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Sanktionen und Sammelklagen – EU verschärft Verbraucherschutzrecht

09/12/2020

Mit ihrem „New Deal for Consumers“ hat sich die EU die Modernisierung und weitere Vereinheitlichung des Verbraucherschutzrechts innerhalb Europas zum Ziel gesetzt. Das Maßnahmenpaket besteht aus zwei Regelwerken: Die Ende 2019 in Kraft getretene, auch „Omnibus-Richtlinie“ genannte Richtlinie (EU) 2019/2161 zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union verschärft die bereits bestehenden Anforderungen im Vertrags- und Lauterkeitsrecht und schafft erstmals ein einheitliches Sanktionssystem für Verstöße gegen verbraucherschützende Vorschriften. Die im November erlassene Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher (Verbandsklagerichtlinie) erweitert die Möglichkeiten, gerichtlich gegen Unternehmen vorzugehen, die gegen das unionsrechtliche Verbraucherrecht verstoßen und damit den Kollektivinteressen der Verbraucher schaden.

Künftig hohe Bußgelder für unwirksame AGB-Klauseln und Verletzung von Informationspflichten

Neben zahlreichen inhaltlichen Änderungen, z. B. zu vorvertraglichen Informationspflichten, liegt die wohl wichtigste Neuerung, auf die Unternehmer mit B2C-Geschäft sich im Hinblick auf die Vertragsgestaltung und ihren Außenauftritt gegenüber ihren Kunden einstellen müssen, in einer erheblichen Verschärfung der Sanktionen für Verstöße gegen das Verbraucherschutzrecht. Während bislang bei der Verwendung von unwirksamen AGB-Klauseln oder wettbewerbsrechtlichen Verstößen durch ungenaue oder fehlerhafte Informationen in Deutschland schlimmstenfalls Abmahnungen durch Wettbewerber oder Verbraucherschutzverbände drohten, ordnet die EU nun einen deutlich erweiterten Sanktionsrahmen an. Entsprechend sieht der Referentenentwurf des BMJV zur Umsetzung der Omnibus-Richtlinie in Deutschland für Verstöße gegen bestimmte verbraucherschützende Vorschriften, die sich in verschiedenen EU-Staaten auswirken, künftig Bußgelder von bis zu EUR 100.000 oder – für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als EUR 2,5 Mio. in den betroffenen Staaten – von bis zu 4 % dieses Jahresumsatzes vor. Liegen keine Informationen über den Umsatz vor, sollen Bußgelder von bis zu EUR 2 Mio. verhängt werden können. 

Verträge und Außenauftritt frühzeitig anpassen

Das Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Omnibus-Richtlinie muss bis zum 28. November 2021 abgeschlossen werden. Nach dem Referentenentwurf sollen die geplanten Änderungen am 28. Mai 2022 in Kraft treten. Unternehmen mit B2C-Geschäft sollten das Umsetzungsverfahren aufmerksam verfolgen und ihre Vertragsdokumente sowie ihren Außenauftritt rechtzeitig an die neuen Regelungen anpassen. Auf welche Änderungen sie sich dabei – nicht nur im digitalen Bereich – in 2021 konkret einstellen sollten, beleuchten wir in unserer Blogserie Verbraucherverträge im Digitalzeitalter.

Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher durch EU-Verbandsklagen

Mit der Einführung einer EU-weiten Verbandsklage wird sichergestellt, dass in jedem Mitgliedstaat mindestens ein Verfahren zur Erhebung von Verbandsklagen verfügbar ist. So sollen unerlaubte Praktiken auf dem zunehmend globalisierten und digitalisierten Markt abgewehrt werden.

Im Wesentlichen sieht die Verbandsklagenrichtlinie vor, dass

  • qualifizierte Einrichtungen
  • Klagen gegen Unternehmer erheben können, die gegen verbraucherschützende EU-Vorschriften verstoßen,
  • mit dem Ziel, Unterlassung oder Abhilfe wie Schadensersatz, Reparatur oder Vertragskündigung zu erwirken.

Damit ist der Anwendungsbereich der europäischen Verbandsklage weiter als der der deutschen Musterfeststellungsklage. Künftig werden zum Beispiel Verbraucherorganisationen im Namen von Verbrauchern gegen Unternehmen vorgehen können, die bestimmte Verbraucherschutzvorschriften verletzen. Betroffen sind damit neben dem allgemeinen Verbraucherrecht auch die Bereiche Datenschutz, Finanzdienstleistungen, Reiseverkehr und Tourismus, Energie und Telekommunikation. Für Unternehmen mit B2C-Geschäft steigt damit das Risiko, verklagt zu werden.

Game-Changers: „Discovery“ und „Forum Shopping“

Die Verbandsklagenrichtlinie sieht eine Verpflichtung der Unternehmen zur Offenlegung von Beweismitteln vor, die an das angelsächsische Discovery- oder Disclosure-Verfahren erinnert. Damit soll dem Informationsgefälle zwischen Verbrauchern und Unternehmen entgegengetreten werden, das dadurch entsteht, dass sich bestimmte Beweismittel ausschließlich im Besitz des Unternehmens befinden.

Die Zulässigkeit grenzüberschreitender Verbandsklagen ermöglicht den qualifizierten Einrichtungen – vorbehaltlich der Vorschriften des Internationalen Privat- und Zuständigkeitsrechts –, sich den Gerichtsstand mit den für die Klagepartei attraktivsten Rechtsvorschriften zu suchen. Dieses „Forum Shopping“ wird zudem dadurch begünstigt, dass Unternehmen häufig Tochtergesellschaften in mehreren Ländern haben und regelmäßig Gerichtsstände in zugleich mehreren Ländern in Betracht kommen dürften.

Zeitplan

Ende November hat das Europäische Parlament die Verbandsklagenrichtlinie verabschiedet. Innerhalb von 24 Monaten nach ihrem Inkrafttreten sollen die Mitgliedstaaten die Vorschriften in nationales Recht umgesetzt haben, die dann weitere sechs Monate darauf – voraussichtlich ab Mitte 2023 – Anwendung finden. Unternehmen sollten sich rechtzeitig mit den neuen Verbandsklageregeln vertraut machen und geeignete Mechanismen zur Risikoprävention implementieren.


Dieser Artikel ist Teil unserer Mandanteninformation "2021 - Themen, die Sie bewegen werden", welche Sie hier einsehen können.

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Lars Eckhoff, LL.M. (Victoria University of Wellington)
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Dr. Peter Wende, LL.M. (College of Europe)
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