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Update Commercial 02/2023

Februar 2023

Im ersten Update Commercial in diesem Jahr informieren wir Sie über verschiedene Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, unter anderem zur Einbeziehung von Gerichtsstandsklauseln bei online abgeschlossenen Verträgen, zur gesetzlichen Verzugspauschale bei Zahlungsverzug bei Verträgen über wiederkehrende Leistungen und zur Möglichkeit des Ausschlusses von Folgeprovisionen von Handelsvertretern.

Der europäische Gesetzgeber sorgt weiterhin für Veränderungen im Bereich der Product Compliance: Das Gesetzgebungsverfahren zur Reform der Produktsicherheitsrichtlinie, die durch eine neue europäische Produktsicherheitsverordnung ersetzt werden soll, schreitet voran und auch das Vorhaben, Produkte in der EU nachhaltiger zu gestalten, nimmt konkretere Formen an. Diesbezüglich müssen sich Hersteller und Händler in Zukunft nicht nur auf eine größere Bandbreite von Vorgaben zum Ökodesign verschiedener Produkte einstellen, sondern auch auf erweiterte Sorgfaltspflichten in Bezug auf die Herkunft ihrer Produkte und der dafür verwendeten Rohstoffe.

Auf nationaler Ebene hat der BGH seine Rechtsprechung zur (Un-)Wirksamkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln präzisiert und das Bundesjustizministerium plant die Einführung von englischsprachigen „Commercial Courts“ an deutschen Gerichten. 

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre. 


Inhalt

Im Folgenden finden Sie die Themen des Newsletters.

Aktuelle Rechtsprechung 

Wirksame Einbeziehung einer Gerichtsstandsklausel mittels Hyperlink auch ohne gesonderte Bestätigung
Auch bei wiederkehrenden Leistungen EUR 40 Verzugspauschale für jeden Zahlungsverzug
Regelung zu Folgeprovision des Handelsvertreters ist abdingbar
EuGH zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Ausschließlichkeitsklauseln in Vertriebsverträgen 
BGH präzisiert Rechtsprechung zur Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln
Beschränkung eines Onlineshops auf B2B-Angebote erfordert entsprechende Kontrolle

Gesetzgebung und Trends

Trilog-Einigung über neue Produktsicherheitsverordnung 
Vorschlag zur Reform des europäischen Verpackungsrechts veröffentlicht
Vorläufige Trilog-Einigung zu entwaldungsfreien Produkten
Konsultation der EU-Kommission zu Produktprioritäten beim Ökodesign für nachhaltige Produkte
Eckpunktepapier zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten und zur Einführung von Commercial Courts veröffentlicht

Bei Interesse können Sie das Update Commercial hier abonnieren.


Aktuelle Rechtsprechung 

I. Wirksame Einbeziehung einer Gerichtsstandsklausel mittels Hyperlink auch ohne gesonderte Bestätigung

(EuGH, Urteil v. 24. November 2022 – C-358/21)

  • In allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) enthaltene Gerichtsstandsklauseln können nach einer Entscheidung des EuGH auch dann wirksam in einen (internationalen) B2B-Vertrag einbezogen werden, wenn der schriftlich abgeschlossene Vertrag einen Hyperlink zu einer Website enthält, über die es möglich ist, die AGB zur Kenntnis zu nehmen, herunterzuladen und auszudrucken, ohne dass es einer Aufforderung bedarf, die AGB durch Anklicken eines Feldes auf dieser Website zu akzeptieren.
  • Dass die im internationalen Rechtsverkehr maßgeblichen Vorschriften die Wirksamkeit einer solchen Gerichtsstandsklausel von einer „Vereinbarung“ der Parteien abhängig machen, verlange eine Prüfung, ob die Gerichtsstandsklausel tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war, die klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist. Die Formvorgabe, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung
    • schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung (wobei elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, der Schriftform gleichgestellt sind),
    • in einer Form, die den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder
    • im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten abgeschlossen werden muss, soll dabei laut EuGH gewährleisten, dass die Einigung zwischen den Parteien tatsächlich feststeht.
  • Hierzu hatte der EuGH in der Vergangenheit bereits entschieden, dass in AGB enthaltene Gerichtsstandsklauseln dem Schriftformerfordernis grundsätzlich genügen, wenn diese AGB auf der Rückseite des Vertrags abgedruckt sind und wenn der Vertrag ausdrücklich auf die AGB Bezug nimmt. Ebenfalls solle es ausreichen, wenn die Parteien sich im Text ihres Vertrags auf ein Angebot beziehen, das seinerseits ausdrücklich auf die AGB hinweist, sofern diesem deutlichen Hinweis von einer Partei bei Anwendung der normalen Sorgfalt nachgegangen werden könne und feststehe, dass die AGB der anderen Partei tatsächlich zugegangen sind. 
  • Nicht ausreichend sollen nach der bisherigen EuGH-Rechtsprechung lediglich mittelbare oder stillschweigende Hinweise auf vorangegangene Schriftwechsel sein, da in diesem Fall keine Gewissheit darüber bestehe, dass sich die Einigung über den Vertragsinhalt tatsächlich auf die Gerichtsstandsklausel erstreckt habe. Ebenfalls ungenügend sei es, wenn der Vertrag mündlich und ohne spätere schriftliche Bestätigung geschlossen werde und die AGB mit der Gerichtsstandsklausel nur in den von einer der Parteien ausgestellten Rechnungen erwähnt werden.
  • Bei einer elektronischen Übermittlung könne die Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung u. a. davon abhängen, ob eine dauerhafte Aufzeichnung möglich ist. Dabei müsse es nach dem Wortlaut der entsprechenden Vorschriften lediglich „ermöglicht“ werden, die Gerichtsstandsvereinbarung dauerhaft aufzuzeichnen, ohne dass es darauf ankomme, ob der Text der AGB vom Vertragspartner tatsächlich dauerhaft aufgezeichnet wurde. Ziel dieser Vorschriften sei es nämlich, bestimmte Formen der elektronischen Übermittlung der Schriftform gleichzustellen, um den Abschluss von Verträgen auf elektronischem Wege zu erleichtern, da die Übermittlung der betreffenden Informationen auch dann erfolge, wenn diese über einen Bildschirm sichtbar gemacht werden können. Damit die elektronische Übermittlung dieselben Garantien, insbesondere im Beweisbereich, bieten kann, genüge es, dass es „möglich“ sei, die Informationen vor Vertragsschluss zu speichern und auszudrucken.
  • In seiner aktuellen Entscheidung stellte der EuGH zusätzlich klar, dass – wenn die die Gerichtsstandsklausel enthaltenden AGB dem Vertrag nicht unmittelbar als Anhang beigefügt sind – auch der Hinweis auf AGB durch Angabe eines Hyperlinks zu einer Website, über die es grundsätzlich möglich ist, von diesen AGB Kenntnis zu nehmen, als Nachweis zu werten sei, dass diese Informationen zugegangen seien, sofern dieser Hyperlink funktioniere und von einer Partei mit normaler Sorgfalt geöffnet werden könne. Dies gelte auch dann, wenn es auf der fraglichen Website kein Feld gebe, das angeklickt werden könne, um zu erklären, dass die AGB akzeptiert werden, oder wenn sich die Seite mit den AGB beim Aufrufen dieser Website nicht automatisch öffne, solange das Aufrufen der AGB vor Unterzeichnung des Vertrags möglich sei und das Akzeptieren dieser Bedingungen mittels Unterzeichnung durch die betreffende Vertragspartei erfolge.

Praxistipp: Während die deutschen Gerichte die Formerfordernisse für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen bisher eher streng beurteilt haben, vertritt der EuGH in diesem Punkt einen liberaleren Ansatz. Zwar dürfte es zur Vermeidung von späteren Auseinandersetzungen über die Gerichtszuständigkeit bei internationalen Verträgen grundsätzlich weiterhin der sicherste Weg sein, Gerichtsstandsvereinbarungen entweder unmittelbar in den schriftlichen Hauptvertrag aufzunehmen oder – bei in AGB enthaltenen Gerichtsstandsklauseln – die AGB dem Vertragspartner im Volltext zukommen zu lassen. Die Entscheidung des EuGH, an der sich künftig auch die deutschen Gerichte orientieren werden müssen, ermöglicht daneben aber auch die Einbeziehung von AGB mittels eines Hyperlinks. Unternehmen, die diese Möglichkeit in Anspruch nehmen möchten, sollten allerdings zum einen darauf achten, dass der zur Verfügung gestellte Link funktioniert, und zum anderen sicherstellen, dass die dort jeweils zur Verfügung gestellte Fassung der AGB nachvollziehbar dokumentiert wird. 

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II. Auch bei wiederkehrenden Leistungen EUR 40 Verzugspauschale für jeden Zahlungsverzug

(EuGH, Urteil v. 1. Dezember 2022 – C-370/21)

  • Die Regelungen der europäischen Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (RL 2011/7/EU), die bei Zahlungsverzug des Schuldners die Zahlung eines Pauschalbetrags von mindestens EUR 40 vorsehen, sind nach einem Urteil des EuGH so auszulegen, dass dieser Pauschalbetrag auch bei Verträgen über wiederkehrende Leistungen, die jeweils innerhalb einer bestimmten Frist zu bezahlen sind, für jeden einzelnen Zahlungsverzug geschuldet wird.
  • Sowohl eine wörtliche als auch eine systematische Auslegung der Vorschrift ergebe, dass der pauschale Mindestbetrag als Entschädigung für die Beitreibungskosten dem Gläubiger, der seine Pflichten erfüllt hat, für jede Zahlung geschuldet werde, die bei Fälligkeit nicht rechtzeitig geleistet wurde und als Entgelt eines Geschäftsvorgangs anfällt, der in einer Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung ausgewiesen wurde. Dies gelte auch dann, wenn mehrere Zahlungen, die als Entgelt für periodisch wiederkehrende Lieferungen von Waren oder Erbringungen von Dienstleistungen auf der Grundlage ein und desselben Vertrags geschuldet werden, verspätet sind, es sei denn, der Schuldner ist für diesen Verzug nicht verantwortlich.
  • Diese Auslegung entspreche auch dem Zweck der Richtlinie, den Zahlungsverzug zu verringern und dem Gläubiger einen möglichst umfassenden Ersatz der ihm entstandenen Beitreibungskosten zu gewähren, die tendenziell im Verhältnis zur Anzahl der nicht rechtzeitig geleisteten Zahlungen stiegen. Den pauschalen Mindestbetrag bei Verzug mit mehreren Zahlungen aus demselben Vertrag auf einen einzigen Pauschalbetrag zu verringern, liefe darauf hinaus, den Regelungen die praktische Wirksamkeit zu nehmen. Zudem würde dies eine ungerechtfertigte Ausnahme von der Pflicht zur Zahlung des Pauschalbetrags bedeuten und den Schuldner von einem Teil der finanziellen Belastung befreien, die sich aus seiner Verpflichtung ergibt, für jede bei Fälligkeit nicht rechtzeitig geleistete Zahlung den Pauschalbetrag von EUR 40 zu zahlen. 

Praxistipp: Die sogenannte Zahlungsverzugsrichtlinie aus dem Jahr 2011 hat zum Ziel, einen „durchgreifenden Wandel hin zu einer Kultur der unverzüglichen Zahlung“ innerhalb der EU zu fördern. Da ungeachtet dessen aber nach Angaben der EU-Kommission immer noch über 60 % der Unternehmen in der EU nicht rechtzeitig bezahlt werden, plant die Kommission nun eine Überarbeitung der Richtlinie und hat dazu eine öffentliche Konsultation eingeleitet. Die geplante Überarbeitung soll einen ganzheitlicheren Ansatz verfolgen, der sich auf drei Säulen stützt: die gesetzliche Verankerung des unverzüglichen Zahlungsverhaltens (z. B. durch eine Verschärfung der gesetzlichen Regelungen), die Förderung des Einsatzes moderner digitaler Zahlungsinstrumente (angedacht werden hier z. B. eine verpflichtende elektronische Rechnungstellung zwischen Kaufleuten, die Förderung integrierter Zahlungen im Rahmen der digitalen Rechnungstellung und die Schaffung von Anreizen für die Einführung digitaler Schlüsseltechnologien für kleine und mittlere Unternehmen) und die Stärkung der Prävention und der Durchsetzung der Vorschriften, etwa durch die Einrichtung nationaler Durchsetzungs- oder Kontrollstellen, die auch über Sanktionsbefugnisse verfügen. Die Konsultation läuft bis zum 17. März 2023. Die Kommission plant, den Vorschlag zur Überarbeitung der Zahlungsverzugsrichtlinie bis zum Sommer 2023 vorzulegen.

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III. Regelung zu Folgeprovision des Handelsvertreters ist abdingbar

(EuGH, Urteil v. 13. Oktober 2022 – C-64/21)

  • Der EuGH hat auf eine polnische Vorlagefrage hin entschieden, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Handelsvertreter-Richtlinie (RL 86/653/EWG) dahin auszulegen ist, dass von dem dem selbständigen Handelsvertreter durch diese Bestimmung eingeräumten Recht, eine Provision für ein Geschäft zu erhalten, das während des Vertragsverhältnisses mit einem Dritten abgeschlossen wurde, den dieser Handelsvertreter bereits vorher für Geschäfte gleicher Art als Kunde geworben hatte, vertraglich abgewichen werden darf.
  • Aus der allgemeinen Systematik der Handelsvertreter-Richtlinie ergebe sich, dass der Unionsgesetzgeber regelmäßig darauf hingewiesen habe, wenn von einer ihrer Bestimmungen – auch zur Vergütung des Handelsvertreters – nicht abgewichen werden dürfe. Dies sei bei der zugrundeliegenden Regelung nicht der Fall. 
  • Auch würde eine Auslegung, die der Vorschrift einen zwingenden Charakter beimäße, nicht zwangsläufig zu einem verstärkten Schutz der Handelsvertreter – eines der erklärten Ziele der Richtlinie – führen. Denn es könne nicht ausgeschlossen werden, dass in einem solchen Fall bestimmte Unternehmer die Kosten für die in diesem Fall stets zu zahlende Provision für Folgebestellungen dadurch ausgleichen, dass sie den Satz der Basisprovision herabsetzen, zuvor erstattete Aufwendungen oder andere Vergütungsbestandteile beschränken bzw. ausschließen oder gar davon absehen, mit einem Handelsvertreter ein Vertragsverhältnis zu begründen. 
  • Schließlich werde diese Auslegung auch durch die Entstehungsgeschichte der Handelsvertreter-Richtlinie bestätigt. Aus dem ursprünglichen Richtlinienvorschlag gehe hervor, dass die EU-Kommission zunächst beabsichtigt hatte, diejenigen Bestimmungen, von denen die Parteien nicht abweichen könnten, in ein und demselben Artikel aufzuführen. Während die Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie entsprechende Bestimmung in dieser Auflistung zunächst enthalten war, wurde sie im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens aus ihr entfernt. Zwar habe der Unionsgesetzgeber letztlich den Grundsatz der einheitlichen Auflistung zugunsten eines fallspezifisch festgelegten Abweichungsverbots aufgegeben. Für Art. 7 Abs. 1 Buchst. b habe er jedoch kein entsprechendes Verbot vorgesehen. Dies spreche dafür, dass die Vorschrift ihrem Wesen nach dispositiv sei. 

Praxistipp: In Bezug auf die Rechtslage in Deutschland ist seit längerem anerkannt, dass die Vorschrift des § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB, die Art. 7 Abs. 1 der Handelsvertreter-Richtlinie entspricht, im Hinblick darauf, für welche Geschäfte der Handelsvertreter eine Provision erhalten soll und auf welchen Zeitpunkt es für das Entstehen des Provisionsanspruchs ankommt, dispositiv ist. Das Urteil des EuGH bringt diesbezüglich nun auch für Sachverhalte Klarheit, in denen das Recht eines anderen Mitgliedsstaats vereinbart wurde. Dabei sollte allerdings darauf geachtet werden, dass der Ausschluss von Provisionen für Nachbestellungen und andere Folgegeschäfte hinreichend deutlich geregelt wird. Andernfalls gilt die gesetzliche Regelung, wonach solche Folgegeschäfte provisionspflichtig sind.

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IV. EuGH zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Ausschließlichkeitsklauseln in Vertriebsverträgen 

(EuGH, Urteil v. 19. Januar 2023 – C-680/20)

Die italienische Wettbewerbsbehörde hat 2017 gegen einen Lebensmittelhersteller ein Bußgeld wegen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung auf dem italienischen Markt für den Vertrieb von verpacktem Speiseeis verhängt. Der Vorwurf beruhte auf einem Verhalten, das tatsächlich nicht von dem Hersteller selbst, sondern von unabhängigen Vertriebshändlern ausging. Diese hätten den Betreibern der Verkaufsstellen Ausschließlichkeitsklauseln auferlegt, die die Betreiber dazu verpflichteten, ihren gesamten Bedarf an abgepacktem Speiseeis ausschließlich von dem später bebußten Hersteller zu beziehen. Hierfür sei den Betreibern als Gegenleistung ein breites Spektrum von Rabatten und Provisionen gewährt worden. Die gegen den Bußgeldbescheid eingereichte Klage ist in erster Instanz abgewiesen worden. Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des in zweiter Instanz entscheidenden italienischen Staatsrats hat der EuGH in den beiden vorgelegten Fragen Folgendes erkannt:

  • Art. 102 AEUV ist dahin auszulegen, dass das Verhalten von Vertriebshändlern, die Teil des Vertriebsnetzes für Waren oder Dienstleistungen eines Herstellers in beherrschender Stellung sind, diesem zugerechnet werden kann, wenn feststeht, dass dieses Verhalten von dem Vertriebshändler nicht selbständig angenommen wurde, sondern Teil einer einseitig von diesem Hersteller beschlossenen und mittels dieser Vertriebshändler umgesetzten Politik ist. 
     
  • Art. 102 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine Wettbewerbsbehörde bei Vorliegen von Ausschließlichkeitsklauseln in Vertriebsverträgen verpflichtet ist, für die Feststellung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nachzuweisen, dass diese Klauseln den Wettbewerb beschränken können, wenn von dem Unternehmen in beherrschender Stellung wirtschaftliche Analysen vorgelegt werden, nach denen den betreffenden Klauseln die Eignung fehlt, ebenso leistungsfähige Wettbewerber vom Markt zu verdrängen. 

Praxistipp: Für die vertriebliche Praxis ist vor allem die Beantwortung der ersten Frage durch den EuGH von Bedeutung. Auf den ersten Blick mag es erstaunlich erscheinen, dass ein Unternehmen für das Verhalten von anderen, rechtlich völlig selbständigen Unternehmen verantwortlich gemacht wird. Auch in tatsächlicher Hinsicht lässt sich nicht ohne Weiteres annehmen, dass ein Vertriebshändler von seinen Lieferanten abhängig ist. 

Im Kartellrecht geht es jedoch anders zu als im „normalen“ Zivil- und Handelsrecht. Aus kartellrechtlicher Sicht – so der EuGH – reicht es aus, wenn sich herausstellt, dass ein Vertriebshändler spezifischen Weisungen eines marktbeherrschenden Unternehmens folgen muss und das vorgeworfene Verhalten im Rahmen der Umsetzung einer von diesem Unternehmen einseitig beschlossenen Politik geschieht. Dann sollen die Vertriebshändler als bloßes Instrument zur territorialen Verbreitung der Geschäftspolitik des betreffenden Unternehmens anzusehen sein. 

Eine Verhaltenszurechnung im Rahmen von Art. 101 AEUV hat das EuG bereits für Handelsvertreter vorgenommen. Auch wenn die vorliegende Entscheidung unmittelbar nur zum Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV ergangen ist, sollte daher vorsorglich mit ihrer Geltung auch für das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nach Art. 101 AEUV gerechnet werden.

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V. BGH präzisiert Rechtsprechung zur Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln

(BGH, Urteil v. 27. Oktober 2022 – IX ZR 213/21)

  • Der BGH hat mit einer ausführlich begründeten Entscheidung seine Rechtsprechung zur (Un-)Wirksamkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln präzisiert. Im konkreten Fall ging es um eine Klausel in einem Werkvertrag, die dem Besteller im Falle der Insolvenz des Werkunternehmers die fristlose Kündigung des Vertrags ermöglichte; die Ausführungen dürften aber auch auf andere Vertragstypen übertragbar sein. 
  • Danach sollen insolvenzabhängige Lösungsklauseln nach § 119 InsO unwirksam sein, wenn der insolvenzabhängige Umstand für sich allein die Lösung vom Vertrag ermöglicht und die Lösungsklausel in Voraussetzungen oder Rechtsfolgen von gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten abweicht, ohne dass für diese Abweichungen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bei objektiver Betrachtung berechtigte Gründe bestehen.
  • Sehe das Gesetz für den betroffenen Vertragstyp eine Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund vor, sei es möglich, ein Insolvenzereignis als wichtigen Grund einzuordnen, denn die Insolvenz eines Vertragspartners könne die Interessen des anderen Teils an der Durchführung des Vertrags beeinträchtigen, wenn sie zu einer Risikoerhöhung für den anderen Vertragspartner führe. Dies kann dem BGH zufolge z. B. gegeben sein, wenn die Zuverlässigkeit des Schuldners erhebliche Bedeutung für die weitere Leistungserbringung hat – und zwar zum einen in Bezug auf die Leistungserbringung selbst, aber auch wenn der Gläubiger damit rechnen muss, dass die Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen oder zusätzlichen erforderlichen Leistungen des Schuldners, wie etwa Wartungsleistungen, nicht mehr gesichert erscheinen.
  • Konkret macht der BGH in seiner Entscheidung Ausführungen zu folgenden Konstellationen:
    • Unwirksam sollen Lösungsklauseln sein, die die in einzelnen Bestimmungen enthaltenen, ausdrücklich auch die Zeit vor Insolvenzeröffnung erfassenden Regelungen umgehen; etwa indem sie eine Auflösung des Vertrags an geringere Voraussetzungen knüpfen als die vom Gesetzgeber für die Zeit ab Insolvenzantragstellung für unzureichend angesehenen.
    • Lösungsklauseln zugunsten eines Geldleistungsgläubigers sind nach Ansicht des BGH regelmäßig unwirksam, soweit sie den gesetzlichen Rahmen überschreiten. Die Risiken für einen Geldleistungsgläubiger bestünden darin, dass er mit seiner Gegenforderung auf Geldzahlung ausfällt; hiergegen schützten ihn die gesetzlichen Zurückbehaltungsrechte. Hierfür spreche auch, dass die Insolvenzordnung einem Geldleistungsgläubiger erheblich stärkere Eingriffe in die vertraglich geschützte Sphäre zumute als einem Sach- und Dienstleistungsgläubiger.
    • Wirksam seien solche Lösungsklauseln, bei denen die Vertragsparteien nach der Interessenlage zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine insolvenzrechtlich gerechtfertigte Zielsetzung innerhalb der vertragsautonomen Gestaltung der Verhältnisse verfolgen. Dies sei der Fall, wenn der Vertrag als Teil einer Sanierung des Schuldners zustande komme und die Klausel dazu diene, die Risiken eines Scheiterns der Sanierung abzumildern.
    • Schließlich seien Lösungsklauseln bei (unabhängig von einer Sanierung oder außerhalb von Sanierungsversuchen abgeschlossenen) Verträgen wirksam, für die das Gesetz eine Kündigung aus wichtigem Grund zulässt und die vertragliche Ausgestaltung der wichtigen Gründe durch eine typisierte Interessenbewertung für die darin geregelten Fälle gerechtfertigt ist. Für die typisierte Bewertung sei entscheidend, ob die mit der Insolvenz einhergehenden Risiken die weitere Vertragserfüllung in einem Ausmaß gefährden, das nach der Art der geschuldeten vertraglichen Leistungen und der wechselseitigen Interessen der Parteien bei einer vom Einzelfall losgelösten Betrachtung einen wichtigen Grund darstellen könne. 
  • Daneben weist der BGH darauf hin, dass auch nach den o. g. Grundsätzen wirksame Lösungsklauseln einer Ausübungskontrolle unterliegen können. Habe der andere Vertragsteil kein schutzwürdiges Interesse an der Ausübung des vertraglich eingeräumten insolvenzabhängigen Lösungsrechts oder überwögen die schutzwürdigen Belange des Schuldners das Interesse des Ausübungsberechtigten, schließe dies die Ausübung des insolvenzabhängigen Lösungsrechts mit Blick auf Treu und Glauben aus. Zwar nehme der Kündigungsberechtigte im Regelfall berechtigte Belange wahr. Anders sei dies aber, wenn er die Insolvenz dazu nutze, höhere Preise durchzusetzen, oder sich von einem Vertrag lösen wolle, dessen Durchführung durch die Insolvenz nicht weiter erschwert werde.

Praxistipp: Der BGH stellt mit der Entscheidung klar, dass die vertragliche Vereinbarung von Lösungsrechten im Insolvenzfall – jedenfalls zugunsten eines Sach- oder Dienstleistungsempfängers – grundsätzlich möglich ist, sofern im konkreten Einzelfall hierfür berechtigte Gründe bestehen. Da eine solche einzelfallorientierte Lösung naturgemäß Konfliktpotential birgt, dürfte es sich für die Vertragsgestaltung künftig empfehlen, die Beweggründe für die Aufnahme einer insolvenzabhängigen Lösungsmöglichkeit unmittelbar im Vertragstext abzubilden oder jedenfalls im Rahmen der Vertragsverhandlungen zu dokumentieren. Zu beachten ist zudem, dass die vom BGH aufgestellten Grundsätze lediglich die Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln im Hinblick auf § 119 InsO betreffen. Bei der Verwendung entsprechender Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen sind zudem die Anforderungen des AGB-Rechts zu beachten. 

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VI. Beschränkung eines Onlineshops auf B2B-Angebote erfordert entsprechende Kontrolle

(LG Trier, Urteil v. 29. Juli 2022 – 7 HK O 20/21)

  • Onlineshops, die ihr Angebot ausschließlich an gewerbliche Kunden richten und daher nicht den strengen Verbraucherschutzvorgaben in diesem Bereich unterliegen, müssen nach einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung des LG Trier Zugangsbeschränkungen für Verbraucherinnen und Verbraucher vorsehen, die über einen Hinweis auf der Website und eine Erwähnung in den AGB hinausgehen.
  • Die Betreiberin eines Onlineshops für Medizinprodukte bot dort u. a. Corona-Schnelltests an, die nicht an Verbraucherinnen und Verbraucher abgegeben werden dürfen. In dem Webshop befand sich auf jeder Seite der Hinweis: „Exklusiv für Medizinprofis: Die Angebote dieses Shops sind für Personen, Anstalten, Behörden und Unternehmen bestimmt, welche die Artikel in ihrer beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit anwenden.“ In den AGB hieß es: „Die Angebote dieses Internetshops sind für Personen, Anstalten, Behörden und Unternehmen bestimmt, die die Erzeugnisse in ihrer beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit anwenden.“ Während des Bestellvorgangs erschien vor dem „Kaufen“-Button der – nicht mit einer anklickbaren Checkbox versehene – Hinweis „Ich habe die AGB gelesen und bin einverstanden. Darüber hinaus bestätige ich ausdrücklich einer Fachgruppe anzugehören und die Artikel in meiner beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit anzuwenden.“ 
  • Das LG Trier stufte es als wettbewerbswidrig ein, dass in dem Onlineshop auch Verbraucherinnen und Verbraucher bestellen konnten. Die Beklagte habe keine geeigneten Kontrollmechanismen zum Ausschluss von Geschäftsabschlüssen beim Bestellvorgang eingebaut. Die Kunden müssten bei der Bestellung gerade nicht zwingend erklären, dass sie einer bestimmten Fachgruppe angehören und die Artikel in ihrer beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit anwenden. Eine ausdrückliche Bestätigung der Unternehmereigenschaft – beispielsweise durch Anklicken eines Kästchens – sei für die Bestellung nicht erforderlich gewesen. Die Shopbetreiberin könne dann aber nicht sicher sein, dass die Kunden den letzten Satz wahrgenommen hätten, da dieser in einem Fließtext stehe, an deren Beginn auf die AGB hingewiesen wird.
  • Dasselbe gelte für den auf der Homepage aufgeführten Satz „Exklusiv für Medizinprofis: Die Angebote dieses Shops sind für Personen, Anstalten, Behörden und Unternehmen bestimmt, welche die Artikel in ihrer beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit anwenden.“ Auch insoweit verlange die Betreiberin keine ausdrückliche Bestätigung dafür, dass es sich bei dem Kunden um eine Person handelt, an die die Produkte verkauft werden dürfen.

Praxistipp: Die Entscheidung des LG Trier ist bislang nicht rechtskräftig, die Berufung ist derzeit beim OLG Koblenz anhängig (Az. 9 U 1408/22). Betreiber reiner B2B-Onlineshops sollten zur Vermeidung von Abmahnungen durch Wettbewerber und Verbraucherschutzverbände aber bereits jetzt im Rahmen des Bestellvorgangs ausreichende Kontrollmechanismen verankern, um Bestellungen durch Verbraucherinnen und Verbraucher auszuschließen. Der bloße Hinweis, ausschließlich gewerbliche Kunden zu beliefern, reicht hierfür nicht aus. 

Nähere Informationen zu der Entscheidung des LG Trier sowie einen Überblick über die bisherige Rechtsprechung in diesem Bereich finden Sie in unserem Blogbeitrag B2B-Onlineshops müssen Verbraucher:innen aktiv ausschließen

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Gesetzgebung und Trends 

I. Trilog-Einigung über neue Produktsicherheitsverordnung 

Ende November 2022 haben sich das Europäische Parlament und der Europäische Rat auf die Kernelemente der neuen Verordnung über die allgemeine Produktsicherheit geeinigt. Einen entsprechenden Vorschlag hatte die EU-Kommission im Juni 2021 vorgestellt (wir berichteten im Update Commercial 08/2021). Eine Abstimmung über den Entwurf im Parlament ist für März 2023 geplant. 

Einen Überblick über den aktuellen Stand geben wir in unserem Blogbeitrag Reform des europäischen Produktsicherheitsrechts auf der Zielstrecke.

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II. Vorschlag zur Reform des europäischen Verpackungsrechts veröffentlicht 

Ebenfalls Ende November 2022 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle vorgestellt, die die derzeit geltende EU-Verpackungsrichtlinie (RL 94/62/EG) von 1994 ersetzen soll.

Mit der geplanten Verordnung sollen erstmals vollständig harmonisierte Vorgaben zu Verpackungen und Verpackungsabfällen geschaffen werden. Wir stellen die Pläne in unserem Blogbeitrag Europäische Kommission veröffentlicht Vorschlag für europäische Verpackungsverordnung vor. 

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III. Vorläufige Trilog-Einigung zu entwaldungsfreien Produkten

(Pressemitteilung des Rates der EU vom 6. Dezember 2022)

  • Im Dezember 2022 haben der Europäische Rat und das Europäische Parlament eine vorläufige Einigung über den Vorschlag für eine Verordnung über entwaldungsfreie Produkte erzielt, die über den ursprünglichen Vorschlag der Europäischen Kommission (wir berichteten im Update Commercial 12/2021) hinausgeht. Durch die Verordnung soll das Risiko einer Entwaldung und Waldschädigung im Zusammenhang mit bestimmten Rohstoffen und Erzeugnissen, die in der EU in Verkehr gebracht oder bereitgestellt oder aus der EU ausgeführt werden, so gering wie möglich gehalten werden. Sie soll die bisherige Holzhandelsverordnung (VO (EU) Nr. 995/2010) ablösen.
  • Die von der Verordnung betroffenen Rohstoffe sind Rinder, Kakao, Kaffee, Ölpalmen, (neu:) Kautschuk, Soja und Holz. Erfasst werden außerdem bestimmte Erzeugnisse, die mit diesen Rohstoffen produziert werden, wie Leder, Schokolade, Möbel, Papier, Bücher, ausgewählte Derivate auf Palmölbasis, z. B. als Bestandteile von Körperpflegeprodukten. Die Kommission soll spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung eine Einschätzung dazu abgeben, ob weitere Rohstoffe (insbesondere Mais) und Erzeugnisse (namentlich Bio-Kraftstoffe) in den Anwendungsbereich aufgenommen werden sollen.
  • Die genannten Rohstoffe und Erzeugnisse sollen künftig nur dann auf dem Unionsmarkt in Verkehr gebracht, bereitgestellt oder aus der Union ausgeführt werden dürfen, wenn die folgenden drei Voraussetzungen erfüllt sind: (1) Sie sind entwaldungsfrei, d. h. sie wurden auf Flächen erzeugt, die nach dem 31. Dezember 2020 nicht von Entwaldung oder Waldschädigung betroffen waren. (2) Sie wurden nach den einschlägigen Vorschriften des Erzeugerlands hergestellt. (3) Für sie liegt eine Sorgfaltserklärung vor. 
  • Die betroffenen Unternehmen – Marktteilnehmer und Händler – haben Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Entwaldungsfreiheit und die Rechtmäßigkeit der Herstellung im Erzeugerland: Sie müssen bestimmte Informationen und Unterlagen sammeln sowie Maßnahmen zur Risikobewertung und -minderung ergreifen. Der genaue Umfang der Sorgfaltspflichten soll vom jeweiligen Risiko für Entwaldung und Waldschädigung in der betroffenen Gegend („hoch“, „normal“ oder „gering“) abhängen, das mittels eines von der EU-Kommission einzuführenden Benchmarking-Systems ermittelt werden soll. In die Risikobewertung sollen nach der vorläufigen Einigung zusätzlich u.a. die Existenz und etwaige Ansprüche indigener Völker in der Region der Erzeugung sowie die Verletzung internationaler Menschenrechte einfließen. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sollen Erleichterungen gelten, z.B. sollen sie sich bei der Erstellung der erforderlichen Sorgfaltserklärungen auf größere Wirtschaftsbeteiligte verlassen dürfen. 
  • Für Verstöße gegen die neuen Sorgfaltspflichten sollen die Mitgliedstaaten u.a. folgende Sanktionen vorsehen: Bußgeld mit einem Höchstbetrag von mindestens 4 % des Jahresumsatzes in der EU, Beschlagnahme der betreffenden Produkte, Abschöpfung der Einnahmen aus Geschäften mit den betroffenen Produkten , Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren und vom Zugang zu öffentlicher Finanzierung für bis zu zwölf Monate und vorübergehendes Verbot, die Rohstoffe und Erzeugnisse in der EU in Verkehr zu bringen oder bereitzustellen oder aus der EU auszuführen. 
  • Die vorläufige Einigung muss nun von Rat und Parlament gebilligt und förmlich angenommen werden. Nach einer Übergangsfrist von 18 Monaten ist die Verordnung anzuwenden. KMU haben sechs Monate länger Zeit, bis sie die neuen Vorgaben umsetzen müssen.

Praxistipp: Die neuen Pflichten nach der Verordnung über entwaldungsfreie Produkte stehen im Zusammenhang mit umwelt- und menschenrechtsbezogenen Sorgfaltspflichten in anderen europäischen Gesetzgebungsvorhaben, wie etwa die geplante EU-Richtlinie zur nachhaltigen Unternehmensführung und der Vorschlag einer Verordnung zum Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten (wir berichteten im Update Commercial 10/2022). Da Klarheit sowohl über den ökologischen Fußabdruck als auch über die sozialen Auswirkungen der Herstellung und des Vertriebs von Produkten künftig eine immer größere Rolle spielen wird und weitere Sorgfaltspflichten mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung denkbar sind, lohnt es sich für Unternehmen, Transparenz in die eigenen Lieferketten zu bringen. Denn je besser ein Unternehmen die Herkunft und Herstellungsbedingungen seiner Produkte kennt, desto leichter kann es auf die zunehmenden gesetzlichen Anforderungen im Bereich der Supply-Chain-Compliance reagieren.

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IV. Konsultation der EU-Kommission zu Produktprioritäten beim Ökodesign für nachhaltige Produkte

(Pressemitteilung der EU-Kommission vom 1. Februar 2023)

  • Die Europäische Kommission hat im Rahmen der Initiative Neue Produktprioritäten beim Ökodesign für nachhaltige Produkte eine öffentliche Konsultation dazu eingeleitet, welche Produkte im Rahmen der vorgeschlagenen Verordnung über Ökodesign für nachhaltige Produkte vorrangig behandelt werden sollten.
  • Der im März 2022 vorgestellte Vorschlag für eine Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte (wir berichteten im Update Commercial 04/2022) soll die bislang geltende Ökodesign-Richtlinie (RL 2009/125/EG) ersetzen und für deutlich mehr Produkte gelten und strengere Vorgaben ermöglichen, um die Kreislauffähigkeit, Energieeffizienz und andere Aspekte der ökologischen Nachhaltigkeit von Produkten über ihren gesamten Lebenszyklus zu verbessern. Die Verordnung selbst soll dabei – wie auch bisher die Ökodesign-Richtlinie – einen allgemeinen Rahmen für die Festlegung von Ökodesign-Anforderungen enthalten; spezifische Produktanforderungen sollen zu einem späteren Zeitpunkt in Form von delegierten Rechtsakten festgelegt werden. Hierzu ist in dem Verordnungsvorschlag vorgesehen, dass die EU-Kommission einen Arbeitsplan für einen Zeitraum von mindestens drei Jahren erlässt, in dem eine Liste von Produktgruppen erstellt wird, für die Ökodesign-Anforderungen eingeführt werden sollen, sowie ggf. horizontale Maßnahmen bestimmt werden, die für Produktgruppen mit technischen Ähnlichkeiten vorgegeben werden sollen.
  • Im Rahmen einer vorläufigen Analyse der Gemeinsamen Forschungsstelle der Kommission wurden zwölf Endprodukte und sieben Zwischenprodukte sowie verschiedene horizontale Maßnahmen ermittelt, die für erste Maßnahmen im Rahmen der Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte infrage kommen:
    • Endprodukte: Textilien und Schuhe; Möbel; keramische Waren; Reifen; Detergenzien; Bettmatratzen; Schmierstoffe; Farben und Lacke; Kosmetika; Spielzeug; Fischernetze und Fanggeräte; absorbierende Hygieneprodukte
    • Zwischenprodukte: Eisen und Stahl; Nichteisenmetalle; Aluminium; Chemikalien; Kunststoffe und Polymere; Papier, Zellstoff und Pappe; Glas
    • Horizontale Maßnahmen: Haltbarkeit; Recyclingfähigkeit; Post-Consumer-Rezyklatanteil
  • Im Rahmen der Konsultation kann zu diesen Vorschlägen Stellung genommen werden. Daneben hat die EU-Kommission für das zweite Quartal 2023 weitere gezielte Konsultationen angekündigt.
  • Die Ergebnisse der Konsultation sollen in den ersten Arbeitsplan einfließen. Dabei sollen zunächst vorrangig „neue“ Produkte und horizontale Maßnahmen bestimmt werden, die derzeit nicht in den Anwendungsbereich der Ökodesign-Richtlinie fallen (die nur energieverbrauchsrelevante Produkte betrifft). Zur Festlegung von Prioritäten für die Anforderungen an energieverbrauchsrelevante Produkte ist eine gesonderte Initiative geplant.
  • Eine Beteiligung an der Konsultation ist bis zum 25. April 2023 möglich. Der erste Arbeitsplan soll nach Angaben der Kommission voraussichtlich im ersten Quartal 2024 veröffentlicht werden.

Praxistipp: Aufgrund der geplanten deutlichen Erweiterung des Anwendungsbereichs der Ökodesign-Vorgaben sowohl im Hinblick auf die betroffenen Produktgruppen als auch in Bezug auf die Anforderungen, die die Produkte künftig erfüllen müssen, sollten Produkthersteller und -importeure regelmäßig prüfen, ob ihre Produkte künftig unter die geplanten Durchführungsverordnungen zur Ökodesign-Verordnung fallen. 

Einen Überblick über die zu erwartenden Änderungen durch die geplante Ökodesign-Verordnung geben wir in unserem Blog in dem Beitrag Neue Ökodesign-VO soll für nachhaltigere Produkte sorgen

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V. Eckpunktepapier zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten und zur Einführung von Commercial Courts veröffentlicht

(Pressemitteilung des BMJ vom 16. Januar 2023)

  • Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat am 16. Januar 2023 ein Eckpunktepapier zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten und zur Einführung von Commercial Courts veröffentlicht.
  • Danach sollen die Länder künftig vorsehen können, dass bestimmte Handelsstreitigkeiten an ausgewählten Landgerichten auf Wunsch der Parteien vollständig in englischer Sprache geführt werden können. Für Streitwerte ab einer bestimmten Schwelle (das Eckpunktepapier nennt hier beispielhaft EUR 1 Mio.) soll die Einrichtung von Wirtschaftssenaten („Commercial Courts“) bei ausgewählten Oberlandesgerichten ermöglicht werden, die im Einverständnis aller Parteien direkt angerufen werden können. Gegen eine Entscheidung der Commercial Courts soll die Revision zum BGH eröffnet sein, wo die Verfahrensführung – im Einvernehmen mit dem zuständigen Senat – ebenfalls auf Englisch möglich sein soll.
  • Die Commercial Courts sollen mit spezialisierten Richterinnen und Richtern besetzt werden und es soll die Möglichkeit der Erstellung eines Wortprotokolls eröffnet werden, wie es bereits aus Schiedsverfahren bekannt ist. Geschäftsgeheimnisse sollen künftig umfassender als bislang im Zivilprozess geschützt werden. Dazu sollen die Verfahrensregelungen nach dem Geschäftsgeheimnisschutzgesetz auf den gesamten Zivilprozess ausgeweitet werden. Die als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen sollen außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens weder genutzt noch offengelegt werden dürfen. Die Kosten für Verfahren vor den Commercial Courts sollen den Kosten für Verfahren vor den Oberlandesgerichten entsprechen. 
  • Das BMJ wird nun auf Grundlage der Eckpunkte einen entsprechenden Referentenentwurf erarbeiten.

Praxistipp: „Commercial Courts“ bzw. englischsprachige Spezialkammern existieren derzeit bereits an verschiedenen Gerichten. Bislang müssen jedoch nach den Vorgaben der ZPO auch bei Verfahren vor diesen Kammern sowohl die Schriftsätze als auch das Urteil und sonstige Entscheidungen auf Deutsch ausgefertigt werden. Durch die geplante Justizreform soll eine vollständige Verfahrensführung auf Englisch ermöglicht und so Deutschland als Gerichtsstandort für große internationale Gerichtsverfahren attraktiver gemacht werden. 

Einzelheiten zu den Plänen des BMJ finden Sie in unserem Blog in dem Beitrag Neuer Kurs auf Commercial Courts.

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