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Update Commercial 12/2020

Dezember 2020

Während die zweite Welle der COVID-19-Pandemie unser tägliches Leben mehr und mehr beschränkt, befassen sich auch die Gerichte zunehmend mit der Frage, wie sich die COVID-19-Pandemie und die zu ihrer Eindämmung getroffenen Maßnahmen auf Vertragsbeziehungen auswirken. Erste Entscheidungen bestätigen: Bei der COVID-19-Pandemie kann es sich um „höhere Gewalt“ handeln. 

Zum Jahresende droht vielen Ansprüchen die Verjährung. Die Einholung eines Verjährungsverzichts kann hier Luft verschaffen, gerade auch in Pandemie-Zeiten, birgt bei ungenauer Formulierung aber auch Risiken. Eine Auslegungshilfe bietet eine kürzlich ergangene BGH-Entscheidung. 

Und auch für das neue Jahr zeichnen sich neue (rechtliche) Herausforderungen ab. Neue EU-Vorgaben zum Verbraucherschutzrecht machen Änderungen auch im deutschen Recht erforderlich. Nun liegen erste Entwürfe für die Umsetzung der Omnibus-Richtlinie zur besseren Durchsetzung und Modernisierung von Verbraucherschutzvorschriften und zur Neuregelung für Verträge über digitale Inhalte vor. Unternehmen mit B2C-Geschäft sollten sich frühzeitig mit dem Thema befassen, da Verstöße künftig hohe Bußgelder nach sich ziehen können. 

Inhalt

Im Folgenden finden Sie die Themen des Newsletters.

Aktuelle Rechtsprechung

Gesetzgebung und Trends

Bei Interesse können Sie das Update Commercial hier abonnieren.


Aktuelle Informationen zu COVID-19 finden Sie in unserem Corona Center. Wenn Sie Fragen zum Umgang mit der aktuellen Lage und den Auswirkungen für Ihr Unternehmen haben, sprechen Sie unser CMS Response Team jederzeit gerne an.


Aktuelle Rechtsprechung

Kein genereller Auskunftsanspruch über Rohertrag des Unternehmers zur Berechnung des Handelsvertreterausgleichs

(BGH, Urteil v. 24. September 2020 – VII ZR 69/19)

  • Handelsvertreter oder Vertragshändler können zur Vorbereitung eines Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB (analog) nicht grundsätzlich Auskunft über die vom Unternehmer erzielten Gewinnmargen verlangen. Der Deckungsbeitrag I (sog. Rohertrag) stellt nach einer Entscheidung des BGH keine taugliche Basis für die Berechnung der für den Ausgleichsanspruch maßgeblichen Unternehmervorteile dar.
  • Damit hob der BGH ein Urteil des OLG Frankfurt auf, das den Rohertrag noch als geeignete Berechnungsgrundlage angesehen und daher einen entsprechenden Auskunftsanspruch angenommen hatte (wir berichteten im Update Commercial 10/2019).
  • Nach Ansicht des BGH bestehen die für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs maßgeblichen Unternehmervorteile i. S. d. § 89b HGB – auch nach der Zielsetzung der der Vorschrift zugrundeliegenden Handelsvertreter-Richtlinie und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH – darin, die vom Handelsvertreter oder Vertragshändler geschaffenen Geschäftsverbindungen nach Beendigung des Vertrags weiterhin nutzen zu können. Es gehe damit um eine Bewertung dieses vom Handelsvertreter oder Vertragshändler geschaffenen Kundenstamms („Goodwill“). 
  • Die vom Unternehmer insgesamt mit dem Vertrieb erzielbare Gewinnmarge sei mit diesem „Goodwill“ aber nicht identisch. Auch bestehe kein Erfahrungssatz, dass dem vom Vertriebspartner geschaffenen Kundenstamm ein objektiv zu ermittelnder, bestimmter Bruchteil des mit dem vom Vertragshändler vertriebenen Produkt insgesamt erzielten Rohertrags zugeordnet werden könne. 

Praxistipp: Diese Klarstellung des BGH ist aus Unternehmersicht zu begrüßen, da ein Auskunftsanspruch auch über die erzielten Roherträge regelmäßig zu einer Verpflichtung führen würde, interne Kalkulationen vollständig offenzulegen. Es bleibt daher grundsätzlich dabei, dass zunächst einmal die Vermutung gilt, dass die Unternehmervorteile zumindest den dem Vertriebspartner entgangenen Provisionen / Rabatten entsprechen. Zwar stellt der BGH in seiner Entscheidung auch klar, dass es durchaus Fälle geben kann, in denen ein Handelsvertreter oder Vertragshändler weitergehende Auskünfte vom Unternehmer verlangen kann. Hierfür ist es jedoch erforderlich, dass der Vertriebspartner konkrete Anhaltspunkte dafür darlegt, dass die Unternehmervorteile die ihm entgehenden Provisionsverluste übersteigen, was die Hürden für ein entsprechendes Auskunftsverlangen erhöht.

Nähere Informationen hierzu finden Sie auch in unserem Blogbeitrag Kein Auskunftsanspruch des Vertriebspartners hinsichtlich Deckungsbeitrag I.

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Kein Widerrufsrecht bei personalisierten Waren

(EuGH, Urteil v. 21. Oktober 2020 – C-529/19)

  • Der Grundsatz, dass bei der Lieferung von Waren, die nach Kundenspezifikation angefertigt werden oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten sind, kein Widerrufsrecht besteht, auch wenn der entsprechende Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurde, gilt unabhängig davon, ob der Unternehmer bereits mit der Herstellung der Ware begonnen hat oder nicht.  
  • Das AG Potsdam hatte dem EuGH unter Verweis auf eine ältere Rechtsprechung des BGH, nach der das Widerrufsrecht dann nicht ausgeschlossen sei, wenn sich Ware ohne Einbußen der Substanz und Funktionsfähigkeit mit verhältnismäßig geringem Aufwand wieder in den Zustand vor der Individualisierung versetzen lasse (BGH, Urteil v. 19. März 2003 – VIII ZR 295/01), die Frage vorgelegt, ob nach der europäischen Verbraucherrechte-Richtlinie das Widerrufsrecht auch dann ausgeschlossen sei, wenn zwar Waren nach Kundenspezifikation angefertigt werden, der Verkäufer aber noch nicht mit der Anfertigung begonnen hat, und ob es darauf ankomme, ob sich die Waren mit nur geringen Rückbaukosten (etwa 5 Prozent des Warenwerts) wieder in den Zustand vor der Individualisierung versetzen lassen.
  • Der EuGH urteilte zugunsten der Unternehmer, dass der Ausschluss des Widerrufsrechts für personalisierte Waren uneingeschränkt gelte, da diese Ausnahme vom gesetzlichen Widerrufsrecht nicht von irgendeinem nach Vertragsschluss eintretenden Ereignis abhänge. Das Bestehen des Widerrufsrechts des Verbrauchers an ein zukünftiges Ereignis zu knüpfen, dessen Eintritt von der Entscheidung des Unternehmers abhängt, wäre zudem auch mit der gesetzlichen Pflicht des Unternehmers, den Verbraucher vor Vertragsschluss über das Bestehen eines Widerrufsrechts zu informieren, unvereinbar.

Praxistipp: Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit für Anbieter von Waren, die speziell nach Spezifikationen von Verbrauchern angefertigt werden oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse von Verbrauchern zugeschnitten sind – und zwar wohl auch unabhängig vom Grad der Individualisierung im konkreten Fall. Denn auch wenn sich der EuGH zum zweiten Teil der Vorlagefrage, ob der Ausschluss des Widerrufsrechts – wie vor Inkrafttreten der Verbraucherrechte-Richtlinie vom BGH angenommen – auch davon abhängen soll, ob sich die Ware mit geringem Aufwand wieder in den Zustand vor der Individualisierung versetzen lässt, in seiner Entscheidung nicht direkt äußerte, lässt sich das Urteil dahingehend interpretieren, dass es auch nicht auf das Ausmaß des erforderlichen „Rückbauaufwands“ ankommt. Insofern dürfte das vor Inkrafttreten der Verbraucherrechte-Richtlinie ergangene BGH-Urteil (s. o.) überholt sein. 

Mehr hierzu erfahren Sie auch in unserem Blogbeitrag Individualität verpflichtet – Ausschluss des Widerrufsrechts bei individuell angefertigten Waren.

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Verjährungsverzicht umfasst im Zweifel auch konkurrierende Ansprüche

(BGH, Urteil v. 1. Oktober 2020 – IX ZR 247/19)

  • Eine nicht formularmäßige Verjährungsvereinbarung über einen bestimmten Anspruch oder ein einseitig erklärter Verzicht auf die Verjährungseinrede umfasst einer Entscheidung des BGH zufolge im Zweifel auch solche Ansprüche, die mit dem Anspruch konkurrieren oder wirtschaftlich an dessen Stelle treten, wenn nicht durch Auslegung ein gegenteiliger Wille der Parteien ermittelt wird. Dies gilt auch unabhängig davon, ob diese Ansprüche einen einheitlichen Streitgegenstand bilden oder nicht.  
  • Da ein Schuldner durchaus ein Interesse daran haben könne, auf die Erhebung der Verjährungseinrede nur hinsichtlich einer Anspruchsgrundlage zu verzichten, sei zwar auch bei einem einheitlichen Streitgegenstand nicht automatisch davon auszugehen, dass ein Verjährungsverzicht beide Anspruchsgrundlagen erfasse. 
  • In der Gesetzesbegründung zu § 202 BGB, der die grundsätzliche Zulässigkeit von Vereinbarungen über die Verjährung regelt, werde aber betont, eine individuell vereinbarte Verjährungsvereinbarung über einen Anspruch werde sich in der Regel auch auf solche Ansprüche erstrecken, die mit dem Anspruch konkurrieren oder wirtschaftlich an dessen Stelle treten. Dem sei jedenfalls als Zweifelsregelung zuzustimmen, wenn nicht durch Auslegung ein gegenteiliger Wille der Parteien ermittelt wird. 

Praxistipp: Gerade zum Jahresende, wenn aufgrund der gesetzlichen Regelfristen viele Forderungen zu verjähren drohen, eine gütliche Einigung aber voraussichtlich nicht mehr rechtzeitig erzielt werden kann, ist die Einholung eines (einseitigen) Verjährungsverzichts oder der Abschluss einer (wechselseitigen) Vereinbarung über die Verjährung ein geeignetes Mittel, um anderenfalls zur Verjährungshemmung erforderliche gerichtliche Maßnahmen „in letzter Minute“ zu vermeiden. Bei der Formulierung solcher Erklärungen ist jedoch Vorsicht geboten, damit es später nicht zu zusätzlichen Auseinandersetzungen um die Auslegung kommt. Ist unklar, welche Ansprüche von einem Verzicht umfasst sein sollen, kann die Entscheidung des BGH hier künftig eine Auslegungshilfe bieten. Da es sich bei der Vermutung aber nur um eine Zweifelsregelung handelt und bei der Beurteilung – wie bei allen Auslegungsfragen – verschiedene Aspekte eine Rolle spielen können, empfiehlt es sich, die Verzichtserklärung so genau wie möglich zu formulieren, um einem bösen Erwachen im neuen Jahr vorzubeugen. 

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Kein Widerruf von (Verbraucher-)Bürgschaften 

(BGH, Urteil v. 22. September 2020 – XI ZR 219/19)

  • Der BGH hat unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung zu dieser Frage entschieden, dass Bürgschaften von Verbrauchern gegenüber Unternehmern nicht als „Verbrauchervertrag“ i. S. d. § 312 Abs. 1 BGB anzusehen sind und daher kein Widerrufsrecht des Bürgen besteht, auch wenn die Unterzeichnung außerhalb von Geschäftsräumen des Bürgschaftsnehmers erfolgt ist. 
  • Nach § 312 Abs. 1 BGB in seiner seit 2014 geltenden Fassung liegt ein Verbrauchervertrag vor, wenn dieser eine „entgeltliche Leistung des Unternehmers“ zum Gegenstand hat. Es war daher bislang in der obergerichtlichen Rechtsprechung ungeklärt, ob Bürgschaftsverträge in den Anwendungsbereich dieser Regelung fallen, da sie lediglich den Bürgen einseitig zur Leistung verpflichten. 
  • Während der BGH vor der Neufassung der Vorschrift zur Umsetzung der Verbraucherrechte-Richtlinie noch davon ausgegangen war, dass ein Widerruf der Bürgschaftserklärung bei sog. Haustürgeschäften möglich sei, hat er diese Rechtsprechung nun ausdrücklich aufgegeben. Eine Vorlage an den EuGH hielt der BGH nicht für erforderlich, da die Vorgaben der Verbraucherrechte-Richtlinie insoweit eindeutig seien. 

Praxistipp: Die ausführlich begründete Entscheidung des BGH bringt Klarheit in einer lange umstrittenen Frage. Die Bestätigung des BGH, dass seit der Umsetzung der Verbraucherrechte-Richtlinie Bürgschaften von Verbrauchern (worunter insbesondere auch Geschäftsführer- oder Gesellschafterbürgschaften fallen können) nicht mehr unter Berufung auf ein gesetzliches Widerrufsrecht gelöst werden können, sollte noch einmal den Blick dafür schärfen, dass die Übernahme einer derartigen Verantwortung wohlüberlegt werden sollte. 

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Die COVID-19-Pandemie als höhere Gewalt – erste Gerichtsentscheidungen

(LG Paderborn, Urteil v. 25. September 2020 – 3 O 261/20)

  • Die Frage, wie sich der Ausbruch der COVID-19-Pandemie auf vertraglich vereinbarte Leistungspflichten auswirkt, hat in diesem Jahr zahlreiche Unternehmen umgetrieben und beschäftigt mittlerweile auch zunehmend die Gerichte. In einem der ersten Urteile zu dieser Frage hat nun das LG Paderborn die COVID-19-Pandemie ausdrücklich als ein Ereignis höherer Gewalt eingeordnet. 
  • Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Vertrag zwischen einer Veranstaltungsagentur und ihrem Auftraggeber enthielt eine Force-Majeure-Klausel, die vorsah, dass die gegenseitigen Leistungspflichten der Parteien entfallen, wenn die geplante Veranstaltung aufgrund höherer Gewalt nicht stattfinden sollte. Das LG Paderborn ordnete die COVID-19-Pandemie ausdrücklich als ein solches Ereignis höherer Gewalt ein und verwies dazu auf frühere Rechtsprechung zu Epidemien, die vor allem im Bereich des Reiserechts ergangen waren. 
  • Die COVID-19-Pandemie und ihre Folgen stellen ein von außen kommendes, betriebsfremdes und somit außerhalb des Einflussbereichs der Vertragsparteien liegendes Ereignis dar, das – weil es eine Pandemie solchen Ausmaßes noch nie gegeben habe – für den Einzelnen auch unvorhersehbar gewesen sei. Außerdem sei sie selbst bei Anwendung äußerst vernünftigerweise zu erwartender Sorgfalt für den Einzelnen nicht abwendbar gewesen.

Praxistipp: Die Entscheidung bestätigt die Einschätzung, dass die COVID-19-Pandemie grundsätzlich als ein Ereignis höherer Gewalt anzusehen ist, das von keiner Vertragspartei zu verantworten ist. Welche Folgen dies für ein bestimmtes Vertragsverhältnis hat, lässt sich allerdings nicht pauschal beantworten, sondern hängt von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere der Vertragsgestaltung. Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat dabei gezeigt, dass die Aufnahme spezieller Regelungen zu höherer Gewalt bzw. „Force Majeure“ sinnvoll sein kann. Worauf bei der Gestaltung solcher Vertragsklauseln – auch im Hinblick auf die mittlerweile bekannten Risiken weiterer Beeinträchtigungen durch COVID-19 – besonderes Augenmerkt gelegt werden sollte, haben wir in unserem Beitrag Force Majeure bei Neuverträgen – worauf beim Neuabschluss von Verträgen jetzt besonders zu achten ist näher erläutert. Einen Überblick über die Bedeutung von Force Majeure sowie Hinweise und Handlungsempfehlungen für insgesamt 28 Länder bietet auch unser CMS Expert Guide to Force Majeure.

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Gesetzgebung und Trends

Referentenentwurf zur Neuregelung für Verträge über digitale Produkte vorgelegt

(Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen)

  • Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) hat im November einen Referentenentwurf vorgelegt, mit dem die Richtlinie (EU) 2019/770 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen (dID-Richtlinie, siehe dazu den Beitrag im Update Commercial 06/2019) in das deutsche Recht umgesetzt werden soll. Hierfür soll das BGB um ein eigenes Kapitel mit dem Titel „Verträge über digitale Produkte“ ergänzt werden. 
  • Die neuen Regelungen sollen nach dem Entwurf ausschließlich für Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern über die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen („digitale Produkte“) gegen Entgelt oder über die Übermittlung personenbezogener Daten gelten. Für den B2B-Bereich ist ein Unternehmerregress (vergleichbar mit den Regelungen zum Verbrauchsgüterkauf) vorgesehen. 
  • Werden digitale Produkte nicht oder nicht vertragsgemäß bereitgestellt, soll der Verbraucher – ähnlich wie im Kaufrecht – Nacherfüllung verlangen, mindern oder den Vertrag beenden und (bei Verschulden des Unternehmers) ggf. Schadenersatz verlangen können. Für digitale Produkte wird dabei ein eigenständiger Mangelbegriff mit einem Katalog von subjektiven und objektiven Anforderungen eingeführt. Entscheidend für die Beurteilung, ob ein digitales Produkt mangelhaft ist, sind danach u. a. Funktionalität, Kompatibilität und Interoperabilität des Produkts. 
  • Ausdrücklich vorgesehen ist auch eine Aktualisierungspflicht des Unternehmers. Er hat danach sicherzustellen, dass den Verbrauchern für einen Zeitraum, in dem diese dies unter Berücksichtigung von Art und Zweck des digitalen Produkts und der Umstände des Vertrags erwarten können, Aktualisierungen, die zum Erhalt der Vertragsmäßigkeit des digitalen Produkts erforderlich sind (insbesondere Sicherheitsupdates), bereitgestellt werden. 
  • Der Referentenentwurf sieht – entsprechend den (Mindest-)Vorgaben der dID-Richtlinie – eine Beweislastumkehr zulasten des Unternehmers für Mängel vor, die innerhalb eines Jahres oder während der vereinbarten Bereitstellungsdauer auftreten. Und auch im Hinblick auf die Verjährung müssen sich Unternehmer im Vergleich zum Verbrauchsgüterkauf auf längere Fristen einstellen: Die zweijährige Verjährungsfrist beginnt u. U. erst mit Ablauf des vereinbarten Bereitstellungszeitraums und für Verletzungen der Aktualisierungspflicht erst mit deren (im Referentenentwurf nicht klar definierten) Ende. Zudem ist für Mängel, die sich erst kurz vor Ende der Verjährungsfrist zeigen, ein „Puffer“ von bis zu zwei Monaten vorgesehen. 

Praxistipp: Das Gesetzgebungsverfahren steht zwar noch an seinem Anfang. Da es sich bei den Neuregelungen aber um zwingende europäische Vorgaben handelt, ist davon auszugehen, dass die Änderungen in dieser oder ähnlicher Form verabschiedet werden. Nach den Vorgaben der dID-Richtlinie muss das Umsetzungsverfahren bis zum 1. Juli 2021 abgeschlossen sein. Die Neuregelungen sollen dann am 1. Januar 2022 in Kraft treten und für alle Verbraucherverträge über die Bereitstellung digitaler Produkte gelten, die ab diesem Zeitpunkt abgeschlossen werden oder bei denen die vertragsgegenständliche Bereitstellung der Produkte erst nach dem 1. Januar 2022 erfolgt. Unternehmer, die digitale Produkte im Sinne des Referentenentwurfs an Verbraucher anbieten, sollten sich daher rechtzeitig mit den anstehenden Änderungen vertraut machen und ihr Geschäftsmodell und ihre Vertragsdokumente diesbezüglich auf den Prüfstand stellen. 

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Neuregelungen im Verbraucherrecht – die Umsetzung des „New Deal for Consumers“ in das deutsche Recht

(Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche in Umsetzung der EU-Richtlinie zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union; Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht)

  • Ebenfalls Anfang November hat das BMJV seine Pläne für die Umsetzung der im Rahmen der europäischen Initiative „New Deal for Consumers“ erlassenen „Omnibus-Richtlinie“ (Richtlinie (EU) 2019/2161 zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union, siehe dazu auch unseren Beitrag im Update Commercial 02/2020) vorgelegt. Hierfür ist eine Anpassung des BGB und des EGBGB sowie des UWG und der Gewerbeordnung vorgesehen.
  • Die Neuregelungen im vertragsrechtlichen Bereich enthalten u. a. geänderte Informationspflichten für Unternehmer im Onlinehandel (sowie bei Nutzung anderer Fernabsatzkanäle) und bei der Bereitstellung digitaler Produkte. So müssen Verbraucher beispielsweise künftig gesondert darauf hingewiesen werden, wenn personalisierte Preise angeboten werden. Besonders in die Pflicht genommen werden auch Betreiber von Online-Marktplätzen: Diese müssen die Verbraucher künftig u. a. über die wesentlichen Parameter für das Zustandekommen von Suchrankings und über Maßnahmen zur Authentizitätsprüfung von Verbraucherbewertungen informieren. 
  • Im Wettbewerbsrecht soll – entsprechend den Vorgaben der Omnibus-Richtlinie – die „Blacklist“ der stets als unlauter anzusehenden Geschäftspraktiken im UWG erweitert werden. Neu hinzukommen soll dort u. a. die Anzeige verdeckter Werbung in Online-Suchergebnissen, die Irreführung über die Echtheit von Verbraucherbewertungen oder die Übermittlung oder Beauftragung von gefälschten Verbraucherbewertungen. Ebenfalls neu eingeführt werden soll ein sog. Dual-Quality-Verbot. Verbraucher sollen bei schuldhaften Verstößen des Unternehmers gegen verbraucherschützende Vorschriften des UWG künftig Schadenersatzansprüche geltend machen können. Über die Anforderungen der Omnibus-Richtlinie hinaus sind in dem Referentenentwurf zudem Verschärfungen der Regelungen zu sog. „Kaffeefahrten“ und gesetzliche Klarstellungen zum Thema „Influencer-Marketing“ vorgesehen. 
  • Die neuen Bußgeldvorgaben der Omnibus-Richtlinie sollen nach den Referentenentwürfen so schonend wie möglich umgesetzt werden. Aufgrund der zwingenden Regelungen der Richtlinie bedeutet dies aber trotzdem, dass bei Verstößen gegen das Verbraucherschutzrecht, die sich in mehreren EU-Staaten auswirken (wozu auch die Verwendung bestimmter unwirksamer AGB-Klauseln gegenüber Verbrauchern gehören soll), künftig Bußgelder von bis zu EUR 100.000 oder – für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über EUR 2,5 Mio. in den betroffenen Staaten – von bis zu 4 Prozent dieses Jahresumsatzes verhängt werden können.    

Praxistipp: Nach den Referentenentwürfen sollen die Änderungen, wie von der Omnibus-Richtlinie vorgesehen, am 28. Mai 2022 in Kraft treten. Doch auch in diesem Bereich sollten sich Unternehmen mit B2C-Geschäft frühzeitig auf die zu erwartenden Neuregelungen einstellen. Da bei Verstößen gegen das Verbraucherrecht künftig (anders als nach der bisherigen Rechtslage) nicht nur Abmahnungen von Wettbewerbern oder Verbraucherschutzverbänden drohen, sondern bei bestimmten grenzüberschreitenden Verstößen auch Bußgelder verhängt werden können, empfiehlt es sich, den eigenen Außenauftritt gegenüber Verbrauchern sowie die verwendeten Vertragsdokumente rechtzeitig vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderungen insgesamt noch einmal auf den rechtlichen Prüfstand zu stellen. 

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Die 10. GWB-Novelle kommt

(Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 und anderer wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen – GWB-Digitalisierungsgesetz)

Die 10. GWB-Novelle steht kurz vor ihrer Verabschiedung. Sie ist von ihren Verfassern „GWB-Digitalisierungsgesetz“ getauft worden, womit ihre primäre Zielrichtung beschrieben werden soll: die Missbrauchsaufsicht über digitale Unternehmen, Märkte und Plattformen zu verschärfen. Aber auch manches andere wird reformiert, vor allem in der Fusionskontrolle, im Verwaltungsverfahren und im Bußgeldrecht, näher dargestellt in diesem Aufsatz von Kahlenberg/Rahlmeyer/Giese. Kernpunkte sind:

  • Unternehmen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung“ sollen in besonderer Weise kartellrechtlich kontrolliert werden. Ins Visier genommen werden damit vor allem die großen Tech-Unternehmen aus Übersee. 
  • Bei der Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens soll auch sein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten berücksichtigt werden. 
  • Unter bestimmten Voraussetzungen soll kartellrechtlich ein Anspruch auf Zugang zu den Daten anderer Unternehmen bestehen. Das wird in der Praxis noch manche Fragen aufwerfen, zumal ein Zielkonflikt mit dem Datenschutzrecht und dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vorgezeichnet ist. 
  • In der Fusionskontrolle werden die beiden Inlands-Umsatzschwellen von EUR 25 Mio. auf EUR 30 Mio. und von EUR 5 Mio. auf EUR 10 Mio. angehoben. 
  • Die Bagatellmarktklausel wird von EUR 15 Mio. auf EUR 20 Mio. erhöht.
  • Die Vollzugsanzeige wird abgeschafft. 
  • Im Verwaltungs- und im Bußgeldverfahren soll für Unternehmen das Auskunftsverweigerungsrecht abgeschafft werden, was mit der notwendigen Angleichung an das EU-Recht begründet wird. Gleichwohl ist dieser Schritt verfassungsrechtlich zweifelhaft, zumal andere zugunsten von Unionsbürgern geltende Prinzipien des EU-Kartellrechts (keine Sanktionierung von natürlichen Personen, Anerkennung des Legal Privilege) nicht übernommen werden. 
  • Das sog. Vorsitzenden-Schreiben, mit dem das Bundeskartellamt mitteilt, dass es von einem Eingreifen absehen wird, soll gesetzlich normiert werden.
  • Das Kronzeugenprogramm im Bußgeldrecht wird ebenfalls kodifiziert.
  • Zur Bußgeldbemessung werden ergänzende Kriterien in das Gesetz aufgenommen. Gleichwohl ist schwerlich zu erwarten, dass damit der gebotene, tatsächlich aber nicht gegebene Gleichlauf zwischen der behördlichen und der gerichtlichen Sanktionierungspraxis bewerkstelligt wird. 
  • Im Kartellschadenersatzrecht tritt das Gesetz zwei Tendenzen in der Rechtsprechung entgegen, indem zum einen die Kartellbetroffenheit gesetzlich vermutet wird und zum anderen der Anspruch gegen die Kartellanten auf Herausgabe von Beweismitteln und auf Erteilung von Auskünften explizit keine Eilbedürftigkeit voraussetzt. 

Praxistipp: Die Angleichung des deutschen Kartellverfahrensrechts an die EU-Regeln, mag sie auch durchaus kritisch zu sehen sein, bietet in der Unternehmenspraxis gleichsam eine Rationalisierungschance. Denn bisher war es notwendig, in entsprechenden Merkblättern und bei Schulungen die Unterschiede zwischen der deutschen und der europäischen Rechtslage in Kartellverfahren, insbesondere bei Durchsuchungen, herauszustellen. Künftig wird es nötig, aber auch möglich sein, mit einem einheitlichen Set zu arbeiten. Wird diese Anpassung allerdings versäumt, könnten sich für Unternehmen unangenehme und nachteilige Situationen ergeben, wenn ohne Beachtung der neuen Rechtslage weiterhin mit veralteten Merkblättern und Schulungsmaterialien hantiert wird.

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Commercial Court in Stuttgart und Mannheim eröffnet

(www.commercial-court.de)

  • Im November 2020 hat in Baden-Württemberg der neu eingerichtete Commercial Court seine Arbeit aufgenommen. Dabei handelt es sich um jeweils eine spezialisierte Zivil- und Handelskammer der Landgerichte Stuttgart und Mannheim, bei denen an zwei eigens eingerichteten Standorten mit moderner technischer Ausstattung wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten auf Wunsch der Parteien auch in englischer Sprache geführt werden können. 
  • Neben Köln, Bonn, Aachen und Frankfurt am Main besteht damit nun auch in Stuttgart und Mannheim die Möglichkeit, bestimmte Verfahren vor staatlichen Gerichten auf Englisch zu verhandeln und englischsprachige Dokumente ohne Übersetzung in den Prozess einzubeziehen. Schriftsätze und das Urteil oder sonstige Entscheidungen müssen allerdings weiterhin auf Deutsch ausgefertigt werden.

Praxistipp: Mit der Einrichtung des Commercial Court soll für Unternehmen die Attraktivität staatlicher Gerichtsverfahren gegenüber Schiedsverfahren erhöht werden. Unternehmen, die von den neu geschaffenen Möglichkeiten in Baden-Württemberg Gebrauch machen möchten, sollten für ihre Verträge einen Gerichtsstand in Stuttgart oder Mannheim erwägen. Da es sich bei dem Commercial Court nicht um ein eigenständiges Gericht, sondern um Spezialkammern der dortigen Landgerichte handelt, kann allerdings nicht vertraglich festgelegt werden, dass in jedem Fall der Commercial Court über eine Auseinandersetzung entscheiden soll. Die Zuteilung zum Commercial Court innerhalb der Gerichte erfolgt rein nach dem Inhalt des jeweiligen Rechtsstreits. Zuständig sind die neuen Spezialkammern u. a. für Streitigkeiten aus beiderseitigen Handelsgeschäften mit einem Streitwert von mindestens EUR 2 Mio. 

Einen Überblick über die Besonderheiten und Vorteile der neuen Verfahrensmöglichkeiten gibt unser Blogbeitrag Commercial Court in Stuttgart und Mannheim eröffnet.

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