Home / Veröffentlichungen / 10. GWB-Novelle: Neuerungen im Kartellschadensers...

10. GWB-Novelle: Neuerungen im Kartellschadensersatzrecht

Update Gewerblicher Rechtsschutz & Kartellrecht 04/2021

April 2021

Am 19. Januar 2021 ist die 10. GWB-Novelle in Kraft getreten. Neben einer Überarbeitung des digitalen Kartellrechts, der Umsetzung der europäischen ECN+-Richtlinie und einer Erhöhung der Schwellen für die Fusionskontrolle bringt die 10. GWB-Novelle auch Änderungen im Kartellschadensersatzrecht. Letztere sollen hier kurz vorgestellt, ihre Bedeutung und Praxisrelevanz sollen skizziert und ein Ausblick soll gewagt werden.

Überblick über die Änderungen zum Kartellschadensersatzrecht

§ 33 a Abs. 2 GWB regelte bisher, dass widerleglich vermutet wird, dass ein Kartell allgemein einen Schaden verursacht. Mit der 10. GWB-Novelle neu ins Gesetz eingefügt wurde Satz 4 zu § 33 a Abs. 2 GWB. Danach wird widerleglich vermutet, dass Rechtsgeschäfte über Waren oder Dienstleistungen mit kartellbeteiligten Unternehmen, die sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich eines Kartells fallen, von diesem Kartell erfasst waren.

Auch bei mittelbaren Abnehmern wurde bisher nach § 33 c Abs. 3 GWB – bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen – widerleglich vermutet, dass das Kartell allgemein einen Schaden verursacht. Das gilt nunmehr auch im Hinblick auf die kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche von mittelbaren Abnehmern von kartellbeteiligten Unternehmen, heißt es in dem neuen § 33 c Abs. 3 Satz 2 GWB.

§ 186 Abs. 4 GWB wurde durch die 10. GWB-Novelle ergänzt und ordnet die zeitliche Anwendbarkeit von § 33 g GWB unabhängig vom Zeitpunkt der Entstehung des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs an. Diese sind nun unabhängig vom Zeitpunkt der Entstehung der Schadensersatzansprüche nur in Rechtsstreiten anzuwenden, in denen nach dem 26. Dezember 2016 Klage erhoben worden ist.

Nach § 89 b Abs. 5 Satz 1 GWB haben die Gläubiger kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche einen Anspruch auf Herausgabe der Entscheidung der Kartellbehörde, wenn der Gläubiger die Voraussetzungen des § 33 g GWB darlegen kann. Die Durchsetzung dieses Anspruchs kann der Gläubiger dann im Verfahren der einstweiligen Verfügung geltend machen Nach dem neuen § 89 b Abs. 5 GWB ist keine Eilbedürftigkeit mehr erforderlich.

Für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen der Unternehmen kann das Gericht nach § 89 b Abs. 7 Satz 2 GWB nun einen öffentlich bestellten Sachverständigen mit einem Gutachten zu dem erforderlichen Umfang des im Einzelfall gebotenen Schutzes beauftragen.

Bedeutung und Praxisrelevanz der Änderungen

Bereits mit der 9. GWB-Novelle wollte der Gesetzgeber den Gläubigern der kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche die Darlegung von Schaden und Kausalität erleichtern. Jedoch blieb der Gesetzgeber – aus Sicht der 10. GWB-Novelle – (wohl ungewollt) auf der Hälfte des Weges stehen. So wurde mit der 9. GWB-Novelle zwar die widerlegliche gesetzliche Vermutung eingeführt, dass ein Kartell zu einem Schaden führt, und eine Legaldefinition des Kartells in das GWB aufgenommen. Eine gesetzliche Vermutung dafür, dass Umsatzgeschäfte eines Abnehmers mit dem kartellbeteiligten Unternehmen auch von dem Kartell betroffen waren, fehlte vor der 10. GWB-Novelle. Seinen kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch hat ein Gläubiger nämlich erst dargelegt, wenn er neben der Eignung des Kartells zur Schadensentstehung auch nachweist, dass seine Umsatzgeschäfte von dem Kartell betroffen waren. Hierfür hat die 10. GWB-Novelle nun eine widerlegliche Vermutung eingeführt.

Damit müssen ab Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle, also für nach dem Inkrafttreten entstandene kartellrechtliche Schadensersatzansprüche, nicht mehr die Gläubiger darlegen, dass das Kartell einen Schaden herbeiführte und dass ihre Umsatzgeschäfte von dem Kartell betroffen waren – vielmehr müssen ab diesem Zeitpunkt die kartellbeteiligten Unternehmen die gesetzliche Vermutung für das Vorliegen dieser beiden Tatbestandsmerkmale widerlegen. Nachweisschwierigkeiten und Beweisprobleme bei dieser Widerlegung gehen zulasten der kartellbeteiligten Unternehmen. Dies stellt selbst im Vergleich zu dem vom BGH festgelegten Beweismaßstab des § 287 Abs. 1 ZPO („überwiegende Wahrscheinlichkeit“) für die Darlegung der Betroffenheit der Umsatzgeschäfte eine Verbesserung für die Gläubiger kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche dar. Musste das Gericht nach der alten Rechtslage die Klage auf kartellrechtlichen Schadensersatz abweisen, wenn es die Betroffenheit der Umsatzgeschäfte nicht für überwiegend wahrscheinlich hielt, muss ein Gericht nun von der Betroffenheit der Umsatzgeschäfte ausgehen, wenn die kartellbeteiligten Unternehmen die vermutete Betroffenheit der Umsatzgeschäfte nicht widerlegen können.

Zu beachten bleibt, dass die neuen Regelungen der 9. und 10. GWB-Novelle zur gesetzlichen Vermutung für Schadensentstehung und Betroffenheit der Umsatzgeschäfte erst ab ihrem jeweiligen Inkrafttreten gelten. Daher können diese gesetzlichen Vermutungen nicht auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche angewendet werden, die vor dem Inkrafttreten der gesetzlichen Vermutungen mit der 9. und 10. GWB-Novelle entstanden sind. Deswegen haben diese gesetzlichen Vermutungen für die gegenwärtig rechtshängigen kartellrechtlichen Schadensersatzklagen noch keine Bedeutung.

Mit der Neufassung des § 186 Abs. 4 GWB stellt der Gesetzgeber der 10. GWB-Novelle klar, dass der Anspruch aus § 33 g GWB unabhängig davon besteht, wann der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch entstanden ist. Damit wird eine Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 3. April 2018, Az. VI-W [Kart] 2/18) revidiert. Nach dem OLG Düsseldorf war § 33 g GWB in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar, wenn der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch vor Inkrafttreten des § 33 g GWB entstanden war. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf war § 33 g GWB ein materiellrechtlicher Anspruch, der vor seinem Inkrafttreten nicht anwendbar sein konnte.

Nun können Gläubiger kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche auf Grundlage des § 33 g GWB von kartellbeteiligten Unternehmen Informationen und Auskünfte verlangen, wenn sie ihren kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch glaubhaft machen. Da § 33 g GWB auch den kartellbeteiligten Unternehmen einen Anspruch auf Herausgabe von Beweismitteln gewährt, können auch sie von nun an die zur Verteidigung gegen einen kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch relevanten Informationen herausverlangen. Anspruchsgegner können neben dem Gläubiger kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche auch am Kartell nicht beteiligte Dritte sein.

Die Neufassung des § 89 b Abs. 5 Satz 2 GWB dient der Korrektur zweier Entscheidungen des OLG Düsseldorf (der bekannte Beschluss vom 3. April 2018 und der Beschluss vom 7. Mai 2018, jeweils VI-W [Kart] 2/18). Das OLG Düsseldorf legte § 89 b Abs. 5 Satz 1 GWB dahingehend aus, dass sich zwar das Beweismaß für den Verfügungsanspruch und den Verfügungsgrund nach §§ 935, 940 ZPO richtet – die Dringlichkeit als Verfügungsgrund für eine einstweilige Verfügung musste von dem Gläubiger eines Anspruchs nach § 33 g GWB trotzdem dargelegt werden. Nun stellt § 89 b Abs. 5 Satz 2 GWB klar, dass es der Darlegung der Eilbedürftigkeit als Verfügungsgrund nicht bedarf. Für den Erlass der einstweiligen Verfügung zur Herausgabe der Entscheidung der Kartellbehörde muss der Gläubiger nach Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle nur den Verfügungsanspruch glaubhaft machen.

Die Einfügung in § 89 b Abs. 7 Satz 2 GWB ermöglicht es dem Gericht, einen Sachverständigen mit der Prüfung der erforderlichen Geheimhaltungsmaßnahmen für die herauszugebenden Informationen zu betrauen. Dieser Sachverständige soll, soweit er berufsrechtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, den Umfang des erforderlichen Geheimnisschutzes prüfen. Auf Grundlage der empfohlenen Schutzmaßnahmen des Sachverständigen kann das Gericht den Gläubigern kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche Einsicht auch in geheime Informationen der kartellbeteiligten Unternehmen gewähren. Gleichzeitig kann das Gericht durch die empfohlenen Schutzmaßnahmen des Sachverständigen Sorge dafür tragen, dass der Gläubiger die an ihn herausgegebenen geheimen Informationen nur zur Durchsetzung seines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs verwendet, ansonsten geheim hält und nicht an Dritte weitergibt.

Ausblick

Der Gesetzgeber der 10. GWB-Novelle hat jetzt auch eine widerlegliche Vermutung für die Betroffenheit der Umsatzgeschäfte von dem Kartell eingeführt. Jedoch hatten die Gerichte schon bisher keine großen Schwierigkeiten, die Betroffenheit der Umsatzgeschäfte zu bejahen, wenn feststand, auf welchen relevanten Markt sich das Kartell ausgewirkt hatte und dass sich die bezogenen Produkte in den sachlichen, räumlichen und zeitlichen Bereich dieses Kartells einfügten. Eine substanzielle Erleichterung bei der Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche dürfte mit dieser gesetzlichen Vermutung daher nicht einhergehen.

Abzuwarten bleibt, wie die Gerichte mit dem Informationsherausgabeanspruch umgehen werden. Bisher waren die Gerichte bei der Gewährung von Informationsansprüchen recht zögerlich. Jetzt können die Gerichte den Informationsherausgabeanspruch nicht mehr wegen einer etwaigen zeitlichen Unanwendbarkeit der Norm zurückweisen. Ob die Ansprüche künftig vermehrt zugesprochen werden, bleibt abzuwarten – ob die erhaltenen Informationen den Gläubigern zu einer effektiveren Durchsetzung ihrer kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche verhelfen oder ob die kartellbeteiligten Unternehmen mit den erhaltenen Informationen sich effektiver gegen die geltend gemachten Ansprüche verteidigen können, ist eine spannende Frage des Kartellschadensersatzrechts.

Genauso bleibt abzuwarten, welchen Vorteil die Gläubiger kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche von der Herausgabe der Entscheidung der Kartellbehörde nach § 89 b Abs. 5 GWB haben werden. § 89 b Abs. 6 GWB sieht vor, dass auch geheime Informationen herausverlangt werden können. Damit könnten die Gläubiger kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche eine ungeschwärzte Entscheidung der Kartellbehörde erhalten. Es kann auch nur schwer vorhergesehen werden, ob die Gerichte den Geheimhaltungsinteressen der kartellbeteiligten Unternehmen nun noch den Vorzug vor der Herausgabe von ungeschwärzten kartellbehördlichen Entscheidungen geben können und ob die Gerichte bei der Gewährung geheimer Informationen wegen eines eingeholten Sachverständigengutachtens nach § 89 b Abs. 7 Satz 2 GWB großzügiger werden.

Dieser Artikel ist Teil des Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht, welches Sie hier abonnieren können.

Autoren

Foto vonMartin Cholewa
Martin Cholewa
Counsel
Stuttgart