06/12/2023
Reform des europäischen Produktrechts
Im europäischen Produktrecht stehen große Änderungen bevor. Ende 2024 wird die neue Produktsicherheitsverordnung (VO (EU) 2023/988) EU-weit die bisherige Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit aus dem Jahr 2001 ablösen, was eine der wesentlichsten Änderungen der Produktsicherheitslandschaft für Non-Food-Verbraucherprodukte seit Jahren mit sich bringen wird. Parallel dazu geht das Gesetzgebungsverfahren zur Reform der fast 40 Jahre alten Produkthaftungsrichtlinie in seine entscheidende Phase. Die zu erwartenden Änderungen sehen an zahlreichen Stellen Erweiterungen der verschuldensunabhängigen Produkthaftung vor. Sowohl die neue Produktsicherheitsverordnung als auch die Reform der Produkthaftungsrichtlinie zielen darauf ab, die gesetzlichen Vorgaben an den technischen Fortschritt und die hierdurch veränderten Marktverhältnisse anzupassen. Die weitreichenden Änderungen führen nicht nur dazu, dass sich künftig mehr Wirtschaftsakteure als bisher – wie beispielsweise Fulfillment-Dienstleister und Online-Plattformen – mit den Themen Produktsicherheit und -haftung beschäftigen müssen, sondern machen für alle betroffenen Akteure eine Überprüfung ihrer internen Prozesse erforderlich. Produktsicherheitsverordnung gilt ab Dezember 2024 Die Produktsicherheitsverordnung ist im Juni 2023 in Kraft getreten und gilt ab dem 13. Dezember 2024 unmittelbar in allen EU-Mitgliedstaaten. Sie betrifft alle Non-Food-Verbraucherprodukte und legt (verschärfte) Mindestanforderungen an die Sicherheit derjenigen Produkte fest, für die keine spezielleren harmonisierten Vorschriften bestehen. Gleichzeitig schafft sie aber auch neue Vorgaben für harmonisierte Produkte. Einen Überblick über die wichtigsten Änderungen finden Sie hier. Neue Organisationspflichten für nicht harmonisierte Produkte Hersteller nicht harmonisierter Produkte müssen ab Dezember 2024 für diese eine Risikoanalyse aufstellen und eine technische Dokumentation erstellen; das gab es bislang nur im harmonisierten Bereich. Zudem müssen sie interne Product-Compliance-Prozesse aufsetzen, eine Beschwerdestelle für Verbraucherbeschwerden einrichten und ein Beschwerdeverzeichnis führen. In bestimmten Fällen kann zudem die Unterhaltung eines vorgegebenen Rückverfolgungssystems erforderlich sein. Für alle Produkte: Meldepflicht bei Unfällen, standardisierte Rückrufe, Abhilfepflicht Für alle unter die Produktsicherheitsverordnung fallenden (d.h. auch harmonisierte) Produkte gilt künftig eine Meldepflicht für durch das Produkt verursachte Unfälle. Wird der Rückruf eines gefährlichen Produkts erforderlich, müssen hierbei EU-weit bestimmte formale Vorgaben eingehalten werden. Zudem muss der für den Rückruf verantwortliche Wirtschaftsakteur betroffenen Verbraucherinnen und Verbrauchern künftig eine kostenfreie Abhilfemaßnahme (z.B. Reparatur, Ersatz des Produkts oder Wertersatz) anbieten. Damit wird die Grenze zum vertraglichen Gewährleistungsrecht verwischt. Erweiterte Pflichten im Onlinehandel Für den Onlinehandel gilt künftig – neben erweiterten Warn- und Informationspflichten –, dass die Produkte bereits im Zeitpunkt des Angebots als auf dem Markt bereitgestellt gelten und die Anforderungen an die Produktsicherheit erfüllen müssen. Auch für Betreiber von Online-Marktplätzen sieht die Produktsicherheitsverordnung neue Pflichten vor. Reform der Produkthaftungsrichtlinie in entscheidender Phase Die Reform der Produkthaftungsrichtlinie befindet sich noch im Gesetzgebungsverfahren: Die EU-Kommission hat im September 2022 ihren ersten Entwurf vorgestellt, derzeit laufen Verhandlungen mit Rat und Parlament über die endgültige Fassung der Änderungen. Nach ihrer Verabschiedung müssen die neuen Regelungen innerhalb eines Jahres von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Ein paar Änderungen dürften aber bereits jetzt als sicher gelten. Software als Produkt, Datenverlust als Schaden, Wegfall von Haftungsbegrenzungen Ziel ist auch hier, das derzeitige System der verschuldensunabhängigen Produkthaftung an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen. So soll künftig Software ausdrücklich als Produkt gelten und bei der Beurteilung, ob ein Produkt fehlerhaft ist, sollen u.a. auch Cybersicherheits- und KI-Fragen eine Rolle spielen. Auch die Palette der abgedeckten Schäden soll sich erweitern: Die Entwürfe sehen beispielsweise den Verlust von privat genutzten Daten als ersatzfähigen Schaden an. In Kombination mit der geplanten Aufhebung der derzeit geltenden Selbstbehalte (EUR 500,00 bei Sachschäden) und Haftungsobergrenzen (in Deutschland aktuell EUR 85 Mio. bei Personenschäden) kann sich so das Haftungsrisiko für viele Unternehmen deutlich erhöhen. Discovery bald auch in Produkthaftungsfällen? Signifikant ist zudem die Absicht, Unternehmen in Produkthaftungsfällen unter bestimmten Voraussetzungen – neben weiteren Beweislasterleichterungen zugunsten der geschädigten Personen – zur Offenlegung von Beweismitteln zu verpflichten. Diese Form der bislang vor allem aus den USA bekannten „Discovery“ dürfte in vielen Fällen eine kritische Prüfung der bisherigen Dokumentationspraxis erforderlich machen. Unter Beachtung der o.g. Organisationspflichten nach der Produktsicherheitsverordnung dürfte sich hier künftig der Grundsatz „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“ bewähren.
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