererseits.

Hintergrund: Zwangslizenzverpflichtung des SEP-Inhabers

Hintergrund des Vorlagebeschlusses ist die anhaltende Diskussion über die kartellrechtlichen Pflichten von SEP-Inhabern. Bei SEPs handelt es sich um Patente, die Teil eines technischen Standards sind und zwingend benutzt werden müssen, um auf einem Produktmarkt ein (wettbewerbsfähiges) Angebot zu machen. Im Fokus anhängiger Rechtsstreitigkeiten stehen derzeit vor allem Mobilfunkpatente, die für die Kompatibilität mit Mobilfunkstandards wie 3G oder LTE benutzt werden müssen.

Hier entsteht ein Spannungsfeld zwischen den Rechten und Interessen des SEP-Inhabers und denen der SEP-Benutzer. Einerseits vermittelt das Patent seinem Inhaber das Recht, Dritten die Nutzung der patentgeschützten Technologie ohne seine Zustimmung zu untersagen. Andererseits dürfen Zugang zu und Wettbewerbsfähigkeit auf dem standardgebundenen Produktmarkt nicht allein vom Belieben des marktbeherrschenden SEP-Inhabers abhängig sein.

Dieses Spannungsfeld soll dadurch interessengerecht aufgelöst werden, dass beide Seiten Verhaltenspflichten erfüllen, die einen fairen Zugang zu standardisierter Technologie ermöglichen sollen (FRAND-Pflichten).

Verweigert ein SEP-Inhaber einem SEP-Benutzer eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen, obwohl Letzterer seinen FRAND-Pflichten nachgekommen ist, kann er seine Verbietungsrechte gegenüber dem SEP-Benutzer nicht mittels Unterlassungsklage durchsetzen. Erhebt der SEP-Benutzer hiergegen den FRAND-Einwand, wird zumindest der Unterlassungsantrag von deutschen Gerichten als „derzeit unbegründet“ abgewiesen.

FRAND-Pflichten gemäß der Entscheidung Huawei / ZTE des Europäischen Gerichtshofs

Die Voraussetzungen des FRAND-Einwands und die FRAND-Pflichten der Parteien hat der EuGH bereits im Jahr 2015 in der Entscheidung „Huawei / ZTE“ (Urteil vom 16. Juli 2015, Rechtssache C-170/13) – ebenfalls auf eine Vorlage des Landgerichts Düsseldorf hin – verbindlich festgehalten. Zu den vorgerichtlichen FRAND-Pflichten zählen ein Verletzungshinweis des SEP-Inhabers, eine Lizenzbereitschaftserklärung des SEP-Benutzers, ein Lizenzangebot des SEP-Inhabers und ein potenzielles Gegenangebot des SEP-Benutzers. Diese Pflichten stehen in einem Stufenverhältnis. Dies bedeutet, dass eine Partei ihren FRAND-Pflichten dann nachkommen muss, wenn die andere Partei ihre Pflichten auf der vorherigen Stufe erfüllt hat.

Erforderliche Konkretisierung der Anforderungen aus der Entscheidung Huawei / ZTE 

Auch wenn die Huawei / ZTE-Rechtsprechung des EuGH einen grundsätzlichen Rahmen für den FRAND-Einwand geschaffen hat, lässt sie in der Praxis viele Fragen offen. Oft verhalten sich die Parteien nämlich nicht so strukturiert, wie es der EuGH bei wörtlicher Anwendung der Huawei / ZTE-Rechtsprechung vorsieht, sodass sich die Frage stellt, ob FRAND-Pflichten auch in abweichender Form erfüllt werden können.

Eine weitere Klärung dieses Aspekts strebt das Landgericht Düsseldorf mit einem Komplex seiner Vorlagefragen an. Müssen etwa die FRAND-Pflichten zwingend vor Einleitung des Rechtsstreits durchlaufen werden oder können die Parteien versäumte Schritte auch später nachholen? Kann man außerdem schon dann fehlende Lizenzbereitschaft des SEP-Benutzers annehmen, wenn er vorgerichtlich auf einen Verletzungshinweis schweigt oder ein besonders niedriges Lizenzgegenangebot macht?

Diese Fragen sind von besonderer Praxisrelevanz. Sie entscheiden nämlich, wann ein gerichtliches Vorgehen gegen einen unlizenzierten SEP-Benutzer Erfolg versprechend ist und welche Vorbereitungsschritte der SEP-Inhaber wann unternehmen muss.

Kartellrechtliche Zwangslizenz und der FRAND-Einwand bei komplexen Lieferketten

Eine weitere Dimension erhält die Anwendung der Huawei / ZTE-Rechtsprechung bei der Betrachtung mehrstufiger Lieferketten. Die Entscheidung Huawei / ZTE befasst sich nur mit dem bilateralen Verhältnis zwischen einem SEP-Inhaber und einem einzelnen SEP-Benutzer. Fälle, in denen bereits (Vor-)Produkte in der mehrstufigen Lieferkette von einem SEP erfasst sind und die Zulieferer den SEP-Inhaber vergeblich um eine FRAND-Lizenz gebeten haben, sind deutlich komplexer. Diese Problematik tritt besonders in den sogenannten „Connected Car“-Verfahren auf, die in jüngerer Zeit vermehrt vor deutschen Gerichten geführt werden. Die SEP-Inhaber – zum Teil reine Patentverwerter – sind der Auffassung, ihre FRAND-Pflichten zwingen sie nur, überhaupt Zugang zur patentierten standardisierten Technologie zu gewähren. Auf welcher Ebene einer Lieferkette sie die FRAND-Lizenz erteilen, sei ihnen überlassen. Die Hersteller komplexer Endprodukte sind hingegen der Auffassung, der SEP-Inhaber könne nicht einerseits lizenzbereiten Zulieferern eine FRAND-Lizenz verweigern und gleichzeitig die Endproduktehersteller auf Unterlassung in Anspruch nehmen.

Das Landgericht Düsseldorf legt dem EuGH daher auch Fragen zur Lizenzierung in der Lieferkette vor. Konkret fragt es u. a., ob ein Endproduktehersteller einer Klage des SEP-Inhabers die FRAND-Einrede entgegenhalten kann, wenn der SEP-Inhaber einem lizenzwilligen Zulieferer eine FRAND-Lizenz verwehrt. Auch geht das Landgericht in seinen Fragen auf die Bedeutung von Branchengepflogenheiten, einen möglichen Lizenzierungsvorrang und die Erschöpfungswirkung ein.

Diese Fragen haben eine hohe Praxisrelevanz für Branchen, in denen Schutzrechtslizenzen traditionell auf Ebene der Zulieferer genommen werden, weil diese ein „patentverletzungsfreies“ (Vor-)Produkt liefern müssen. Die Relevanz ist nicht nur auf das Feld der „Connected Cars“ beschränkt. Auch in anderen Bereichen des Internet of Things (IoT) müssen sich Hersteller und Zulieferer vormals „analoger“ Produkte inzwischen mit SEP-Lizenzen auseinandersetzen. Im Fokus stehen dabei neben Kommunikations-SEPs auch Themen wie Sensorik, Standards für Stromspeicherung und Ladetechnik sowie Schnittstellentechnologie.

Parallele Konkretisierung der FRAND-Rechtsprechung durch den Bundesgerichtshof

Obwohl der Vorlagebeschluss des Landgerichts Düsseldorf verschiedene Fragenkomplexe enthält, ist eine Konkretisierung der FRAND-Rechtsprechung nicht allein vom EuGH zu erwarten. So verkündete der Bundesgerichtshof (BGH) Mitte und Ende 2020 die viel beachteten Entscheidungen „FRAND-Einwand I und II“, in denen der BGH die FRAND-Pflichten nach der Huawei / ZTE-Rechtsprechung des EuGH selbstständig auslegte und damit zumindest in einzelnen Punkten den deutschen Gerichten höchstrichterliche Orientierungspunkte gab. Anders als das Landgericht Düsseldorf erkannte der BGH keine Grundsatzfragen in Bezug auf die Anforderungen an die Lizenzbereitschaft des SEP-Benutzers, die ihn zu einer eigenen Vorlage an den EuGH verpflichtet hätten. Vielmehr sei dies eine Frage der Interessenabwägung im Einzelfall, welche die nationalen Gerichte im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung selbst entscheiden könnten.

In Kürze dürften weitere maßgebliche Fragen zu den Lizenzierungspflichten von SEP-Inhabern und SEP-Benutzern vor dem BGH landen. So hat etwa das Oberlandesgericht Karlsruhe Ende 2020 in zwei SEP-Verfahren die Revision zum BGH zugelassen, in denen es ebenfalls um die Fragen der Lizenzbereitschaft und der Mitwirkungspflichten des SEP-Benutzers sowie die Nachholbarkeit der FRAND-Pflichten geht.

Auswirkungen und Ausblick

Vor dem Hintergrund der erheblichen Praxisrelevanz ist die Vorlage des Landgerichts Düsseldorf zum EuGH zu begrüßen. Insbesondere die zunehmende Implementierung von SEPs in verschiedenen Feldern des IoT lässt die Lizenzierung in der Lieferkette künftig noch relevanter erscheinen. Eine einheitliche Rechtsanwendung kann hier nur durch konkretere Vorgaben des EuGH sichergestellt werden. Vor dem Hintergrund der Auffassung des BGH, dass die Beurteilung der Lizenzbereitschaft des SEP-Benutzers im Rahmen der Einzelfallabwägung von den nationalen Gerichten selbst entschieden werden kann, setzen die deutschen Gerichte nur sehr zurückhaltend anhängige Verfahren mit Blick auf die Vorlage zum EuGH aus. In der Praxis tendieren jedenfalls die Gerichte an den Hauptpatentstreitorten Düsseldorf und Mannheim dazu, nur solche Verfahren auszusetzen, in denen die Entscheidung explizit von einer Lieferkettenthematik abhängt.  

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Autoren

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Dr. Thomas Hirse
Partner
Düsseldorf
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Sven Krause, LL.M. (Maastricht University)