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Die 10. GWB-Novelle (GWB-Digitalisierungsgesetz) ist heute in Kraft getreten

20/01/2021

Heute sind umfassende Änderungen im deutschen Kartellrecht in Kraft getreten, und zwar mit der 10. Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“) durch das GWB-Digitalisierungsgesetz1. Der Gesetzgeber reagiert darauf, dass sich Geschäftsmodelle, Märkte und wirtschaftliche Machtverhältnisse durch die Digitalisierung immer schneller verändern2. Das GWB-Digitalisierungsgesetz verschärft die Missbrauchsaufsicht im Bereich der digitalen Wirtschaft, entlastet die Unternehmen in der Fusionskontrolle, erleichtert den Kartellbehörden die Kartellrechtsdurchsetzung und setzt gleichzeitig EU-rechtliche Vorgaben3 um.

Verschärfung der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht im Bereich der digitalen Wirtschaft

  • Die wichtigste Änderung ist ein neuer Eingriffstatbestand bei Wettbewerbsgefährdungen durch Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb, insb. große Digitalkonzerne, in dem neu eingeführten § 19a GWB. Solchen Unternehmen kann das Bundeskartellamt bestimmte Verhaltensweisen sogar vorbeugend untersagen, z.B. die Selbstbevorzugung von konzerneigenen Diensten oder die Behinderung des Marktzutritts von Dritten durch das Vorenthalten bestimmter Daten. 
  • Das besondere ist die außerordentliche Verkürzung des Rechtswegs bei Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundeskartellamts auf der Basis von § 19a GWB: Beschwerden gehen direkt zum Bundesgerichtshof.

Des Weiteren hat der Gesetzgeber Vorschriften der klassischen Missbrauchsaufsicht konkretisiert und um internetspezifische Kriterien erweitert: 

  • Bei der Bemessung der Marktmacht ist nun auch gesetzlich vorgesehen, dass der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten und die Frage, ob eine Plattform über eine sog. Intermediationsmacht verfügt, zu berücksichtigen sind.
  • Der Schutzbereich des Behinderungsverbots gegenüber Unternehmen mit relativer oder überlegener Marktmacht ist nicht mehr auf kleine und mittlere Unternehmen begrenzt, sondern umfasst jetzt auch große Unternehmen.
  • Künftig ist zugunsten abhängiger Unternehmen ausdrücklich gesetzlich geregelt, dass marktbeherrschende und marktstarke Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen gegen angemessenes Entgelt Datenzugang gewähren müssen (kartellrechtlicher Datenzugangsanspruch).
  • Außerdem sind Eingriffsmöglichkeiten für den Fall vorgesehen, dass ein Plattformmarkt in Richtung eines großen Anbieters mit überlegener Marktmacht zu „kippen“ droht (sog. „tipping“ eines Marktes).

Änderungen in der Fusionskontrolle

  • Künftig sind deutlich weniger Zusammenschlussvorhaben anmeldepflichtig. Die Inlandsumsatzschwellenwerte werden deutlich angehoben: Künftig unterliegen Zusammenschlussvorhaben nur dann der Fusionskontrolle, wenn u.a. ein beteiligtes Unternehmen in Deutschland einen Jahresumsatz von mindestens EUR 50 Mio. (bisher EUR 25 Mio.) und außerdem ein anderes Unternehmen in Deutschland einen Jahresumsatz von mindestens EUR 17,5 Mio. (bisher EUR 5 Mio.) erzielt. Eine Anmeldepflicht besteht wie bisher, wenn neben weiteren Voraussetzungen der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als EUR 400 Mio. beträgt. 
  • Das Bundeskartellamt kann künftig auch unterhalb der Umsatzschwellen Unternehmen dazu verpflichten, Zusammenschlüsse in bestimmten Wirtschaftszweigen anzumelden. Dafür müssen bestimmte Voraussetzungen, u.a. Schwellenwerte, erfüllt sein und das Bundeskartellamt muss zunächst in einem der betroffenen Wirtschaftszweige eine Sektoruntersuchung durchgeführt haben.   
  • Nach der „Bagatellmarktklausel“ werden Zusammenschlüsse künftig nicht untersagt, wenn die Untersagungsvoraussetzungen ausschließlich auf einem Markt vorliegen, auf dem im letzten Kalenderjahr im Inland weniger als EUR 20 Mio. (bisher EUR 15 Mio.) umgesetzt wurden.

Verschärfung in Bußgeldverfahren

  • Im Zuge der Umsetzung der ECN+-Richtlinie werden die Kompetenzen des Bundeskartellamtes in Kartellbußgeldverfahren erweitert. Insbesondere Durchsuchungen durch das Bundeskartellamt werden künftig anders ablaufen als bisher: Das Schweigerecht für betroffene Unternehmen bzw. deren Mitarbeiter wird praktisch abgeschafft. Unternehmen und ihre Mitarbeiter sind künftig verpflichtet, an der Sachverhaltsaufklärung aufzuklären.
  • In gerichtlichen Bußgeldverfahren wird die Kartellbehörde künftig auch nach Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid zuständige Verfolgungsbehörde bleiben und über dieselben Rechte wie die Staatsanwaltschaft verfügen. 
  • Außerdem wurden die Kriterien für die Bemessung von Bußgeldern ergänzt. Künftig werden bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ausdrücklich die Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung, das Nachtatverhalten und insb. der tatbefangene Umsatz berücksichtigt.
  • Außerdem ist das Kronzeugenprogramm jetzt gesetzlich verankert worden.

Beschleunigung und Erleichterung des Kartellverwaltungsverfahrens

  • Die Voraussetzungen für den Erlass von einstweiligen Maßnahmen durch das Bundeskartellamt werden abgesenkt, um ein schnelleres Eingreifen zu ermöglichen.
  • In Kartellverwaltungsverfahren können Anhörungen künftig auch mündlich erfolgen.
  • Die Bestimmungen zur Akteneinsicht von Verfahrensbeteiligten und Dritten werden konkretisiert.
  • Die bisherige Praxis des sogenannten „Vorsitzendenschreibens“, in dem die Kartellbehörde den anfragenden Unternehmen mitteilt, dass sie im Rahmen ihres Aufgreifermessens von der Einleitung eines Verfahrens absieht, wird gesetzlich normiert.

Erleichterung der Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen

  • Künftig enthält das Gesetz eine widerlegbare Vermutung für die Kartellbetroffenheit von Rechtsgeschäften von Lieferanten oder Abnehmern eines Kartells mit kartellbeteiligten Unternehmen vor. Damit reagiert der Gesetzgeber auf die Schienenkartell-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.

Abrufbar unter Bundesgesetzblatt (bgbl.de) 

2 Pressemitteilung Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, am 09. September 2020, abrufbar unter BMWi - Altmaier: Mit dem GWB-Digitalisierungsgesetz schaffen wir ein modernes Wettbewerbsrecht für das digitale Zeitalter

3 Richtlinie (EU) 2019 / 1 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes, ABl. L 11 / 3 vom 19. Januar 2019


Weitere Informationen zum GWB-Digitalisierungsgesetz

Digital Regulation
Ein neuer Rechtsrahmen für die digitale Welt
Antitrust - Digital Regulation
Neue Gesetzgebung für das digitale Zeitalter
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An der Schnittstelle zwischen Innovation und Digital Regulation
Market Places - Digital Regulation
Digitale Innovationen bringen neue Pflichten

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